Im St. Galler Tagblatt: Vor der angekündigten Schließung der Fehr’schen Buchhandlung – Rückblick auf das Ringen auf dem St.Galler Buchmarkt – fast eine Fallstudie

Nach 225 Jahren ist die baldige Schließung der Fehr’schen Buchhandlung angekündigt [mehr…]. Doch die entscheidende „Schlacht“ ging weit früher, bereits 1969, verloren, berichtet heute Josef Osterwalder im „St. Galler Tagblatt“.

„Die Fehr’sche war die maßgebliche Buchhandlung. Die kleine Leobuchhandlung an der Gallusstrasse keine ernst zu nehmende Konkurrenz. Dort deckte sich ein, wer katholische Erbauung suchte. Die literarische Breite mußte aber auch der Katholik bei der Fehr’schen erwerben. Vor allem standen dort auch all jene Titel, die vom römischen Index der verbotenen Bücher gebrandmarkt waren; darunter große Teile der modernen Literatur, namentlich der italienischen und französischen. Doch die Fehr’sche wiegte sich zu lange in Sicherheit; zu wenig war sie gerüstet für das bevorstehende Bücherbeben.

1968 nämlich überraschte die Leobuchhandlung mit dem großen Coup, kaufte das Eckhaus Webergasse/Schmiedgasse, richtete eine moderne Buchhandlung ein und gab ihr den ebenso alten wie werbewirksamen Namen ‚Rösslitor‘. Die Probleme der Fehr’schen begannen damit, dass sie diesem katholischen Rösslisprung Paroli bieten wollte. Also krempelte sie die eigene Liegenschaft ebenfalls um; rückte im Innern vom Cachet eines Jugendstilgebäudes ab, gab ihm ein gestyltes Outfit und glaubte so, den Kampf um die Nummer 1 im St. Galler Buchhandel gewinnen zu können. Was die Fehr’sche übersehen hatte: die Genossenschaft Leobuchhandlung stand finanziell weiter besser als sie. Hing die Fehr’sche nach dem Umbau nämlich am Tropf der Banken, konnten die Leo-Genossenschafter weit mehr Eigenmittel einschießen.

In den Fünfzigerjahren waren sie nämlich überraschend auf eine Goldader gestoßen, die ‚Quellenbändchen‘. Diese bibliophilen Spruchbändchen waren der Initiative eines Mitarbeiters entsprungen und entwickelten sich zum Verkaufsschlager. Im belletristisch ausgehungerten Nachkriegs-Deutschland und weit darüber hinaus erzielten die Bändchen ungeahnte Auflageziffern und füllten die Kriegskasse der Leo-Genossenschafter. Hinzu kam, dass die Buchhandlung am Rösslitor den katholischen Stallgeruch rasch abstreifen konnte; was nach der Öffnung der Kirche im Vatikanischen Konzil (1962-65) ohnehin nicht mehr schwierig war.

Mitte der Siebzigerjahre musste Peter Fehr das zweihundertjährige Familienerbe aufgeben. Sanierungen, Neukonzeptionierungen wurden eingeleitet, doch keine konnte der Fehr’schen ihre frühere Bedeutung zurückbringen.

Gemäß Louis Ribaux, dem Doyen der sanktgallischen Buchhändler, war es vor allem der Umbau von 1969, den die Fehr’sche nicht verkraftete. Ein Grund lag im hohen Anteil am Fremdkapital. Ein anderer im falschen Zeitpunkt. Man setzte architektonisch auf Modernität, während die Kunden nach Nostalgie suchten. Den notwendigen organisatorischen Modernisierungsschub aber hatte man verpasst.

Umgekehrt gibt es eine Reihe von Gründen, die das Rösslitor erstarken ließen. Laut Ribaux sind dies die eher anonyme Atmosphäre, die von den Kunden geschätzt wird, die bessere Einkaufslage, das einprägsame Signet von Röbi Geisser und die betriebswirtschaftliche Führung durch Walter Gnägi.“

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