Thomas Böhm: Über Buch-Traummaße

Letzte Woche ging es an dieser Stelle um Kochbücher, die – zuende gedacht – den Appetit verderben. In dieser Woche teilt unser Kolumnist die Bücher anhand ihres Äußeren in Dick und Doof.

Heidi Klum – der Name erinnert mich immer an Erna Klobig, die gescheiterte Spaghettirestauranterfinderin in Martin Mosebachs herrlichem Wälzer „Eine lange Nacht“ – Heidi Klum sucht demnächst wieder „Germany’s next Supermodel“. Und alle Feuilletonwelt wird findet das wieder zynisch, menschenverachtend, gefährlich finden. Weil die jungen Mädchen sich 90-60-90 zum Maßstab für Schönheit und Glück nehmen und Klum werden wollen.

Dagegen ließe sich eine Radikaldiät verschreiben: Fernseher aus, Quatsch ignorieren, hungrige Zeitungsspalten mit Ideen und Literatur füllen. Am besten natürlich mit Büchern vom Traummaße 19-16-19, also richtig dicke Dinger. 16 cm Buchumfang, das sind mindestens 800 Seiten.

Gute dicke Bücher sind von den dummen fetten nicht schwer zu unterscheiden. Die dummen fetten stehen meist am Bahnhof und im Buchsupermarkt rum. Auf der grellen Coverschminke prunken Namen – die immer irgendwie zwischen Chichi und Landhausstil klingen. Die guten dicken vertrauen auf ihre inneren Werte, die sie zudem erst auf den letzten Blick preisgeben. Ein gutes dickes Buch ist also besonders gut in dem Moment zu erkennen, an dem Sie es zuende lesen. Er wird so traurig sein wie der letzte Urlaubstag, so schmerzhaft wie der Abschied von einem nahen Freund, so sentimental wie der letzte Blick auf die alte Wohnung vor dem Umzug.

Erklären Sie das einfach ihren Töchtern. Sie können an entlegensten Orten Urlaub machen, die interessantesten Menschen zu Freunden haben, die phantastischsten Räume bewohnen und am Ende lächelnde Individuen im Spiegel betrachten und nicht genormte und verformte Produkte der Klumindustrie.

Aber passen sie auf, daß die so Belehrten und Bekehrten nicht Ende Juni auf 3sat die Übertragung des Ingeborg Bachmann-Wettbewerbs einschalten und sich fragen, ob es jetzt eine Sendung namens „Deutschland sucht den Superautor“ gibt und warum die Menschen da so hässlich miteinander umgehen als hätten sie bei der Klum gelernt.

{Thomas Böhm, geb. 1968 in Oberhausen, ist Programmleiter des Literaturhauses Köln. Seine Kolumne „Zum Umgang mit Büchern“ erscheint an dieser Stelle und im weltweit ausgestrahlten Radioprogramm der Deutschen Welle.

Und denken Sie daran: Zu Weihnachten möchte Thomas Böhm seinen Lesern eine Kolumne schenken. Wünschen Sie sich ein Thema, das wir dann am 22. Dezember online stellen.

Kontakt: literaturhaus-koeln@gmx.de

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