Erstleser im Fokus des 22. avj-Praxisseminars/Zahlreiche Lesetipps inklusive

Von Freitag, den 6. Mai bis zum gestrigen Sonntag diskutierten in Fulda rund 70 Teilnehmerinnen des 22. Praxisseminars der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen über das Thema „Erstleser – und zweite Bücher für erste Leser“. Das Lesenlernen habe keine „Stunde null“ – das machte Dr. Elisabeth von Stechow von der Uni Gießen in ihrem Eröffnungsvortrag deutlich.

Die Bücher vor den Vorlesebüchern seien auch Lesebücher, erklärte sie, und zeigte die Vorläuferfähigkeiten auf, die von Kindern lange vor dem Schuleintritt erworben werden und die Grundlage des Lesenlernens bilden – etwa die Entschlüsselung von Bildern in Sprache. Auch im Plenum wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass Bücher für Kinder, die Lesen lernen, nicht unbedingt aus Erstlesereihen stammen müssen – ebenso können es Bilder- oder Sachbücher sein, auch Kindergedichte wurden empfohlen.

Kritiker Ralf Schweikart gab eine Marktübersicht und kommentierte: „Wer sich mit Erstlesereihen beschäftigt, fühlt sich häufig wie im Zoofachgeschäft“ – schmückt sich doch fast jede Reihe mit einem Tier; vom Löwen über Raben bis zu Bienen.

Dabei ist das Preissegment eng – im Schnitt, so Schweikart, haben die Titel 48 Seiten, sind vierfarbig illustriert und zu einem Ladenpreis von 7,90 Euro zu haben. Um sich zu unterscheiden, bieten viele einen „Zusatznutzen“ – vom Folienstift über Lesezeichen bis hin zu Spielen und Internetanbindung. Schweikarts Fazit: „Erstlesereihen sind die Stützräder des Lesens. Wenn man lesen kann, braucht man sie nicht mehr. Und oft sind die Bücher dann auch vergessen.“ Die Herausforderung für Verlage laute also, Erstlesebücher zu machen, denen das nicht passiert.

Vier Verlage erhielten beim Praxisseminar die Möglichkeit, ihre Konzepte für Erstleser detailliert zu erläutern, Renate Reichstein aus dem avj-Vorstand, die gemeinsam mit avj-Geschäftsführerin Margit Müller die Tagung leitete, hatte für die Auswahl langjährige Seminarteilnehmerinnen aus dem Handel nach den für sie wichtigsten Reihen gefragt.

Astrid Guntram vom Tulipan Verlag stellte die Titel des Tulipan ABC vor – besonders erfolgreich seien die „Cowboy Klaus“-Titel von Eva Muszynski und Karsten Teich, die in Kürze auch als Filme in der „Sendung mit der Maus“ zu sehen sein werden. Nina Schiefelbein, B.I, präsentierte die „Duden Lese-Detektive“, die besondere Lesezeichen und ein Lesetraining durch Fragen zum Text bieten.

Martina Kuscheck, Programmleiterin Bilder- und Kinderbuch bei cbj, erläuterte das Konzept von „Erst ich ein Stück, dann du“, bei dem erfahrene Leser sich mit Leseanfängern beim Lesen abwechseln. 16 Titel von Autorin Patricia Schröder sind lieferbar, zwei in Vorbereitung, 540.000 Exemplare seien bis heute verkauft. Das Prinzip des dualen Lesens haben inzwischen auch die Verlage Carlsen, Loewe und Arena zu Reihen gemacht.

Rieke Heimsoth aus der Online-Redaktion der Verlagsgruppe Oetinger stellte den „Luna Leseprofi“-Relaunch der „Sonne, Mond und Sterne“-Reihe von Oetinger vor. Seit 1. Januar 2010 gibt es unter www.lunaleseprofi.de ein Internetportal, bei dem sich Kinder mit einem Code einloggen können, der aus der Beantwortung von Fragen zu einem der Reihentitel generiert wird. Auf lunaleseprofi.de können online-Leselernspiele gespielt werden, Erwachsene können sich als Lesepaten anmelden. Gesicherte User-Zahlen gibt es aufgrund der Flash-Programmierung bislang nicht, registriert hätten sich 11.000 Kinder und 4.500 Erwachsene. Im Plenum entstanden erste Ideen, wie sich das Oetinger-Portal mit der Website der eigenen Buchhandlung verknüpfen lässt.

Was aber passiert, wenn Kinder den Erstlesebüchern entwachsen und etwas komplexerer Lesestoff benötigt wird? „Wenig, aber es gibt sie!“ lautete das Motto des Vortrags der freien Lektorin Alexandra Rak, für den sie „zweite Bücher für erste Leser“ ausgewählt hatte.

Perfekte Ergänzung war die sich anschließende Vorstellungsrunde der Seminarteilnehmerinnen: Jede war im Vorfeld gebeten worden, ihre liebste Empfehlung für die Zielgruppe mitzubringen (s. Bildergalerie). Besonders oft genannt wurde Antje Damms „Regenwurmtage“ in der neuen Reihe des Moritz Verlags, außerdem die Ueberreuter-Reihe „Detektivbüro Lasse Maja“ von Martin Widmark sowie „Matti und Sami und die drei größten Fehler des Universums“ von Salah Naoura, erschienen bei Beltz & Gelberg.

Zur Frage, wie aus einem Lese-Anfänger ein Lese-Genießer werde, gab Christine Kranz von der Stiftung Lesen einige Tipps. Dabei wies sie u.a. auf die Vorbildfunktion von erwachsenen Lesern hin und auf die Wichtigkeit, Vorleserituale zu etablieren. Der Journalist und Buchautor Nikolaus Nützel rundete die Tagung mit seinen Recherchen zum Thema „Was geschieht beim Lesen im Gehirn?“ ab. Das Gehirn sei ein Organ, das sich ständig neu moduliere. Daher warne er auch Verlage davor, zu sehr in Richtung Internet zu gehen.

Außerdem erarbeiteten die Seminarteilnehmerinnen in vier Arbeitsgruppen vier unterschiedliche Veranstaltungskonzepte, die auf Erst- bzw. Zweitleser zugeschnitten waren. Die Ideen: „Mein Lieblingsbuch im Schuhkarton“ (Kinder inszenieren ihr Lieblingsbuch), ein ABC-Fest mit Elternabend sowie eine Aktion unter dem Motto „Lies mich halb und kauf mich ganz“, bei der Kinder in einem Zelt, das sich beispielsweise vor der Buchhandlung aufschlagen lässt, ein Buch anlesen können und dann einen Hinweis auf die Buchhandlung finden. Das vierte Veranstaltungskonzept schließlich rankte sich ganz um den Titel „Matti und Sami“ und beinhaltete verschiedene Spielstationen, die Buchhändlerinnen bei einem Aktionstag (Wunschdatum: Sonntag, der 1. April) aufbauen können: Vom Delfin-Angeln über einen Finnisch-Kurs bis hin zu eigenen Bastelerfahrungen im „Sägewerk“.

Wie immer fuhren die Teilnehmerinnen des avj-Praxisseminars mit vielen Ideen und neuem Schwung nach Hause. Im Schatten des anhaltenden All-Age-Booms, so ein Fazit, lässt sich für das Segment der Leseanfänger noch einiges tun, sonst sieht es mit den Verkaufszahlen künftiger All-Age-Bücher schlecht aus. Und so wünschten sich zahlreiche Sortimenterinnen, dass Verlage wieder vermehrt Kinderbücher zu Lese-Exemplaren machen, um die Aufmerksamkeit für dieses wichtige Segment im Alltag nicht wieder zu verlieren.

Susanna Wengeler

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