Christopher Schroer: „Vollständiger Amazon-Boykott ist nicht möglich“

Christopher Schroer

Nach dem Bericht der ARD über die Arbeitsbedingungen bei Amazon im Februar, hatte der Lindlarer Verleger Christopher Schroer (Foto) als erster seine Kundenkonten beim Onlinehändler gekündigt.

Heute, sechs Wochen nach seinem „Austieg“ [mehr…] bei Amazon, hat er sich nun Christopher Schroer öffentlich darüber geäußert, was seitdem passiert ist, und wie er die aktuelle Situation einschätzt. Hier sein Fazit:
„Gut sechs Wochen ist es her, da habe ich in einem offenen Brief an Jeff Bezos die Zusammenarbeit mit Amazon aufgekündigt. Erste Reaktionen waren durchweg positiv: Um die 300 Nachrichten mit Glückwünschen zu diesem Schritt trafen ein; natürlich waren auch negative darunter, an der Zahl aber nur vier. Neben Buchmarkt, buchreport und börsenblatt griffen auch große Publikumsmedien sowie Funk und Fernsehen das Schreiben auf, u.a. DRadio Kultur, ZEIT, Horizont, Focus, FAZ, Aktuelle Stunde des WDR. Viele Blogs posteten das Thema, selbst in Amerika bei mhpbooks.com wurde berichtet.

Über die breite mediale Resonanz war ich völlig überrascht, denn die Rezeption hatte ich lediglich in Fachkreisen verortet. Mein Ziel war es eine Diskussion anzukurbeln, wie Verlage und Buchhändler sich eine gemeinsame Position gegenüber Amazon u.a. vorstellen.

Unverständlich waren mir dabei einige Reaktionen aus Kollegenkreisen; über andere habe ich mich gefreut, z.B. über André Thiele, der ebenfalls mit dem VAT Verlag ein ‚Aussteiger‘ ist.

Die Tage danach
Natürlich hat sich Amazon bis heute nicht gemeldet, einzig bleibt die rasch ausgestellte Kündigungsbestätigung und unnötige Korrespondenz in der Abwicklung. Nach ersten neuen Bestellungen seitens des Online-Händlers, die wir schriftlich mit Verweis auf den offenen Brief abgelehnt haben, hat man die gelagerte Ware bis auf zwei – angeblich beschädigte und unverkäufliche – Titel zurück gesendet. Wir sind also jetzt offiziell kein Zulieferer mehr von Amazon!

In den Tagen nach der Rücksendung wurden unsere Bücher mit dem Lieferstatus ‚Gewöhnlich versandfertig in X bis X Tagen‘ geführt. Neuerdings sind aber viele Titel wieder lagernd und somit ’sofort lieferbar‘.

Vollständiger Boykott nicht möglich
Die bittere Wahrheit ist: ein vollständiges Auslisten unserer Titel bei Amazon ist nicht möglich. Das liegt am Wesen des Buchhandels. Während Amazon früher Bücher über uns angefordert hat, bezieht man jetzt die Titel über den Zwischenbuchhandel. Auf Nachfrage bei den Grossisten teilte man uns dort mit, man ‚könne die Belieferung an Amazon nicht ausschließen‘. Um sicherzustellen, dass Amazon über den Zwischenbuchhandel unsere Titel nicht mehr beziehen kann, müssten wir unsere Verträge mit den Grossisten auflösen. Somit wird in Zukunft auch (fast) jedes unserer Bücher über Amazon erhältlich sein. Die Alternative, dem Zwischenbuchhandel zu kündigen ist leider keine, denn dann kommen unsere Titel auch nicht zum kleinen unterstützenswerten Buchhändler vor Ort. Einziger Trost aber ist, dass Amazon nun die Bücher zu deutlich schlechteren Konditionen beziehen muss.

Amazon lebt von Angebotsvielfalt
Die Reaktion des Online-Riesen offenbart seinen verwundbaren Punkt: Amazon ist von einer Vielfalt im Angebot abhängig. Einst gestartet als reiner Online-Buchhändler bietet das Unternehmen heute eine Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen an. Wenn einzelne Händler nun dem Versandhaus die Waren – und damit die Vielfalt – entziehen, ist Amazon gezwungen, diese auf anderem Wege zu beschaffen. Die Frage stellt sich: Was wäre, wenn viele kleine oder einige große Zulieferer dem Riesen das Angebot vorenthalten?

Komplexes System
In den Wochen danach, besonders in Gesprächen und Diskussionsrunden wie zum Indiebookday bei Bücher Köndgen oder auf der Leipziger Messe zu ‚Amazon vs. Buy Local‘, fiel mir auf, dass das ‚System Amazon‘ derart vielschichtig und komplex ist, dass es nicht innerhalb (zu weniger) Minuten erklärt ist. Zumal man dem ‚System Amazon‘ das ‚System Buchhandel‘ gegenüberstellen und die wesentlichen Unterschiede erläutern muss. Dazu braucht man viel, sehr viel Zeit und muss ins Detail gehen – ideal wäre es, wenn eine seriöse Zeitung eine Serie publizieren würde. Damit wäre Zeit und Raum genüge getan und dem interessierten Leser viel an Aufklärung geboten.

Was bleibt?
Die mediale Aufmerksamkeit hat sich nun wieder dem Tagesgeschehen zugewandt, die Diskussionen scheinen erst einmal abgeebbt zu sein. Da ist die Frage: “Was bleibt?” durchaus berechtigt.

Gefühlt – bewegt sich etwas, wobei noch nicht klar ist, wie lange und in welche Richtung. Die gefühlte Bewegung ist im klassischen Buchhandel, aber auch bei Amazon (immerhin: Das allererste Mal hat man ein beschädigt remittiertes Exemplar bezahlt!) spürbar. Das ist immer hin schon mal ein Anfang. Bei Lesern und Kunden habe ich ein größeres Bewusstsein für die Themen ‚dahinter‘ feststellen können. Ich hoffe, dies bleibt. Es kommen weitere Berichte um Amazon hinzu, wie beispielsweise die Klagen der Marketplace-Anbieter, sodass das Thema immer mal wieder aktuell und präsent sein wird.

Persönlich – habe ich viele neue Bekanntschaften gemacht und über jede einzelne freue ich mich. Über 296 Nachrichten habe ich mich auch gefreut, und jede einzelne so zeitnah wie möglich beantwortet. Danke an die Leser, Kunden, Verleger, Buchhändler und Freunde, die mich in zahlreichen Gesprächen in meiner Entscheidung bestärkten. Auch sprach mich Peter Kripgans von der Rödelheimer Büchergarten eG an, ob ich nicht in der Genossenschaft mitmachen möchte. Klar doch, ich freue mich auf die Zusammenarbeit!“

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