„BEDROHTE ARTEN“ – Ein einzigartiges Buchhandelsprojekt

Im Argument Verlag, Hamburg, startet ein neues „Buchhandels-Projekt“: Es sollen Zeitzeug/-innen und Betroffene einer vom Untergang bedrohten Kultur, nämlich des Buchhandels und mit ihm der Gestalt der Buchhändler/-innen, zu Wort kommen.
Vor dem Hintergrund einer enormen Konzentration, die unzählige Buchläden in den Bankrott geführt hat, ist eine völlige Umgestaltung der Buchhandelskultur im Gange. Schon jetzt bestimmen einige wenige Konzerne, was gedruckt wird, was gekauft, was gelesen. Bücher gibt es zunehmend in Großkaufhallen mit sehr geringem Sortiment; dazu an Tankstellen, natürlich nur einige wenige Titel der Trivialliteratur, in Supermärkten und Drogerieketten, wenn auch bislang nur Schnelldreher. Die Gesamtentwicklung wird unterstützt durch Praxis der Barsortimente, die einst als Wohltat für die Buchhandlungen auftauchten, weil sie die gesuchten Titel innerhalb eines Tages lieferten, und die den Verlagen willkommen waren, weil sie postwendend zahlten. Sie haben es nun in der Hand, sie bestimmen, was in ihren Listen steht, so dass manchmal Bücher unseres Verlages als vergriffen gelten, obwohl unser Vertrieb sie noch vorrätig hat.

„Wir machen das Argument seit 45 Jahren“ heißt es in dem bundesweiten Aufruf des Argument-Verlags. „So haben wir die Verwandlung kleiner Buchläden in große Buchhandelsketten, den Umbau archivarisch dunkler Läden mit Geheimnissen und kostbaren Schätzen in neonhelle Verkaufshallen mit Sonderangeboten und Ramschecken miterlebt. Mit unserem Projekt ‚Bedrohte Arten‘ geht es darum, den Wandel zu dokumentieren, nicht allein in Form von Zahlenreihen über Konzentration und Schließungen, sondern auch als Lebensweise: Immer noch sind Buchhändler/-innen eine kulturelle Macht. Sie vermitteln zwischen Buch und Leser/-in, ihr Verhalten bestimmt mit, was auf dem Markt angenommen wird, was sofort vergessen ist. Vorläufig sieht es so aus, als ob sie ihrem eigenen Untergang eher defätistisch entgegensehen. Der ökonomische Druck verdrängt kulturelle und inhaltliche Interessen, und ob ein Warenwirtschaftssystem die kompetente Beratung ersetzen kann, entscheidet die Umsatzstatistik. Sollen demnächst die Verlage Regalmeter in Buchkaufhäusern anmieten und via Vertreter/-innen bestücken, was in den USA z.T. seit Jahren Praxis ist? Kennt die Zukunft noch Leser/innen, die beraten werden wollen? Und wer berät sie dann?“

Argument ruft deshalb die Buchhändler/-innen auf, ihre Ahnungen, ihr Wissen in konkreten Geschichten ans Tageslicht zu holen und so den Befürchtungen einen Namen zu geben, der befähigt, Widerstand zu leisten: „Wir bitten alle im Buchhandel Tätigen um einen ‚Bericht aus der Zukunft‘“.

Ein Tag in meinem Leben in 10 Jahren soll möglichst genau beschrieben werden. Die Entwicklung geht so schnell voran, dass 10 Jahre reichen, um den Sprung nach vorn zu machen, den es für den widerständigen Rückblick braucht. – „Wir wollen die Berichte zusammen mit einer verdichtenden Analyse veröffentlichen. Das Ziel ist, einen möglichst lebendigen Eindruck zu bekommen, was Buchhandel einst war, was Buchhändler/-innen bewegte, ihr Leben diesem Beruf zu widmen.“

Christa Peiseler aus der Akzente-Buchhandlung in Offenburg schrieb den ersten „Bericht aus der Zukunft“, hier ein kleiner Ausschnitt:

Ein Tag in meinem Leben in 10 Jahren

Mein Arbeitsalltag in meiner Buchhandlung, sofern diese noch existiert, beginnt sehr früh. Die letzte Mitarbeiterin musste ich vor zwei Jahren entlassen. Gerade erst habe ich, um meine Kosten zu senken, einen Teil der Ladenfläche als Ausstellungsfläche für einen Computerzubehörladen untervermietet (…) Meine morgendliche Durchsicht der Bücher, die mir das Barsortiment als Aktionspaket mit dem Motto »Feng Shui im Büro« zusammengestellt hat, erledige ich mit gelangweilter Routine und sortiere die vorgefertigten Werbeschreiben an Firmen, Praxen und Kanzleien. Mittlerweile wechseln diese Aktionen alle zwei Wochen, und meistens fällt mir auf, dass die nächste Aktion die vergangene als völlig unzeitgemäß und langweilig abtut.
Das Infomail des marktführenden Verlagsimperiums, das ich danach bearbeite, verzeichnet die Empfehlungsliste der Sendung »Lesen, was alle lesen« und bietet diese zu besonders günstigen Konditionen, Reizrabatten, einschließlich Veranstaltungsevents an. Die Bücher können per Direktbezug am gleichen Tag mit Verkaufshilfen und Pappaufsteller geliefert werden. Anhand der weiteren Adressen sehe ich, dass dieses Angebot auch an sämtliche Modeboutiquen, Fleuristikläden und Accessoireshops verschickt wurde.
Endlich betritt ein Kunde den Laden und kommt auf mich zu. »Bekomme ich bei Ihnen Thomas Mann, Der Zauberberg? Ich habe danach vergeblich in dem großen Buchkaufhaus gefragt.« …

Dieser Blick in die Zukunft offenbart, wie Zerstörung voranschreitet; er ist alltägliche Kunde vom Leben, wie es geschieht, wenn niemand eingreift.

Argument wendet sich hiermit an die Buchhändler/-innen im Land und hofft, dass alle zur Feder greifen. Die Unterschiedlichkeit der Läden und die Gleichheit, von einer Entwicklung betroffen zu sein, die unaufhaltsam scheint, wird verschiedenartige Zeugnisse zusammenbringen – kulturelles Wissen, um eine Welt mit Büchern verteidigen zu können.

Schreiben Sie mit!

Zwischen Vision und Gefahr gibt es das Wissen um Eingriffsmöglichkeiten. Wie wäre es, Angst mit Hoffnung zu verbinden, Phantasie mit Realismus? Insofern liegt uns daran, nicht nur pessimistische und düstere Aussichten zu bekommen, sondern die ganze Bandbreite des literarisch Möglichen – satirische, hoffnungsvolle oder gar Innovatives vorschlagende Texte werden ebenso dringend gebraucht wie bitterer Realismus. Was könnte geschehen?

Bitte schicken Sie Ihre Berichte unter dem Titel „Ein Tag in meinem Leben in 10 Jahren“ an den

Argument Verlag
Eppendorfer Weg 95
20259 Hamburg

oder an

Frigga Haug
Wittumhalde 5
73732 Esslingen/Neckar

E-Mail FriggaHaug@aol.com und e.laudan@argument.de.

Gesammelt wird bis Mitte September 2004; das Buch soll im Frühjahr 2005 erscheinen.

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