Pomikalkos Auslese All die schönen Bücher… Ellen Pomikalkos Lieblingsbücher, Heft 10/2016

Pomikalko
Ellen Pomikalko

 

Donald Ray Pollock, Die himmlische Tafel, Liebeskind

Ein Wahnsinnsroman. Beginnt wie ein historischer Rückblick auf das Amerika der ganz Armen und Ausgebeuteten, also wie ein Gesellschaftsroman á la Dickens, und entwickelt dann einen solchen Sog durch konkret ausbuchstabierte Schicksale im Jahr 1917, als das Land durchaus noch nicht zivilisiert war und vor Gewalt und Armut und Sexproblemen nur so vibrierte, dass es jedem hervorragenden Krimi Ehre macht. Spannend ist gar kein Ausdruck für die Fülle an in der Mehrzahl grässlichen Charakteren, die man sich auch noch merken kann. Da braucht der Autor, ein Spätentwickler, nicht mal zu analysieren; seine authentisch wirkende Schilderung genügt, um ein absolut farbiges Bild jener Zeit heraufzubeschwören, die von Menschenrechten und sozialer Verantwortung noch nichts gehört hatte. Hier sieht man der Gier und Brutalität des Menschen in die Fresse – es wird weder mit drastischen Worten noch mit sexuellen Praktiken hinterm Berg gehalten. Und trotzdem durchzieht das Buch eine tiefe Menschlichkeit. Ich bin begeistert. (429 S., 20 Euro)

Elena Ferrante, Meine geniale Freundin, Suhrkamp

Das Literarische an dieser ungemein genauen Sozialstudie aus dem ärmsten Viertel von Neapel in den Fünfzigern ist, dass die Ich-Erzählerin Lenú ihr eigenes Leben mit dem ihrer bewunderten Freundin Lila vergleicht, die noch intelligenter ist als sie und doch nicht mehr zur Schule gehen kann und mit sechzehn in die Ehefalle tappt. Was ist Bildung wert in einer Gesellschaft, die nur nach Reichtum strebt und in der jeder Reiche per se wertvoller ist als alle andern, jede Frau weniger wert als ein Mann? Schade, dass die Fortsetzung erst im Frühjahr kommt. Die Farbigkeit der Milieuschilderung hält hoffentlich diesen Zeitraum aus, um die Zusammenhänge nicht zu vergessen. Denn man ist sehr gespannt, ob sich etwas ändert an der hoffnungslosen Armut mit ihrem Gezänk und ihrer Gewalttätigkeit, und welchen Anteil Bildung und Wissen daran haben, Menschen glücklicher zu machen. Ein ganz großer realistischer Roman. (423 S., 22 Euro)

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