Walter Lachenmann: Vom Sommertheater zum Theaterdonner

Oreos-Verleger Walter Lachenmann hat sich zum „Schlechtschrieb“ schon mehrfach bei buchmarkt.de zu Wort gemeldet. Seine Meinung zu den aktuellen Ereignissen um die Spiegel/Springer-Entscheidung:

Der 6. August 2004 wird im Gedächtnis vieler Kollegen ein unvergeßlicher Sommertag bleiben. Da amüsierten sich doch seit einigen Wochen allüberall die Gazetten, als wieder die Sprache auf die Rechtschreibreform kam, über das ach wie komische »Sommertheater«. Und obwohl doch alle wissen, wie wunderschön und weltbedeutsam zum Beispiel Shakespeares »Sommernachtstraum« ist, taten sie dabei so, als ob ein Sommertheater etwas furchtbar Albernes wäre, über das man eigentlich nur kichern und über deren hingebungsvolle Akteure man sich gar nicht genug lustig machen kann. Denn es gibt ja bekanntlich Wichtigeres auf dieser Welt, und das Wichtigere erledigen diese Leute ja immer ganz flott. So ist es zum Beispiel sehr wichtig, daß man feststellt, daß es Wichtigeres gibt als ein Sommertheater.
Nun mußten die amüsierten Kommentatoren mit Entsetzen feststellen, daß es sich beim Theater, auch dem Sommertheater, durchaus um die Bretter handeln kann, die die Welt bedeuten, und diese etwas anderes sind als jene, die viele unserer Mitmenschen, so auch die neunmalklugen und realistischen Erlediger von Wichtigerem, gelegentlich vor dem Kopf haben.

Wie mißlich – im Sommertheater stellt sich auf einmal heraus, daß man vor lauter Selbstgewißheit, auf der sicheren Seite zu stehen, den »Trend« falsch eingeschätzt hat! Eine eigene Meinung über so etwas Nebensächliches wie die schriftliche Form unserer Sprache muß man ja nicht haben, weder als Redakteur, noch als Verleger, und als Schulbuchverleger schon gar nicht, für die erledigt solche Fragen das Kultusministerium. Da leistet man es sich sogar, die Rohstofflieferanten, von deren Leistungen die Branche abhängig ist, nämlich die Schriftsteller, deren sprachliche Höchstleistungen zwecks Verkaufsförderung man sonst nicht genug rühmen kann, im Regen stehen zu lassen. Ja, man wirft sie sogar in den Topf der lächerlichen Eiferer, die an den bis vor wenigen Jahren »hier zu Lande« noch waltenden, kaum erträglichen »wilhelminischen« Rechtschreibgepflogenheiten festhalten wollen, nur weil sie behaupten, die Schülerorthographie, nach der sich das erwachsene deutsche Schreibvolk nach dem Willen einiger sich in ministerialen Diensten ungebremst auslebenden Didaktikideologen jetzt richten soll, reiche ihnen nicht aus, um das mitzuteilen, was literarisch mitteilenswert ist. Noch nie etwas gehört von »good enough quality«? Das Zeug verkauft sich doch auch so, wenn nur die Marketinglektorate effektiv sind.

Was nun? Die ersten Freudenschreie der Befreiung sind zu vernehmen, und wir wollen gar nicht nachfragen, weshalb aus diesen Ecken vorher keine Klagerufe gekommen sind. Die Genüßlichkeit der Sommertheaterbelächler ist vorläufig in Verlegenheit oder gar in Empörung umgeschlagen. Bald werden auch sie nie anderer Ansicht gewesen sein, als daß diese ganze Rechtschreibreform ein riesiger Blödsinn gewesen ist. Jedenfalls dürfen wir uns freuen, daß wir bald wieder von unfreiwilliger Komik und Holprigkeit befreite Texte lesen können. »Wilhelminisch« ist in Wirklichkeit nämlich das, was uns die Reformer als »fortschrittlich« andrehen wollten, und das müßte eigentlich jeder wissen, der schon einmal in Bücher aus dem 19. Jahrhundert hineingeschaut hat. Aber wer hat das schon von uns Kulturträgern!

Ganz ehrlich: ziemlich peinlich ist diese Geschichte für unsere Branche eigentlich schon – oder?

Verfolgen Sie die aktuelle Diskussion auch auf der von der Forschungsgruppe Deutsche Sprache seit gestern freigeschalteten Internetseite http://www.sprachforschung.org/.

Und vergessen Sie nicht, bei uns zu voten: http://www.buchmarkt.de/index.php?mod=vote.

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