Danach fragen Kunden Umgeblättert heute: „Erst blättert man rein und lächelt milde, dann liest und schaut man sich fest“

Jeden Morgen blättern wir für Sie durch die Feuilletons der führenden Tageszeitungen – damit Sie schnell einen Überblick haben, wenn Kunden ein bestimmtes Buch suchen oder Sie nach einer Idee für einen aktuellen Büchertisch:

 

„Lauter Fragen, die ihnen keiner beantwortet hatte“: Mariam Kühsel-Hussainis Roman Emil begibt sich in die Köpfe von Akteuren in der Anfangszeit des Nationalsozialismus. „Zusammen mit den seitenfüllenden und verzweifelten Gedanken Emils, in denen der Nihilismus der späteren Werke des Philosophen schon allgegenwärtig ist, gibt Emil ein schonungslos-düsteres Zeitdokument ab. Die starke Psychologisierung ist dabei keine Schwäche des Buchs, da die Figuren trotzdem authentisch in ihrer Unberechenbarkeit sind. Wie auch schon in Kühsel-Hussainis Roman­vorgänger Tschudi ist es der Autorin gelungen, eine Epoche aus der Innensicht ihrer Zeitgenossen nachzuerzählen. Und somit nachempfindbar zu machen.“
  • Mariam Kühsel-Hussaini, Emil. Roman. (Verlag Klett-Cotta)

„Seht nur die Patriarchen!“: Wie Bücher über ärztliche Praxis nicht ausfallen sollten: Elinor Cleghorn wettert gegen androzentrische Medizin. „Cleghorn echauffiert sich über eine ‚androzentrische Medizin‘ und Ärzte, die die Symptome von Frauen jahrhundertelang vor allem als körperliche Zeichen psychischer Probleme angesehen hätten. Sie bringt eine Fülle von Informationen aus der Geschichte der Medizin und über den Alltag kranker Frauen heute. Zwar führt sie etliche Quellen an, doch mehr wissenschaftliche Sorgfalt hätte dem Buch gutgetan. Manches, was die Autorin schreibt, ist falsch.“

  • Elinor Cleghorn, Die kranke Frau. Wie Sexismus, Mythen & Fehldiagnosen die Medizin bis heute beeinflussen. (aus dem Englischen von J. Elze und A. Emmert; Kiepenheuer & Witsch Verlag)

„Funkenregen aus brennenden Augäpfeln“: Thilo Diefenbach versammelt taiwanische Literatur über sprachliche, zeitliche und kulturpolitische Grenzen hinweg. „Während bisherige Taiwan-Antho­logien wie Blick übers Meer von Helmut Martin (1982) oder Der ewige Fluss von Kuo Heng-yü (1986) den Blick noch auf China richteten, stellt Thilo Diefenbachs wegweisende Sammlung taiwanische Literaturen in ihrem faszinierenden Pluralismus – Legenden, Gedichte, Erzählungen, Romanauszüge und literarische Essays – und jenseits eines Status als Festland-Anhängsel vor. Jedem der insgesamt 101 Beiträge ist ein erhellender Kommentar hintangestellt.“

  • Thilo Diefenbach (Hrsg.), Zwischen Himmel und Meer. Eine Anthologie taiwanischer Literaturen. (Iudicium Verlag)

„German Schrecklichkeit“: Ein fesselndes Buch über die Nürnberger Prozesse 1946, die prominenten Berichterstatter von Erika Mann bis Willy Brandt und ihren Umgang mit dem Unsagbaren. „mahr, der auch Erika Manns Rolle dort ausführlich beschreibt. Dem Autor ist ein bemerkenswertes Werk gelungen, sehr anschaulich und lebendig geschrieben, ohne je trotz der Fülle von Anekdoten und all der schillernden Persönlichkeiten sein eigentliches Thema aus dem Fokus zu verlieren, eben die Verfahren vor dem Alliierten Militärtribunal.“

  • Uwe Neumahr, Das Schloss der Schriftsteller. Sachbuch. (C. H. Beck)

„Was, wenn heute auch morgen wäre?“: Solvej Balle hat eine feine Studie über Liebe, Distanz und die trennende Macht der Zeit geschrieben, die plötzlich stillsteht. „Fast 20 Jahre mussten Solvej Balles Leserinnen warten, bis die dänische Autorin nach ihrem gefeierten Erzählungsband Nach dem Gesetz von 1993 wieder ein Prosawerk vorlegte. Aber das Warten hat sich gelohnt. Über die Berechnung des Rauminhalts I ist der erste Band eines auf insgesamt sieben Bände angelegten Projekts, das es in sich hat. Auf Dänisch sind bereits vier Bände erschienen. Für sie erhielt Solvej Balle 2022 den angesehenen Literaturpreis des Nordischen Rats.“

  • Solvej Balle, Über die Berechnung des Rauminhalts I. (aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle; Matthes & Seitz Berlin)

„Die Armen essen den Abfall“: Fernanda Trías beschreibt eine Gesellschaft, die an einer pinken Katastrophe zerbricht. „Fernanda Trías, geboren 1976 in Montevideo, hat ihren dritten Roman geschrieben, bevor die Pandemie ausgebrochen ist. Sie erzählt von Hunger und Begehren, vom Verfall der Körper, des Ökosystems, aber auch der Beziehungen. Und umkreist damit einer Frage, die sich zwar durch die Pandemie mit neuer Qualität aufgedrängt hat, sich aber schon immer stellte: Kann es sein, dass wir in unseren Beziehungen gar nicht so selbstbestimmt sind, wie wir glauben zu sein?“

  • Fernanda Trías, Rosa Schleim. Roman. (Ullstein Verlag)

„Die Verzauberung der Welt“: Zu Salman Rushdies neuem Roman Victory City, der im April auf deutsch erscheinen soll. „Salman Rushdies neuester Roman Victory City wird erst im April – ausgerechnet am 20. – in einer sicher wieder großartigen Übersetzung von Bernhard Robben im Penguin Verlag auf Deutsch erscheinen. Rushdie schildert auf 336 Seiten Aufstieg und Fall des hinduistischen Königreichs von Vijayanagara. Aber natürlich ganz anders als die Historiker das tun. Die Namen, die der Leser und die Leserin z.B. aus dem Wikipedia-Artikel kennen, kommen alle vor. Das Brüderpaar, das die Stadt gründete, der Mönch Vidyaranya und viele andere. Rushdie, so scheint es, hat den Ehrgeiz, alles, was man weiß oder zu wissen glaubt, auftreten zu lassen in seiner Erzählung.“

  • Salman Rushdie, Victory City (übersetzt von Bernhard Robben; Penguin)

„Gift in ihm und um ihn“: Frédéric Schwildens Romandebüt bietet exhibitionistische Unerschrockenheit und bedient gute alte Popliteratur-Traditionen. „Immer wieder reißt die Coolness und Abgefucktheit, landet der Autor auf dem Gesicht, weiß aber, dass er mit diesen Bruchlandungen Wirkung erzielt und zwar besonders dann, wenn er die Kontrolle aufgibt und zwischen Pizzakartons und Alkoholflaschen versifft, sein Baby in den Pool schmeißt oder im Bett weint.“

  • Frédéric Schwilden, Toxic Man. Roman. (Piper Verlag)

„Wie der Walkürenritt aussehen müsste“: Marvel-Zeichner P. Craig Russell bringt grandios zu Papier, was Wagner nicht zeigen konnte. „Russell, Jahrgang 1951, arbeitet am Marvel-Comic-Universum mit und hat bereits mehrere Opern für seine Bildererzählungen adaptiert. Der Ring des Nibelungen wurde im Original vor bald 20 Jahren fertig, eine Großtat mit langer Planungsphase, in die der Anhang interessante Einblicke gibt. Jetzt ist die deutsche Übersetzung erschienen, in einem verflucht schweren Buch. Erst blättert man rein und lächelt milde, dann liest und schaut man sich fest.“

  • P. Craig Russell, Der Ring des Nibelungen. (Cross Cult)
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