Ab morgen Abend steht die Hansestadt Hamburg wieder im Zeichen der Comickunst: Das 17. Comicfestival Hamburg wird mit einer Vielzahl an Ausstellungen, Veranstaltungen, Workshops, Familien-Events und anderen Programmpunkten daran erinnern, welch zentrale Rolle Hamburg nicht nur für die deutschesprachige, sondern auch für die weltweite Comiclandschaft inzwischen spielt.
Kaum jemand hat mehr zur Relevanz des deutschsprachigen Comics und zur Entwicklung der Comicszene in Hamburg und Deutschland beigetragen als die Comickünstlerin Anke Feuchtenberger, die als Kunstprofessorin an der HAW Hamburg inzwischen schon mehrere Generationen von Comickünstler*innen ausgebildet und geprägt hat. Das Comicfestival Hamburg feiert die Zeichnerin mit Ausstellung und einem eigenen Symposion.
Parallel erscheinen gleich drei Bücher von und über Anke Feuchtenberger, darunter ihr lange erwartetes autofiktionales Opus Magnum Genossin Kuckuck, an dem sie über zehn Jahre lang gearbeitet hat.
Im folgenden Interview, das uns ihr Verlag zur Verfügung stellt, erzählt Feuchtenberger von der geplanten Ausstellung, ihrer Arbeit an Genossin Kuckuck und ihren Anfängen in der DDR …
„Alles in dem Buch ist wahr. Alles ist erfunden.“
Liebe Frau Feuchtenberger, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, um mit uns über Ihr aktuelles, lang erwartetes Comicprojekt „Genossin Kuckuck“ und Ihre Ausstellung auf dem Comicfestival Hamburg zu sprechen. Könnten Sie uns vorab ein bisschen über die Ausstellung erzählen?
Eigentlich wollte ich in der Ausstellung im Westwerk nur die Originalzeichnungen zum Buch zeigen. Nun sind noch Objekte hinzugekommen, die die Idee des Dorfes Pritschitanow in die Realität holen. Artefakte, Fundstücke und ein Bild von der Jugend in Pritschitanow. Vorwiegend Zeichnungen wie ein Blätterwald, aber auch Holzstämme, eine Teekanne und eine Vitrine. Mir ist wichtig, dass alles wahrhaftig ist und sich miteinander verbindet. Wie und ob es funktioniert, darüber müssen dann die Besucher:innen Auskunft geben.
Seit den 1990ern wurde Ihr Werk international schon in unzähligen Städten ausgestellt. Die aktuelle Ausstellung findet im Kontext des Comicfestivals Hamburg statt, Sie hatten aber auch schon etliche Engagements in Galerien und Museen, für die Comic sonst keine Rolle spielen würde. Wie erleben Sie für sich dieses Changieren zwischen der Comic- und Kunstwelt? Wie hat sich die Wahrnehmung des Comics als Medium in der Kunstgemeinde in den letzten Jahren verändert?
Die Touchierung von Comic und Kunst scheint mir nur in Deutschland so tangential. Dort, wo ich im Kunstkontext ausgestellt habe – Italien, Frankreich, Dänemark – empfand ich die Trennung nicht. Ich kann eigentlich nur bestätigen, dass die deutsche Szene, ob Literatur oder Kunst sich aber zunehmend offener dem Comic gegenüber zeigt. Immerhin durfte ich mit einem Comicwerk auf einen mittelalterlichen Altar antworten, beide hängen jetzt zusammen in der Mittelalterabteilung des Kunstmuseums Münster.
Aber für mich persönlich, in meiner Arbeit, ist es weder Überlappen noch Changieren. Ich arbeite mit der Zeichnung, Malerei, den Texten und Objekten, immer erzählerisch, manches wird gedruckt. Ob das Kunst oder Comic ist, diese Entscheidung überlasse ich anderen. Mir ist jedes Medium, jedes Material recht, versuche auch, mich nicht im Stil festzulegen. Stil ist eh eher was für den Markt.
Ihre ersten Ausstellungen hatten Sie in den frühen 1990ern mit der Künstler:innen-Gruppe „PGH Glühende Zukunft“. Können Sie uns etwas über diese Zeit und die Zusammenarbeit erzählen?
Die PGH Glühende Zukunft fand sich unter der Initiative von Henning Wagenbreth 1988 als Solidargemeinschaft zusammen. Diese Zeit war für mich als Künstlerin sehr prägend, weil es hieß, mutig mit der Arbeit an die Öffentlichkeit zu gehen, ob erlaubt oder nicht, Verantwortung zu übernehmen. Mir sind damals meine Themen, besonders in Abgrenzung zu meinen Künstlerkollegen, klarer geworden. Das ist bis heute ein tragender Prozess. Wir haben als Gruppe nicht gemeinsam Kunst gemacht, aber uns gegenseitig geholfen. Das war sehr wichtig. Und mit den drei anderen, Beck, Fickelscherter, Wagenbreth fühlte ich mich stark. In der Wendezeit sind Bilder, Plakate von mir gedruckt worden und hatten eine Öffentlichkeit, von der ich in der DDR nur hätte träumen können. Daraufhin kamen immer neue Aufträge und Kooperationen für mich in Gang. Oft unbezahlt, aber das Wirken und Suchen zusammen mit anderen, Theaterleuten, Literat:innen, vom Film, Frauen von frisch gegründeten Zeitschriften, war eine sehr aufregende, mich stark verändernde Zeit.
Sie sind in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin großgeworden und leben auch seit vielen Jahren wieder in MV, in einem alten Schulgebäude unweit der Küste. Mecklenburg-Vorpommern, seine Natur, seine Leerstellen, der ländliche Zeitstillstand spielen natürlich eine große Rolle in „Genossin Kuckuck“. Würden Sie MV als Ihre „Heimat“ bezeichnen?
Ich bin viel in meinem Erwachsenenleben herumgezogen, innerhalb Berlins, Ostfriesland, Schleswig Holstein, Hamburg und wieder zurück in den Osten. Ich bin in Berlin geboren, zur Schule gegangen und habe dort studiert. Immer aber hat es mich raus gezogen, an Orte wo ich einfach unter dem Himmel sein kann. Ja, für den Landstrich in Vorpommern, in dem ich meine Kindheit verbrachte, habe ich so etwas wie Heimatgefühle. Ich fühle mich hier einfach wohler als anderswo. Ich kann Erfahrungen vergleichen, ich möchte immer noch tiefer eindringen in die Besonderheiten, das Alltägliche und vor allem: Vorpommern ist noch relativ menschenleer und still – zumindest in den Herbst-, Winter- und Frühjahrsmonaten. Ich weiß nicht, was Heimat wirklich bedeutet. Für mich ist es wie ein beständiges Verliebtsein. Interesse, Freude, Respekt und Akzeptanz für einen Landstrich, Tiere, bestimmte Pflanzen, ein bestimmtes Licht.
Bevor wir über Ihr neues Buch sprechen, würde mich interessieren, wie Sie als Comicerzählerin an Ihre Themen und Stoffe kommen. Ihre Comics folgen ja selten einer klassischen narrativen Struktur, haben keine klar definierten Inhalte, sind im Gegenteil oft assoziativ, offen für verschiedenste Interpretationen. Woher beziehen Sie Ihre Ideen und Inspiration?
Ich weiß nicht, was eine klassische narrative Struktur ist. Die Dogmen der Heldenreise von Campbell wahrscheinlich. Ich glaube schon hingegen, dass ich klar definierte Inhalte habe: Es geht um Leben und Tod, um Schnecken und Pilze, um die Mutter, um Treue und Kontaminierung in Beziehungen, um den Glauben an das Gute (in meiner Kindheit der Sozialismus).
Aber die Literatur ist doch schon seit Hunderten Jahren viel vielfältiger. Briefromane, Collagen, Surrealismus … Ich füttere mich halt nicht aus der Comictradition, sondern bewege mich eher in der Literatur, Theater, Musik und der Bildenden Kunst. Es gibt so viele wunderbare Experimente in der Sprache und im Material und der daraus folgenden Narration.
Zeitgenössische Künstler:innen, die vielleicht auf ähnliche Art die gängigen Formate sprengen sind für mich z.B. die Jelinek, Florentina Holzinger, Bendik Gieske. Das will ich auch mit der Zeichnung probieren. Ich wollte kein Comicbuch machen, wo es eigentlich reicht, schnell die Sprechblasen durchzulesen, um zu wissen, was passiert. Ich versuche, die Erzählung aus der Zeichnung selbst zu entwickeln und sie nicht als Illustration zu benutzen. In dem Fall hat für mich das Wort „Illustration“ nämlich einen negativen Klang. Als Autorin, die mit der Zeichnung Räume baut, in denen etwas geschieht, bin ich eigenverantwortlich für alle/s. Ich habe mich im Studium auch mit Bildhauerei beschäftigt, viel mit dem menschlichen Körper, auch als Mutter und Großmutter ist die Beschäftigung mit dem menschlichen Körper eine ganz natürliche Sache. Ein Ast erzählt vom Leben des Baumes, eine Krümmung sagt: Hier gab‘s ein Hindernis, hier war keine Sonne, oder ein Sturm hat mich abgebrochen, ich musste krumm weiterwachsen. Da sind so viele Rätsel draußen: warum, was, wie wächst oder sich verhält. Durch den starken Wunsch in mir, eine unterbrochene Verbindung zur sogenannten Natur wiederherzustellen, mich zu verbinden mit dem mich Umgebenden, weil ich mich sonst zu einsam fühle, das erzeugt Zeichnen und Erzählen. Sich durch Betrachten und Zeichnen über Zusammenhänge klar werden. Formal wie inhaltlich – für mich als Zeichnerin gehört das zusammen. Die Anschauung, das Betrachten ist das Wesentliche in der Zeichnung. Beim Zeichnen entsteht ein Verstehen.
Wie gehen Sie denn als Erzählerin mit Erinnerungen um? Haben Sie, wenn es ans autofiktionale Erzählen geht, bewusste Erinnerungsbilder und -sequenzen im Kopf und nehmen sie als Grundlange für Ihre Geschichten, oder werden die Erinnerungen erst durch den Akt des Zeichnens geweckt und lebendig?
Wenn ich mich ans Schreiben und Zeichnen mache, habe ich so ungefähr eine Richtung im Kopf. Etwas hat mich beschäftigt. Bei „Der Spalt“ wollte ich eine Frage, die mir mein Enkel stellte, endlich mal beantworten. Oder zumindest versuchen zu beantworten.
Aber wenn ich dann anfange zu zeichnen, verändert sich die Erzählung, führt mich auf Abwege, Umwege und dann ist es am Ende für mich doch wieder richtig gewesen, diese Umwege zu nehmen. Weil mir unterwegs so viel passiert. Erinnerungen auftauchen, Gedanken sich verdichten zu einem Bild oder Metapher. Beim Zeichnen von „Genossin Kuckuck“ war ich total verblüfft, wie gut ich mich erinnern kann. An Kleidung, an Orte, an Gefühle vor allem. Wenn mich jemand gefragt hätte, hätte ich nichts zu sagen gewusst. Die Zeichnung triggert offenbar. Das heißt aber auch, dass die Dinge oder Personen oft anders aussehen, als ich wollte. Das gehört dazu. Manche Sachen zu erinnern, war mir nur möglich, indem ich aus den Figuren tierähnliche Wesen gemacht habe. Dadurch waren sie nicht so konkret.
An „Genossin Kuckuck“ haben Sie viele Jahre gearbeitet. Wie nahm das Projekt seinen Anfang? Und wie hat es sich im Laufe der Jahre gewandelt/entwickelt? Wie autobiografisch ist das Buch?
Alles in dem Buch ist wahr. Alles ist erfunden. Ich fing an über die Schnecken und Pilze nachzudenken. Beides Invasoren, die mir in dem alten Haus, in dem ich wohne, zu schaffen machen. Der Hausschwamm kam mir manchmal wie der Teufel vor. Aber ich wollte in dem Haus leben. Und da fing die Erzählung an. Ich begann mich mehr für meine „Feinde“ (die Schnecken sind zu Hunderten ins Haus gekrochen, haben den ganzen Garten aufgefressen) zu interessieren. Entdeckte ihre Schönheit und ihr Vorgehen, ihre Lebensweise. Da sie
beide lange Zeit im Verborgenen leben, mit den Jahreszeiten verbunden sind und auch unterirdische Verknüpfungen haben, kam es mir vor, als könnte ich etwas über mein eigenes Leben erfahren, wenn ich mich ihnen mehr zuwende. Und das stimmte dann auch. Es war wie ein Ziehen am roten Faden. Zwischen uns entspann sich eine sehr ambivalente tiefe Beziehung.
Es hat etwas von einem Horrorfilm, wie die Natur, vor allem in Form von Nacktschnecken, in den Garten von Kerstins Familie, aber auch in ihre Träume und Fantasien, einbricht …
Eine Sache hat mich an den Schnecken und Pilzen noch interessiert: Wieviel Wert ist ein Leben. Dieser Kampf gegen die organische Masse, die unsere menschengemachte Umgebung angreift, ist ja nicht mein Privatproblem. Ich hab mich damit auseinandersetzen müssen, weil ich jedem Wesen eine Berechtigung zuspreche. Das klingt unmachbar, aber wenn ich selbst eine Berechtigung, eine „Aufenthaltserlaubnis“ haben will, muss ich mich dem Thema stellen. Die Techniken, Schnecken zu töten sind so vielfältig wie grausam und ekelhaft.
Ich wurde beim Zuhören der Tipps von Nachbar:innen das Gefühl nicht los, die Ekelgefühle richten sich in sehr ambivalenter Weise immer gegen uns selbst. Das ist es doch wert, einmal angeschaut zu werden. Wir alle sind Schleim.
Sie haben seit vielen Jahren eine Professur an der Hamburger HAW (Hochschule für Angewandte Wissenschaften) für Illustration und grafisches Erzählen. Wie nehmen Sie den Blick auf Comics an den Unis heute wahr? Was hat sich über die Jahre getan?
Im Vergleich zu Mitte der 90er Jahre, als ich anfing zu lehren, hat sich enorm viel getan. Ich wurde 1997 nach meiner Berufung vom damaligen Fachgebietsleiter zurechtgewiesen, als ich eine Comic-AG gründen wollte (nicht mal während der Unterrichtszeit), ich solle gefälligst bei meinem Fach bleiben: Zeichnen. Das hat sich durch meine Arbeit in der Lehre an „Zeichnen und erzählen“ dann stark verändert mit der Zeit. Ich hab‘s halt bloß nicht Comic genannt.
Inzwischen habe ich eine Masterklasse Graphisches Erzählen und sehr viele erfolgreiche und veröffentlichte BA- und MA-Abschlüsse in diesem Bereich. Einige Hochschulen haben nachgezogen und durch die Berufung von ausgesprochenen Comiczeichner:innen ist die deutsche Comicwelt so viel reicher geworden.