Montassers Agenten-Kolumne Geheimnisse eines Agenten Teil 2: „Der unsichtbare Dritte“

An dieser Stelle schreibt Literaturagent und Autor Thomas Montasser regelmäßig über die Absonderlichkeiten des Literaturbetriebs – heute bricht er eine Lanze für die Ghostwriter.

Thomas Montasser: „Tatsächlich sollten wir uns von der Idee befreien, dass zwischen zwei Buchdeckeln allein der Genius eines einzigen Menschen klebt. An einem guten Buch sind viele wichtige Menschen beteiligt“

In den letzten Jahren ist ein Phänomen auffällig geworden, das es ehedem so nicht gab: Vor allem auf der Sachbuch-Bestsellerliste stehen als Autor*innen jetzt häufig zwei Namen. Zum Beispiel „Lieschen Müller mit Otto Normalverbraucher“ oder „Schütze Arsch mit Hans Wurst“. Also sinngemäß. Wie kommt’s?

Früher fielen Hans Wurst und Otto Normalverbraucher in einem solchen Fall namentlich meist unter den Tisch. Es handelt sich dabei nämlich zum Ghostwriter. Um nun einem Generalmissverständnis direkt vorzubeugen: Ghostwriter bedeutet längst nicht nur, dass eine Person alles verschriftlicht, was eine andere Person sich mühsam mündlich abringt. Vielmehr sind professionelle Ghostwriter heute alles zwischen redaktionellem Sparringspartner und Universalgenies der Literarisierung von funktionellem Analphabetentum. Es kommt eben ganz darauf an, was die Hauptperson im konkreten Einzelfall tatsächlich braucht. Ist es nur das Upgrade eines Sekretärs oder ist es eine logopädische Fachkraft mit schreiberischem Großtalent, die aus nichts ein Opus Magnum zu zaubern versteht?

So oder so war lange Jahre eine der vornehmsten Aufgaben von Agenturen, diese Co-Autorinnen und -Autoren im Hintergrund endlich aus dem Schatten der offiziellen Urheber zu zerren und ihnen einen angemessenen eigenen Auftritt zu verschaffen. Erstens, weil sich das so gehört, zweitens weil auch Ghostwriter sich freuen, wenn sie angemessen gewürdigt werden – und drittens weil das nun einmal nichts ist, wofür man sich verstecken muss! Im Gegenteil!

Dachte ich. Bis eines Tages aus heiterem Himmel ein Redakteur der „Zeit“ anruft und mich darüber aufklärt, dass er einem ziemlich großen Skandal auf der Spur sei. Da gebe es nämlich eine Top-Bestsellerautorin, die ihr Buch gar nicht selber geschrieben habe! Vielmehr habe sie sich eines Ghostwriters bedient. Heimlich. Ob denn sowas üblich sei?

Tja, wie gesagt, früher war das gang und gäbe. Deshalb heißt es ja Ghostwriter. Aber heutzutage? „Ich finde schon, dass man den Ghost erwähnen sollte. Er hat ein Recht darauf!“, antwortet der Agent, der zwar in der Branche traditionell als Erzkapitalist verschrien ist, in dessen Brust aber im Grunde das Herz eines glühenden Gewerkschafters schlägt, wenn es um die Belange der Autorinnen und Autoren geht.

„In dem Fall ist es aber anders“, klärt der Journalist den Agenten auf. „Der Ghostwriter wollte nämlich nicht erwähnt werden.“

Allgemeine Verwirrung beim Agenten. „Aha? Und wo ist jetzt der Skandal?“

„Na, die Leser! Die werden doch genasführt!“

Guter Punkt. Werden sie das? Stimmt, die Leser denken, Lieschen Müller habe das Buch höchstselbst geschrieben. In Wirklichkeit ist Lieschen Müller zwar eine hochintellektuelle Spitzenwissenschaftlerin, nur schreibt sie leider vielleicht etwa eher im Stil einer Panasonic-Gebrauchsanweisung. Als Einschlafhilfe genial! In allen anderen Fällen eine Katastrophe. „Verstehe“, versucht sich der Agent selbst zu überzeugen. „Aber wo liegt jetzt der Schaden?“

„Na, die Leser bekommen nicht, was sie gekauft haben!“

Stimmt. Und stimmt auch nicht. Sie bekommen kein Buch, das zu hundert Prozent von Lieschen Müller stammt. Dafür bekommen sie eines, das zwar Lieschen Müllers Spitzenexpertise transportiert, aber darüber hinaus noch mitreißend geschrieben ist! Einen Schaden kann ich darin nicht erkennen.

Dennoch wäre es klüger und besser gewesen, der Ghostwriter hätte sich nennen lassen. Erstens, weil es nichts Ehrenrühriges ist, ein gutes Buch zu schreiben. Zweitens weil die Leserschaft vielleicht wirklich gerne wüsste, wer alles dahintersteckt. Und drittens, weil es eine wichtige Errungenschaft der zurückliegenden zwanzig Jahre ist, dass die Wasserträger des literarischen Betriebs, die Ghostwriter, endlich aus ihrem Schattendasein befreit wurden und ihre Arbeit Anerkennung findet!

Tatsächlich sollten wir uns von der Idee befreien, dass zwischen zwei Buchdeckeln allein der Genius eines einzigen Menschen klebt. An einem guten Buch sind viele wichtige Menschen beteiligt. Mitunter schafft es eine Lektorin oder ein Lektor ins Impressum, obwohl sie aus einem guten Text einen sehr guten gemacht oder gar einen missratenen gerettet hat. Gelegentlich wird jemand unter „Redaktion“ genannt, was meist bedeutet, dass eine Autorin oder ein Autor strukturelle Hilfe oder auch mal bei der Recherche Zuarbeit gebraucht hat. Und – trara! – die Ghosts bekommen sogar immer öfter einen Auftritt in der Bibliografie: „unter Mitarbeit von Hans Wurst“. Beim Film sind wir gewöhnt, dass es minutenlange Abspanne gibt, in denen jeder Shuttlefahrer und jede Catering-Aushilfe namentlich genannt wird. Nur beim Buch, da glauben wir immer noch an den Weihnachtsmann. Also: an die Einzeltäter von höheren Gnaden. Der Ghostwriter ist vielleicht genau das, was ein Buch zu dem gemacht hat, was wir uns erhofft haben. Würdigen wir ihn also, diesen „unsichtbaren Dritten“ und gönnen wir ihm mehr Sichtbarkeit!

Wider- oder Zuspruch:

An  thmontasser(at)montassermedia.de.

Kommentare (2)
  1. Herzlichen Dank, lieber Thomas Montasser, dass Sie den angeblichen Skandal zurechtrücken und den Aberglauben bekämpfen, dass nur einer, der Autor, an der Entstehung eines Buches beteiligt ist.
    In Amerika ist es schon lange Usus, dass am Ende die Autorinnen und Autoren eine lange Liste mit Danksagungen an alle schreiben, die geholfen haben, dass das Buch entstanden ist.

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