Pomikalkos Auslese All die schönen Bücher… Ellen Pomikalkos Lieblingsbücher, Heft 5/2016

Pomikalko

Raymond Unger, Die Heimat der Wölfe, Europa

Der heutige Maler und Psychotherapeut war Nichtsnutz, Masseur, Heilpraktiker und anderes, bis er seine Mitte fand, weil er den Traumata seiner Jugend nachspürte und erfuhr, dass zwei Weltkriege ihre Spuren bis in seine Generation hinein hinterlassen hatten. Seine Großeltern mütterlicherseits, Flüchtlinge aus Bessarabien, gehörten einer streng religiösen Sekte an. Ihre Kinder, aber auch die Kinder von Vaters Eltern waren Alkoholiker und kein Vorbild für die Nachkommen. Aus ihrem Kreis auszubrechen, brauchte viel Kraft. Sein abwechslungsreich gestaltetes Familienporträt enthüllt die Geschichte einfacher Leute, ihrer Wünsche und Enttäuschungen, die auch auf der Unfähigkeit zu Empathie beruhte. Eine Erhebung unter anderen Familien würde vielleicht ein ähnliches Bild ergeben – ein noch unerforschtes weites Feld. Die psychologische Durchleuchtung von Großeltern und Eltern und ihrem Einfluß auf die Kinder ist jedenfalls erhellend und wie hier auch heilend. (224 S., 19,99 Euro)

Amélie Nothomb, Die Kunst, Champagner zu trinken, Diogenes

Wenn man gut verdient, ist Champagnertrinken zu besonderen Gelegenheiten normal. Die belgische Autorin ist erfolgreich und trinkt, wenn sie trinkt, am liebsten Champagner. Lohnt das die Erwähnung? Bevor man auf die Idee des Snobismus kommt, führt ihr kleiner Roman sie mit einer Saufkumpanin zusammen, die aus einfachen Verhältnissen stammt und bald auch Schriftstellerin wird. Zusammen leeren sie manche Flasche der gehobenen Marken und offenbaren auf die leichte Art etwas von sich, wobei Nothomb mit einer köstlichen Darstellung den Vogel abschießt: Sie schildert, wie sie beim Interviewen der berühmten Modeschöpferin Vivienne Westwood in London von der Dame, der sie kein Begriff ist, abserviert wird. Durch seine Bücher erst gewinnt man Bedeutung, und wer davon nichts weiss, sieht nur die im Vergleich zur eigenen dürftige Person. Das ist recht hübsch und pointiert in Szene gesetzt und setzt auch einer ungewöhnlichen Freundschaft ein Denkmal, denn die beiden Kumpaninnen gehen, bei aller Zuneigung, offen und schonungslos miteinander um. Eine witzige Lektüre mit ernsterer Bedeutung, genussvoll zu lesen, eben champagnermäßig. (144 S., 20 Euro)

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