Beckmanns Woche - Was wir der Politik deutlich sagen sollten: Warum eine prompte Wiederöffnung der stationären Buchhandlungen zwingend ist

Was ist von letzter Woche geblieben? Gerhard Beckmann versucht hier zu filtern, was zu den Ereignissen gehört, die uns weiter beschäftigen werden, sollen, müssen. Extrahiert hat er sechs Gründe, warum eine prompte Wiederöffnung der stationären Buchhandlungen zwingend ist: 

Es war eine turbulente Woche, in der Gott sei Dank auch wieder sichtbar geworden ist, welch hohe  Wertschätzung das Buch tatsächlich genießt – als wesentliches Gut von Kultur und Kunst, die unter dem besonderen Schutz unserer Verfassung stehen. Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass strenge Maßnahmen zur Eindämmung und Kontrolle der Korona-Virus-Pandemie in Deutschland absolut notwendig sind – und viel Lob für die Politiker, die frühzeitig und entschieden eine dementsprechende Strategie verfolgt haben.

In der vergangenen Woche hat aber auch eine öffentliche Diskussion eingesetzt, welche der Politik ein viel zu engen Verständnis der Pandemie und ihrer Folgen, einen allzu kommoden, naiven Begriff von „Wissenschaft“ und wissenschaftlicher Beratung sowie ein einseitiges, kurzsichtiges und unzureichendes Reagieren auf die Krise vorwirft, das der Bevölkerung sozial, ökonomisch wie kulturell in katastrophalen Maße schadet und ihre Zukunft und die Demokratie im Lande erschüttern könnte.

Es sind Diskussionen gewesen, die den Buchhandel berühren und/oder seine wichtige Rolle für Gesellschaft und Politik offenbaren.

Es begann am Montagabend bei Markus Lanz im ZDF mit einer relevanten wissenschaftlichen Erkenntnis. Professor Dr. Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Bonn, stellte fest, dass es keine wissenschaftlichen Studien und Daten gegeben habe, welche zu der von den Regierungen wegen der Corona-Krise verfügten Schließung der Geschäfte des Einzelhandels berechtigt hätten.

Sein Institut hatte überhaupt die ersten genauen einschlägigen Untersuchungen durchgeführt. „Wir haben kein lebendes Virus auf irgendwelchen Oberflächen gefunden“, erklärte Professor Streeck. „Es gibt keine Gefahr, jemand anderen beim Einkaufen zu infizieren“, sagte er. Zu Infektionen sei es „beim Apres-Ski in Ischgl, bei der Party in Berlin, bei Fußballspielen in Bergamo“ gekommen. „Das kam aus keinem Supermarkt, keiner Fleischerei oder [aus einem] Restaurant. Es kam aus einem engen Beisammensein für längere Zeit.“

Streeck ist am Abend bei Markus Lanz sogar ironisch geworden: „Wir haben noch nie von Infektionen in Friseursalons gehört“, sagte er, „und jetzt sind die Friseusalons geschlossen.“ Er hält es daher für „extrem wichtig, über eine Exit-Strategie zu sprechen.“ Das betrifft ebenso den Einzelhandel mit Büchern:

Es gibt keine wissenschaftliche Begründung für die von der Politik  Verfügte Schliessung von Buchhandlungen. Sie hat sich als voreilig und unnötig erwiesen.

Im Laufe der Woche wurde dann ersichtlich, dass der rigorose politische Maßnahmenkatalog  bei einer einseitigen Ausrichtung auf die Virologie  und Fragen der physischen Gesundheit  weitreichende Probleme aufwirft, die aus der Perspektive anderer Wissenschaften wie der Ökonomie, der Soziologie, dem Straf-und Verfassungsrecht,  der Staatswissenschaft,  der Psychologie, der Ethik und der Kulturwissenschaften akut werden – dass er beispielsweise Menschenrechte und bürgerliche Grundrechte verletzt.

Solche  gravierenden, von führenden Wissenschaftsvertretern in den Talkshows von Markus Lanz und Maybritt Illner (am Donnerstag )  vorgebrachten Bedenken sind in der Mediathek von ZDF bzw. ARD  nachzuhören. An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, dass der Katalog in etlichen zentralen Punkten keineswegs einfach als „alternativlos“ hingenommen werden darf (um eine gern benutzte Rechtfertigungsvokabel Angela Merkels zu zitieren). Anders gesagt:

Die Bundesregierung und die Landesregierungen stehen in der Pflicht, alles zu tun, um die gesundheitlichen Gefahren einer Corona-Virus-Pandemie unter Kontrolle zu bringen – ABER in Rücksicht und Sorge um das verfassungsmäßig garantierte wirtschaftliche, soziale, politische, lebensgerechte, freiheitliche und  berufliche Wohlergehen der ganzen Gesellschaft wie der individuellen Bürgerinnen und Bürger  – um nicht nur eine gesundheitliche Katastrophe zu verhindern, sondern auch ganz andere in Folge der  Pandemie und ihrer Bekämpfung drohende Katastrophen zu verhindern. Und dazu gehört eben auch die Sicherung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Büchern als geistigen Lebensmitteln.

Die dazu erforderliche Infrastruktur des stationären Buchhandels ist durch die verfügte Schließung der Läden fundamental gefährdet.

Der Unternehmensberater Dr. Walter Kohl hat das am Dienstag, dem 1. April bei Markus Lanz überzeugend ausführlich dargelegt:

Die von der Bundesregierung beschlossenen und vom Finanz- und vom Wirtschaftsministet verkündeten finanziellen Milliardenhilfen für die mittelständische deutsche Wirtschaft werden die bedürftigen Unternehmen – bzw. der ein Großteil von ihnen – überhaupt nicht erreichen können, oder zu spät kommen und ihre Zukunft nicht sichern könnnen, weil sie über den normalen Bankenweg laufen und an wirtschaftlich unerfüllbare Bedingungen geknüpft sind. Das betrifft auch den stationären Buchhandel. Auch aus diesem Grund ist die Verfügung zur Schließung seiner Läden unverzüglich aufzuheben.

Sie muss auch noch aus einem weiteren Grunde widerrufen werden: Das  jüngste Verhalten von Amazon – siehe meinen Kommentar zur Vorwoche – ist Teil der Unternehmensstrategie dieses IT—Megakonzerns, den örtlichen Einzelhandel mit gedruckten Büchern zu schwächen, um seine Kindle-Ebooks auf dem Markt durchzusetzen.

Ohne eine prompte Wiederöffnung unserer stationären Buchhandlungen wäre also auch die Existenz und die Arbeit unserer Verlage aufs Spiel gesetzt und zudem die Existenz und die Arbeit der deutschen Autorinnen und Autoren, der Übersetzerinnen und Übersetzer und anderer, so dass dem geistigen Leben unseres Landes  der Boden entzogen wäre.

Die Strategien der amerikanischen  IT-Megakonzerne  laufen systematisch auf die Disruption und Zerstörung der traditionellen Marktwirtschaft hinaus, die den Wohlstand der westlichen Welt begründet hat und trägt.

IT-Kritiker und Reformer wie Jaron Lanier, Andrew Keene und Sarah Spiekermann weisen in ihren Büchern, die zur Pflichtlektüre aller Politiker werden müsste darauf hin, dass gegen die Übermacht dieser gegenwärtig  politisch nicht kontrollierbaren globalen Giganten eine neue Art von IT-Technologie entwickelt und politisch gefördert werden muss. Auch in dieser Richtung ist jedoch der unabhängige Buchhandel für unser Land unentbehrlich.

Es ist auch von der Branche selbst,  viel zu wenig thematisiert worden und vielen leider überhaupt erst in Folge der Pandemie-Gefahr bewusst geworden,  welche Bedeutung in diesem Sinne die innovative Tätigkeit selbständiger Sortimenter hat.

Die stationären Buchhandlungen müssen unverzüglich wieder öffnen dürfen, damit ihre Existenz gesichert wird und sie ihre Online – Aktivitäten ausbauen können und in neuen Ko-Operationsformen mit Verlagen und Autoren  lokal bzw. regional zu Zentren des  geistigen und kommunikativen Lebens in unserem Land werden. Um die hier gemachten Anfänge entscheidend weiterführen zu können, müssen sie JETZT gegen Amazon aktiv werden können. Dazu benötigen sie Stabilität, Planungssicherheit und politische Unterstützung. Die Politik hat die Digitalisierung Deutschlands als eine  vorrangige politische Aufgabe erkannt und ausgegeben. Für diese Zielsetzung braucht sie den stationären Buchhandel als unverzichtbaren., dynamischen Partner.

Die Politik  muss auf eine Erneuerung und Stärkung der Kommunen hinarbeiten. Das ist seit 2015, seit  den Defiziten in der Flüchtlings- und Asylpolitik des Bundes als dringendes Erfordernis offenbar geworden.

Die Bestseller des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer sind wegweisend geworden. Die jetzigen Gefahren einer Pandemie stellen insbesondere die Kommunen wiederum vor neue Herausforderungen.

Buchhandlungen sind traditionelle Nervenzentren des kommunalen, regionalen, urbanen Lebens. In der Verbindung von Standards der Tradition mit den Möglichkeiten der Digitalisierung und digitaler örtlicher und regionaler Netzwerke werden sie zu möglichen Schrittmachern im notwendigen weiteren Aufbau eines neuen demokratischen, geistigen, sozialen und wirtschaftlichen städtischrn Lebens. Auch darum müssen die stationären Buchhandlungen unverzüglich wieder öffnen dürfen – damit  wir alle miteinander uch eine gute politische Zukunft haben werden.

Gerhard Beckmann

Wenn Sie mir schreiben wollen:  gha-beckmann@t-online.de

 

Kommentare (5)
  1. Es ist mir unerträglich, diese Ausführungen zu lesen, Herr Beckmann!
    Sie zitieren alles, was irgendwer gesagt hat, nur um Ihre eigene Position zu manifestieren. Ich leide mit allen Verlagen, Buchändlern, Autoren und Illustratoren in dieser Zeit, komme selbst aus dieser Branche und bin Mutter einer Tochter, deren Bücher (zwei Neuerscheinungen im Frühjahr 2020) wegen der Krise nicht zu ihrem Unterhalt beitragen werden. Ich weiß, was die Schließungen der Buchhandlungen bedeuten. Aber Ihren Beitrag lesen zu müssen, Herr Beckmann, macht mich betroffen. Das Problem sind nicht verantwortungsvolle Politiker, sondern Polemiker die nach Aufmerksamkeit suchen und das unter der Verpackung von Besorgnis tarnen. Die gesamte Wirtschaft wird unter der Krise leiden, aber danach hat sie auch alle Chancen wieder zu genesen. Das haben die vielen Toten der Krise nicht und die haben weder in Ischgl oder sonstwo in einer Bar gesessen.
    Die hatten vielleicht nur Kontakt mit einem lieben Angehörigen, der ihnen schnell ein gutes Buch aus der Buchhandlung vorbeibringen wollte.

  2. Wer wünscht sich nicht, dass die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns überschaubar bleiben mögen. Wir Buchmenschen wünschen uns besonders, dass unsere Branche keinen ernsthaften, auf Dauer bleibenden Schaden nimmt.
    Derzeit sind wir mit Umsatzeinbrüchen und Remissionsquoten konfrontiert, die sich vor einigen Monaten niemand hätte vorstellen können. Aber ist dies ein Grund, nun das Ende der beschlossenen Maßnahmen zu fordern? Unsere Gesetzgebung sieht aus gutem Grund die Möglichkeit vor, auch Grundrechte einzuschränken, wenn dies einem höheren Ziel dient, etwa dem Schutz von Leben und Gesundheit. Ist die Einsicht so schwer, dass in der gegenwärtigen Situation medizinische Versorgung, Essen und Trinken überlebensnotwendig sind, Bücher aber gerade mal eine Zeitlang nicht?
    Natürlich lassen sich für die These, „warum die prompte Wiedereröffnung der stationären Buchhandlungen zwingend ist“, Befürworter finden und auch solche, die ihre Meinung im Fernsehen vertreten. Gegenargumente ließen sich ebenfalls finden; sie werden hier nicht erwähnt. Wirtschaftliche Interessen mit dem Verweis auf das Kulturgut Buch zu verbrämen finde ich billig und jetzt von der Politik Hilfe gegen Amazon zu verlangen ebenso.
    Sollten wir uns nicht stattdessen auf die Stärken der Buchbranche besinnen? Bücher verderben nicht wie Obst und Gemüse, sie haben kein Verfallsdatum und verlieren anders als Zeitungen und Zeitschriften ihre Aktualität nicht nach einem Tag oder vier Wochen. Trauen wir unserem „Produkt“ keine Langlebigkeit mehr zu? Und welche Branche ist so privilegiert, in dieser Krise ihre Ware trotzdem verkaufen zu können? Der Buchversand macht es möglich, die Fantasie zahlreicher Buchhändlerinnen und Sortimenter scheint kaum Grenzen zu kennen. Und ein Großteil der Inhalte ist digital und sofort verfügbar.
    Ich beschönige nichts. Es sind Existenzen gefährdet und Menschen werden ihren Arbeitsplatz verlieren und andere ihre Träume aufgeben müssen. Die Verlags- und Buchhandelswelt werden sich verändern. Welche Chancen das vielleicht auch bieten kann, ist im Moment nicht abzusehen und auch nicht tröstlich. Aber wenn es um die Zukunft der Seelennahrung Buch geht, ist ein langer Atem gefragt und nicht die lauteste Stimme.

  3. Wir haben unsere Buchhandlung am 18. März geschlossen, haben kräftig die Werbetrommel gerührt und bekommen jetzt viele Bestellungen von unserer Kundschaft, die WIR SELBST ausliefern. Das ist erschöpfend, aber wirtschaftlich auskömmlich bis jetzt.
    WENN wir jetzt wieder öffnen dürfen UNTER DER BEDINGUNG, dass sich nur eine GEWISSE ANZAHL VON MENSCHEN in der Buchhandlung aufhalten darf, dann werden wir das auf keinen Fall überleben. Nicht einen Monat. ALSO VORSICHT MIT DIESER FORDERUNG.

  4. Glücklicherweise hat es Frau Behl auf den Punkt gebracht. Danke! Ich hätte es so nicht formulieren können. Was ist das denn für ein Text? Liebe Buchmarkt-Redaktion, bitte lesen Sie, was Sie veröffentlichen. Das ist ja hochgefährlich! Dass nicht alle einer Meinung sind, das ist normal, das ist auch richtig. Aber dieser Text macht mich absolut betroffen.

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