Manuskripte und Briefe aus dem Nachlass Heinrich Manns in Prag entdeckt – Bisher unbekannte Briefe werden in neue Edition bei S.Fischer eingearbeitet

Am 29. November 2002 wird der Briefwechsel Heinrich Manns mit Félix Bertaux im S.Fischer Verlag erscheinen. Im letzten Augenblick vor der Drucklegung erfuhr der Verlag von neuen Funden in Prag, darunter auch bisher unbekannte Briefe, die nun noch in einem Anhang in das Buch aufgenommen werden. Das Buch stellt ein außergewöhnliches Zeugnis der politischen, der intellektuellen und der literarischen Geschichte Europas im 20. Jahrhundert dar. Der Germanist Félix Bertaux verkörperte für Heinrich Mann das ideale geistige Frankreich, von ihm fühlte er sich als Schriftsteller verstanden, und ihm öffnete er sich bis in seine Selbstzweifel und seine privaten Bedrängnisse

Zusätzlich möchte der S.Fischer-Verlag folgende Mitteilung des Archivs der Berliner Akademie der Künste der Öffentlichkeit zur Kenntnis geben:
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»Alles was ich hatte, wird in Prag verloren sein …«

Zu den Glücksmomenten eines Archivars oder Forschers gehört es, wenn durch
Zufall oder zielgerichtete Recherchen unverhofft neue Dokumente auftauchen.
Im Falle des Schriftstellers Heinrich Mann schien jedoch das Feld seit
Langem bestellt zu sein. Der in der Akademie der Künste aufbewahrte
Nachlass, durch die Emigration zersplittert, war in jahrelanger Arbeit
zusammengetragen worden. Teile kamen aus der Tschechoslowakei, aus Schweden,
aus Frankreich und den USA, wo Heinrich Mann 1950 verstorben war. Obwohl
manche Lücken im Bestand zu verzeichnen waren, rechnete nach einem halben
Jahrhundert niemand mehr damit, dass noch größere Originalkonvolute
auftauchen würden. Bei neuen Recherchen zur Nachlassgeschichte stieß die
Heinrich-Mann-Archivarin Christina Möller auf bisher übersehene Hinweise,
die nach Prag führten. Einer kleinen Sensation gleicht es, dass jetzt im
dortigen Museum der tschechischen Literatur ein bisher unbekannter
Teilnachlass Heinrich Manns entdeckt wurde. In 15 Archivschachteln befinden
sich neben einigen Werkmanuskripten der Dramatik und Publizistik vor allem
ca. 1200 an Heinrich Mann gerichtete Briefe, darunter Briefe von Henri
Barbusse, Félix Bertaux, Maximilian Brantl, Tilla Durieux, Ludwig Ewers,
Wilhelm Herzog, Kurt Hiller, Erika Mann, Julia Mann, Thomas Mann, Erich
Mühsam, Max Oppenheimer, Franz Pfemfert, René Schickele, außerdem Unterlagen
aus Heinrich Manns Mitgliedschaft in der Preußischen Akademie der Künste,
unpublizierte Fotos sowie eine bibliographische Kartei seiner Münchener
Bibliothek.

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Die Materialien umfassen im Wesentlichen den Zeitraum von 1899 bis 1928. Sie
gehören damit zum so genannten Münchener Nachlassteil, der jene Dokumente
enthält, die Heinrich Mann 1928, nach der Trennung von seiner Familie und
der Übersiedelung nach Berlin, zurückgelassen hatte. Nach der
Machtergreifung der Nationalsozialisten hatte der links engagierte Autor
bereits im Februar 1933 emigrieren müssen, seine geschiedene Frau Maria,
eine Jüdin, und die Tochter Leonie gingen nach Prag und bemühten sich, die
in München beschlagnahmten Papiere aus Deutschland herauszubekommen. Dies
gelang durch die Unterstützung der tschechischen Regierung. Thomas G.
Masaryk persönlich veranlasste die Unterbringung der Manuskripte und Briefe
Heinrich Manns in der Prager Nationalbibliothek. Nach der Besetzung des
Landes durch deutsche Truppen wurden die Dokumente in Kellern verschiedener
Privathäuser versteckt, wurden so gerettet und konnten nach dem Ende des II.
Weltkrieges wieder in die Obhut der Familie Heinrich Manns übergehen. Ab
1951 übergab Leonie Mann diese Unterlagen dem kurz zuvor an der Ostberliner
Akademie der Künste eingerichteten Heinrich-Mann-Archiv. Bei dem jetzt im
Literaturarchiv des Museums der tschechischen Literatur aufgefundenen
Bestand handelt es sich offensichtlich um in Prag zurückgebliebene
Dokumente. Die Herausgeber der Werke und Briefe des Schriftstellers werden
den Fund mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten, müssen
doch die bisher vorliegenden Ausgaben und die gerade im Druck befindlichen
um das neue Material ergänzt werden. Bei der archivischen Erschließung des
Bestandes wurde zwischen der Akademie der Künste und dem Prager
Literaturarchiv eine Kooperation vereinbart.

Zeit seines Exils hatte Heinrich Manns Sorge seinen Manuskripten und seiner
Bibliothek gegolten, die ihm durch die Flucht und die wechselnden,
schwierigen Lebensumstände abhanden gekommen waren. Im Oktober 1948 schrieb
er seinem jüngeren Bruder Viktor: »Von Carla habe ich nur das Bildnis
der Neunzehnjährigen. Gibt es denn keines aus ihrer Bühnenzeit? Alles was
ich hatte, wird in Prag verloren sein .« Eines dieser Bildnisse der
geliebten Schwester Carla – Erinnerungsstücke, die von Heinrich Mann im
amerikanischen Exil sehr vermisst wurden – fand sich in dem jetzt erst
entdeckten Teil seines Nachlasses. Die Fotografie zeigt Carla Mann 1907 als
Schauspielerin in der Rolle der »Salome«. Nicht verloren, wie geglaubt,
sondern durch Jahrzehnte von treuen Händen aufbewahrt, überdauerten die
persönlichen Papiere des Schriftstellers die Zeiten und stehen nunmehr der
Nachwelt zur Auswertung zur Verfügung.
(Sabine Wolf)

Bitte wenden Sie sich bei Fragen an:
Sabine Wolf und Christina Möller
Stiftung Archiv der Akademie der Künste
Robert-Koch-Platz 10, 10115 Berlin
Tel.: 030/30884284, e-Mail: moeller@adk.de

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