Jutta Schaarschmidt: „Leipzig liest“ ist erwachsen und eine feste Größe im Kulturkalender der Stadt Leipzig

Morgen wird nicht allein die Leipziger Buchmesse eröffnet – es startet auch das größte europäische Literaturfestival „Leipzig liest“. Seit 20 Jahren ist Jutta Schaarschmidt (Foto) die Grande Dame dieses Literaturevents. Danach geht sie in den Ruhestand [mehr…].

Frau Schaarschmidt, in wenigen Tagen endet Ihre Mitarbeit beim Literaturfestival „Leipzig liest“. Seit wann sind Sie dabei?

Seit 1992.

Was haben Sie denn vorher gemacht?

Jutta Schaarschmidt
Foto Tom Thiele

Ich habe einiges gemacht, unter anderem eine komplette Ausbildung im Hotel (damals Interhotel). Ab 1980 war ich die „Marketenderin“ erst beim Kabarett „Academixer“, später bei der Leipziger „Pfeffermühle“. Danach habe ich die legendäre Galerie „Augenblick“ mit eröffnet, die in der Zeit der Wende zum Szenetreffpunkt im Umfeld der Kunsthochschulen wurde und blieb dort bis Schließung.

Wann und wie fing „Leipzig liest“ an?

1991 wurde als typisches „Wendekind“ die Idee geboren, mit einem Rahmenprogramm die Leipziger Buchmesse zu stärken. Es muss in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, dass zu diesem Zeitpunkt heiß darüber debattiert wurde, ob man in Deutschland zwei Buchmessen braucht.

Wie sah das „Wendekind“ damals aus?

Ausgehend vom Club Bertelsmann wurde gemeinsam mit der Stadt Leipzig und der Leipziger Messe das Projekt mit ca. 80 Veranstaltungen gestartet. Ein Faltblatt genügte anfangs zur Ankündigung, ein Jahr später war daraus schon ein kleines Programmheft mit liebevollen Illustrationen geworden. Heute hat das aktuelle Programmheft 2013 über 430 Seiten und wird begleitet von einem umfangreichen Internetauftritt.

Was gehörte anfangs zu Ihren Hauptaufgaben?

Meine Aufgabe war und ist immer geblieben, die Basis dafür zu schaffen, dass die ausstellenden Verlage ihre Autoren der Leserschaft im passenden Ambiente präsentieren können. Natürlich gehört dazu in erste Linie die Bereitschaft der Leipziger zu gewinnen, die Rolle des Gastgebers zu übernehmen.

Mussten Sie da viel Überzeugungsarbeit leisten?

Mancher Gastwirt, Ladenbesitzer, Kabarett- oder Kinobetreiber, musste überzeugt werden, sein Haus zur Verfügung zu stellen, und das möglichst kostengünstig! Ich muss aber zugeben, dass es mir die vielen Leipziger, die sich inzwischen in irgendeiner Weise an „Leipzig liest“ beteiligt haben, sehr leicht gemacht haben. Man fühlt sich hier immer noch als Bürger einer Messestadt, und die Buchmesse wird besonders geliebt. Die Stadt hat in Messezeiten auch eine anregende, fast beschwingte Atmosphäre, der man sich nur schwer entziehen kann.

Wie viele Mitarbeiter hatte „Leipzig liest“ zu Beginn?

Einen Mitstreiter vom Club Bertelsmann und meine Wenigkeit.

Und wie hat sich das Festival im Laufe der Zeit verändert?

Es hat sich vom Begleiter der Leipziger Buchmesse zum Marketing-Verstärker entwickelt. Zu Beginn meiner Tätigkeit gab es die vielen, heute üblichen technischen und medialen Möglichkeiten natürlich noch nicht. Wir mussten uns noch mit einer Schreibmaschine begnügen! Wer kennt das schon noch!? Die umfangreichen Anforderungen bei der Programmarbeit wären ohne die logistischen Möglichkeiten der Messe und deren Mitarbeiter im Hintergrund nicht mehr zu bewältigen. „Leipzig liest“ ist erwachsen und eine feste Größe im Kulturkalender der Stadt Leipzig geworden.

Was ist ihr Erfolgsrezept?

Das ist ganz einfach gesagt: Wir sind uns treu geblieben!

Was macht für Sie ein gutes Literaturfestival aus?

Ein gutes Literaturfestival muss es schaffen, etliche oft sehr unterschiedliche Komponenten miteinander zu verbinden und ein Podium zu bieten für die verschiedensten Literaturen. Es muss gelingen, dem Lesepublikum nicht nur eine Begegnung mit den gestandenen Stars der Literaturszene zu ermöglichen, sondern auch für noch unbekannte Autoren, neue Strömungen und Möglichkeiten Interesse zu wecken. Das funktioniert in Leipzig recht gut, denn wir Sachsen gelten allgemein als recht aufgeschlossen – man kann es auch neugierig nennen. Diese Eigenschaft muss man also nur aufgreifen und für die gute Sache zu nutzen wissen.

Das alles klingt so, als sei Wehmut im Spiel.

Natürlich, wie sollte es auch anders sein. Für mich war „Leipzig liest“ nie eine Aufgabe, die mit Dienstschluss einfach endet. Auch im Privaten wurden kulturelle Unternehmungen schon manchmal zur Netzwerkarbeit oder zum Test diverser Lokalitäten, ob sie auch als Leseort geeignet wären. Das wird sich nun ändern. Demnächst kann ich mich also unbeschwert und ohne die Arbeit im Kopf der Kultur widmen, lesen nur nach Lust und Laune. Das werde ich mit völlig ruhigem Gewissen tun, denn ich weiß, der Staffelstab wird an zwar jüngere, aber trotzdem gleichgesinnte Nachfolgerinnen übergeben, die möglicherweise „Leipzig liest“ ein bisschen auch in meinem Sinne weiterführen. Das stimmt mich hoffnungsfroh und lindert den Abschiedsschmerz dann doch erheblich!

Was wünschen Sie dem Festival „Leipzig liest“ für die Zukunft?

Dass es auf hohem Niveau auch weiterhin den Beteiligten Freude und Nutzen bringt, sich die Sympathie der Leipziger erhält und mich in Bestform überlebt!

Gestatten Sie noch ein paar persönliche Fragen? Welches war ihr Lieblingsautor, ihre Lieblingsautorin während Ihrer Zeit als Festivalleiterin?

Die Begegnung mit Peter Ustinov wird mir für immer als Höhepunkt im Gedächtnis bleiben. Bei seiner Lesung vor Jahren in der überfüllten Peterskirche ahnte man schon, dass es einer seiner letzten Auftritte sein würde. Die stehenden Ovationen nahm er mit unerschütterlichem Humor entgegen und nicht nur ich habe nach dem Taschentuch gesucht!

Völlig anders, aber nicht weniger beeindruckend war für mich auch Lenka Reinerová. Die kleine, ganz große Dame aus Prag, die klug und resolut ihren Gesprächspartnern trotz ihrer Gebrechlichkeit paroli bot, dass die Funken stoben – unvergesslich!

Abgesehen von den Büchern, welches ist Ihre größte Leidenschaft?

Die Oper.

Welche Pläne haben Sie für Ihren Ruhestand?

Ich möchte die Angebote unserer hiesigen Universität nutzen und ein Seniorenstudium Richtung Kunstgeschichte beginnen. Über die Modalitäten als Gasthörer habe ich mich schon erkundigt!

Die Fragen stellte Margit Lesemann

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert