Übersetzerin Ute Wegmann über das Projekt „Geschöpfe“ Endlich auf Deutsch: Heute erscheint die Autobiografie von Judith Kerr

Heute, am 95. Geburtstag von Judith Kerr, erscheint ihre Autobiografie auf Deutsch in der Edition Memoria. Unter dem Titel Geschöpfe. Mein Leben und Werk schildert die Autorin und Illustratorin, wie sie als Kind mit ihrer Familie vor den Nazis floh, wie sie in England eine neue Heimat fand, zur Kunsthochschule ging und eine erfolgreiche Kinder- und Jugendbuchautorin und -illustratorin wurde.

Judith Kerr blickt zurück auf „ein erstaunlich erfülltes und glückliches Leben, und es hätte so leicht anders sein können. Wenn meine Eltern nicht die Weitsicht gehabt hätten, wenn dieses Land uns keinen Schutz gewährt hätte und wenn ich vor sechsundsechzig Jahren nicht zum Mittagessen in die BBC–Kantine gegangen wäre …!“ Übersetzt wurde das Buch von Ute Wegmann, die etwas mehr darüber verrät:

buchmarkt.de: Wie ist das Projekt Geschöpfe. Mein Leben und Werk auf Ihrem Tisch gelandet?

Ute Wegmann

Ute Wegmann: Bei einer Literaturhaus-Veranstaltung in Köln sprach mich der Verleger Thomas B. Schumann an, ob ich ihm einen Kontakt zu Judith Kerr oder ihrer Assistentin herstellen könnte. Er hatte mein Interview mit ihr im Büchermarkt (Deutschlandfunk) vor etwa fünf Jahren gehört und wusste, dass ich 2013 die Ausstellung Das rosa Kaninchen, Mog und die anderen. Die Bilderwelt der Judith Kerr im Bilderbuchmuseum der Stadt Troisdorf kuratiert hatte. Er hatte ihre Autobiografie gesehen und gelesen und interessierte sich für das Buch, wollte es in Deutschland veröffentlichen. Gern hab ich ihm die Kontakte weitergegeben. Wir kamen ins Gespräch. Durch die Sendung vor fünf Jahren und die Vorbereitung der Ausstellung war ich nicht nur bei Judith Kerr zuhause, sondern auch in zwei Ausstellungen in Großbritannien und in dem großartigen Zentrum für Kinderbücher, das gleichzeitig ein Archiv beherbergt und neben diversen Nachlässen auch Judith Kerrs Vorlass verwaltet. So erzählte ich Schumann von meinen Begegnungen und Unternehmungen, und da mir viele Orte und Geschichten aus Judith Kerrs Leben vertraut waren, da ich dazu gearbeitet hatte und viele ihrer Bücher gelesen hatte, hat er mich gefragt, ob ich die Übersetzung machen möchte.

Ich hatte schon vorher sehr viel Respekt vor dem Übersetzen, nun – nach vollendeter Arbeit – hat sich mein Respekt verdreifacht. Dank der großartigen Lektorin Carola Henke haben wir sogar die weit vorgezogene Abgabe geschafft. Danke, Carola!

Judith Kerr kennen wir in Deutschland vor allem durch ihre Trilogie Als Hitler das rosa Kaninchen stahl, außerdem durch ihre Mog-Bilderbücher. Welche Aspekte ihrer Lebensgeschichte haben Sie überrascht?

Kennt man die Trilogie und Mog, dann weiß man schon sehr viel über ihr Leben, obwohl sie in der Autobiografie betont, wieviel sie damals noch nicht vom Leben ihrer Eltern wusste und dass sie alles nun mit diesem Buch gerade rücken möchte.

Es war interessant, die Anfänge ihrer künstlerischen Tätigkeit in der Ausführlichkeit anhand der Skizzen nachzuverfolgen. Und es war auch spannend zu lesen, wie sie überhaupt zum Kinderbuch kam, wer ihre Vorbilder waren, und wie sie die Bücher ausgearbeitet hat. Alles das erfährt man in Geschöpfe, neben einer Vielzahl von Fotos gibt es viel Bildmaterial.

Was mich überrascht hat, ist die Offenheit und Ehrlichkeit, mit der sie ihr Scheitern (sie ist durch die Illustrationsprüfung gefallen, weil man plötzlich die Regeln änderte), ihre schwere Zeit (ihre Fehlgeburt) und auch ihre Selbstzweifel (sie kann es nicht glauben, dass sie für die BBC Drehbücher schreiben soll) thematisiert, oder sogar ihre Langeweile, wenn sie mit dem Kind immer alleine zuhause war, während Tom Kneale gerade seine BBC-Karriere startete. Das ist auf eine unbeschreibliche Weise berührend, weil sie doch so ein Star ist, vor allem natürlich in Großbritannien. Und aus allen Zeilen, die sie verfasst, spricht doch eine große Erdung und eine große Bescheidenheit.

Und auch wenn ich es vorher wusste: Es hat mich doch ergriffen, welch unfassbares Glück sie mit ihrem Ehemann Tom Kneale erlebte. Wie verbunden die beiden waren vom ersten Tag der Begegnung an – es war wirklich Liebe auf den ersten Blick – und so sagt sie selber, dass sie sich immer etwas zu erzählen hatten, sich austauschen konnten und er mit seinem wundervollen Humor und seinem Ideenreichtum für sie eine große Inspirationsquelle war. Aber es war auch der Austausch, den die beiden hatten, der für sie beide ein großes Glück gewesen sein muss.

Sie sind selbst Autorin zahlreicher Kinder- und Jugendbücher und haben als Redakteurin der DLF-Sendung Die Besten 7 einen guten Überblick über den Kinder- und Jugendbuchmarkt. Wie ordnen Sie Judith Kerrs Werk heute ein?

Judith Kerr wird ja von so vielen Menschen durch die Generationen hindurch geliebt. Damals wie heute haben alle das rosa Kaninchen mit Begeisterung und Faszination gelesen. Auch wenn das Buch Als Hitler das rosa Kaninchen stahl vielleicht nicht mehr Schullektüre ist, hat es doch aufgrund der Flüchtlingssituation eine ganz neue Aktualität erhalten.

Ich habe das Buch erst als Erwachsene gelesen. Auch mir hat es damals gut gefallen, und ich weiß noch, dass ich überrascht war über den Gedanken, den Judith Kerr ja immer wieder geäußert hat: Dass die Flucht über die Schweiz und Paris  nach London für sie – damals neun Jahre alt – auch ein großes Abenteuer war. In Paris sagte sie ja – über die Lichter der Stadt blickend zu ihrem Vater: „Ist es nicht herrlich, ein Flüchtling zu sein!“ Es muss Alfred Kerr, der nicht wusste, wovon er leben sollte, für wen er schreiben könnte, „umgehauen haben“, so formuliert Judith Kerr es jetzt rückblickend in der Autobiografie selber.

Und die Bilderbücher? Mog? Und Ein Tiger kommt zum Tee. Das sind zeitlose Klassiker und gleichzeitig Zeitdokumente. Wir sehen die Einrichtungen der 50er und 60er Jahre, wir sehen Kleidung, Frisuren und natürlich auch traditionelle Familiensituationen. Ich glaube, dass Kinder das heute wie damals sehr mögen.

Eine heile Welt mit kleinen Abenteuern, die man emotional bewältigen kann. Mein Lieblingsbuch ist neben dem Tiger Mog und Bunny. Man muss dafür kein Katzenfan sein!

Die Fragen stellte Susanna Wengeler

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