Vivendi-Deal: Verlagskonzentration in Frankreich

24. Oktober 2002, 02:05, Neue Zürcher Zeitung vom 24.10.02:
Mega-Monstrum
Verlagskonzentration in Frankreich
Die Geldnot des hoch verschuldeten Hauses Vivendi Universal sorgt seit Monaten für starke Turbulenzen in Frankreichs Kino-, Kultur-, Medien- und Verlagslandschaft. Der gestern bekannt gegebene Verkauf von Vivendi Universal Publishing (VUP an die Lagardère-Gruppe führt zu einer weltweit beispiellosen Konzentration des Verlagssektors.
Zu VUP, der ersten französischen Verlagsgruppe, zählen Häuser wie Larousse, Le Robert, Bordas, Nathan, Plon-Perrin, Robert Laffont, Julliard, Seghers, Pocket und 10/18 sowie im Ausland Houghton Mifflin (der amerikanische Verlag soll allerdings erst später separat verkauft werden), Harrap und Chambers. Da der Hauptkonkurrent von VUP, Hachette, ebenfalls zur Lagardère-Gruppe gehört, dürfte diese jetzt zwischen 40 und 50 Prozent des einheimischen Verlagssektors beherrschen – in manchen Bereichen wie dem Taschenbuch oder dem Schulbuch sogar 80 Prozent. Auch hat die Gruppe via Bücherketten wie Virgin, Le Furet du Nord und Payot sowie via die Verkaufspunkte Relay etwa 70 Prozent des französischen Verteilungsmarkts in der Hand. Mit einem Umsatz von etwa 2 Milliarden Euro wiegt die Verlagsbranche der Lagardère-Gruppe nunmehr über achtmal so schwer wie ihr nächster Konkurrent, Gallimard.
Antoine Gallimard zeigt sich in einer «L’Edition en péril» betitelten Stellungnahme in «Le Monde» denn auch besorgt über einen allmählichen Rückgang der verlegerischen Angebotsvielfalt und eine Verstärkung des «Bestsellerisierungs»-Phänomens. «Lagardère mag wohl behaupten, dass die Verleger aus seinem Verteilungssystem aussteigen können – werden sie die Wahl haben? Und wer wird es wagen, sich mit Hachette schlecht zu stellen?»
Andere Verleger, darunter Claude Cherki (Le Seuil), Paul-Otchakovsky-Laurens (POL) und Olivier Rubinstein (Denoël), befürchten ebenfalls, dass die neue Gruppe «in einem Sektor, der vom Wettstreit der Menschen und Unternehmen lebt, eine Dominanzstellung erlangt, die die Regeln der Konkurrenz ausser Kraft» setzen könnte. «Die Buchhändler», so schreiben sie weiter, «wollen nicht von einem dominanten Verteiler abhängig sein, der zudem mit seinen eigenen Buchhandlungen ihr direkter Konkurrent ist.» Cherki spricht gar vom Entstehen eines «Mega- Monstrums». Das Personal von Hachette und VUP befürchtet seinerseits einen durch die Integration der beiden Gruppen bedingten Stellenabbau. Einen Sozialplan und eine Umstrukturierung schliesst Hachette aber aus. Die französischen und europäischen Konkurrenzbehörden müssen sich noch über den Verkauf aussprechen. Aus Gründen der Monopolvermeidung könnten laut Lagardère einzelne Verlage wieder verkauft werden.

Und im Wirtschaftsteil der heutigen NZZ heißt es:
Hauptsache französisch?
Die Vorstellung, der französische Teil von Vivendis Pressesparte könnte in ausländische Hände fallen, hat in den vergangenen Wochen einigen um die «exception culturelle» besorgten Persönlichkeiten bis hinauf zu Kulturminister Aillagon und Staatspräsident Chirac kalte Schauer über den Rücken getrieben. Schliesslich verbirgt sich hinter dem wenig aussagekräftigen Namen Vivendi Universal Publishing (VUP) nicht nur die mit Abstand grösste Verlagsgruppe des Landes, sondern vor allem eine Ansammlung von Traditionshäusern wie Bordas, Robert Laffont, Julliard, Nathan oder Larousse. Was geschähe mit dem kulturellen Erbe Frankreichs, so die bange Frage, wenn Nachschlagewerke wie «Le Petit Larousse» oder «Le Robert» plötzlich unter ausländischer Ägide produziert würden, und was würde aus Frankreichs Jugend, wenn im Markt für Schulbücher in Zukunft amerikanische Investmentfonds mitmischten? – Gewisse Dinge dürfen im «Hexagone» einfach nicht sein, und dies hat Jean-René Fourtou, der Konzernchef von Vivendi, verstanden. Mit seinem Entscheid, die europäischen Verlagsaktivitäten an den heimischen Medien- und Rüstungskonzern Lagardère zu veräussern, hat Fourtou jedenfalls das von politischer Seite favorisierte Angebot ausgewählt. Ob es auch finanziell das beste war, wird aus dem Communiqué nicht klar, denn Vivendi spricht einfach vom «besten Angebot». Dass Lagardère durch die Übernahme von VUP in vielen Bereichen eine dominante Position erreichen dürfte, scheint die Politik nicht zu stören, zumal sich Lagardère bereits verpflichtet hat, wettbewerbsrechtlichen Bedenken durch den Weiterverkauf gewisser Aktivitäten Rechnung zu tragen. Eine andere Gruppe, die vielen kleinen, unabhängigen Verleger, sieht jedoch genau in diesem Konzentrationsprozess die grösste Gefahr für die hochgelobte Vielfalt im kulturellen Angebot.

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