Auch nach der Absage der Leipziger Buchmesse möchte sich das Gastland Portugal in diesem Frühjahr dem deutschen Lesepublikum präsentieren. Im Sonntagsgespräch haben wir mit Patrícia Salvação Barreto, Kulturrätin der Botschaft von Portugal in Berlin, über die Enttäuschung über die Absage, geplante Aktionen und die Besonderheiten der portugiesischen Literatur gesprochen.
Sie als Gastland haben angekündigt, dem deutschsprachigem Publikum in diesem Frühjahr trotz der Absage der Leipziger Buchmesse die Vielfalt der portugiesisch-sprachigen Literatur präsentieren zu wollen. Welche Veranstaltungen und Aktionen sind geplant?
Portugal, Gastland der Leipziger Buchmesse, die zum dritten Mal in Folge abgesagt wurde: das war eine Enttäuschung. Für den Enthusiasmus, das Engagement und die Energie, mit der wir uns dafür einsetzen, den Reichtum und die Vielfalt der portugiesischsprachigen Literatur aus Europa und Afrika mit dem deutschen Publikum zu teilen. Paradoxerweise – oder auch nicht – hat uns diese Enttäuschung einen zusätzlichen Ansporn gegeben: nämlich uns noch stärker für die Verbreitung dieser reichen, lebendigen und klangvollen Literatur in Deutschland einzusetzen.
Wie wollen Sie jetzt ohne Messe für diese Verbreitung sorgen?
Wir haben eine Delegation von zehn Schriftsteller:innen, die nach Leipzig kommen werden, um über Themen wie Europa und Populismus, Afrika und Portugal in ihren jeweiligen Literaturen zu diskutieren, mit der unausweichlichen Frage des Postkolonialismus, der Poesie, unerwarteten und inspirierenden Reisen, den Heldinnen in unseren literarischen Hauptwerken, zwei Ausstellungen, die an den Nobelpreisträger Saramago erinnern, oder an Sophia Andresen, eine Dichterin, deren Werk fast vollständig ins Deutsche übersetzt worden ist. Die Unruhe, das Fantastische und die Entzauberung als Inspirationsquellen des künstlerischen Schaffens sind auch in unseren Debatten präsent.
Von allen Autoren, die uns begleiten, liegen jüngst ins Deutsche übersetze Werke vor: Djamilia Almeida, Gonçalo M. Tavares, Yara Monteiro, José Luís Peixoto, Paulo Moura, Dulce Maria Cardoso, Irene Pimental, Margarida Vale de Gato, Tatiana Salem Levy und Luís Quintais.
Zum Abschluss unseres Programms gibt es ein Konzert von Rodrigo Leão unter dem Motto “A Estranha Beleza da Vida” (Die seltsame Schönheit des Lebens), ein herausfordernder und zugleich poetischer Titel, der dem Leipziger Publikum portugiesische Klänge in unerwarteten und inspirierenden Begegnungen zeigen wird.
Am 8. Februar ist Ihre Buchhandelskampagne mit einem digitalen Event gestartet, ca. 100 Buchhändler*innen waren dabei. Haben sich die Buchhandlungen von der Diskussion um die Messe irritieren lassen? Wie lief das Event?
Vor der Absage der Messe hatten wir eine Buchhandelskampagne gestartet, die vor einigen Tagen Buchhändler zu einem lebhaften und unterhaltsamen Online-Treffen zusammenbrachte.
Ich glaube nicht, dass jemand über die Absage der Messe glücklich war. Immerhin, zum dritten Mal in Folge, ohne Berücksichtigung der Möglichkeit, sie auf einen Zeitpunkt zu verschieben, der unter Pandemiegesichtspunkten sicherer und für das Verlagswesen und den Buchhandel gleichermaßen interessant wäre.
Die Kick-off-Veranstaltung buch@handel sorgte für eine reiche Teilnahme, war interessant und hat uns drei Stunden lang sehr gut informiert und unterhalten. Mehrere Dutzend Buchhändlerinnen und Buchhändler nehmen an unserem „Schaufensterwettbewerb“ teil. Es geht darum, die Buchhandlung zu belohnen, die die originellste und kreativste Idee hat, wie sie die kürzlich ins Deutsche übersetzten Bücher portugiesischer Autoren präsentieren kann.
Der diesjährige Gastland-Auftritt steht unter dem Motto „Die unerwartete Begegnung des Verschiedenartigen“. Was bedeutet dieses Motto und wie repräsentiert es die Autor*innen, die Portugal in diesem Jahr feiern möchte?
Die ständige und beharrliche Suche nach dem, was vielfältig ist, die permanente Neugier auf das, was uns unterscheidet, ist meiner Meinung nach ein bemerkenswertes Merkmal der portugiesischen Kultur. Was wir mitnahmen und was wir von anderen Völkern mitbrachten, ist vielleicht das Rückgrat unserer Identität. Und natürlich spiegelt sich dieses weltliche und auffällige Element in der Literatur wider, vielleicht noch deutlicher als in anderen künstlerischen Ausdrucksformen. Die in Leipzig vorgestellten Autoren und Werke sind Ausdruck dessen. Wir brauchen uns nur die Bücher anzusehen, die Gegenstand der Diskussion sein werden.
Bis Mai 2022 werden über 50 neue Titel erschienen sein, die mit Fördermitteln der portugiesischen Regierung ins Deutsche übersetzt wurden. Mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten setzen sich insbesondere die portugiesisch-sprachigen Newcomer auseinander?
In den letzten 18-20 Monaten wurden 54 Werke ins Deutsche übersetzt, wobei eine Förderlinie genutzt wird, von der ausländische Verlage, in diesem Fall solche aus dem deutschsprachigen Raum, profitieren können. Die Entscheidung, welche Titel übersetzt werden sollen, liegt bei den Verlegern, nicht bei der portugiesischen Verwaltung. Es lässt sich jedoch eine große Vielfalt von Interessengebieten feststellen. Sie reichen von den aktuellsten Themen des Postkolonialismus und der Gleichstellung der Geschlechter bis hin zu umfassenderer Gesellschaftskritik, von zeitloser und kontemplativer Poesie bis hin zum Briefwechsel zwischen ruhelosen Seelen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Mit anderen Worten: Es besteht ein echtes Interesse an den unterschiedlichsten literarischen Gattungen.
Ein Gastland ohne Messegelände – in gewisser Weise sind Sie damit Pioniere. Welche Atmosphäre erwarten Sie in Leipzig?
Wie ich bereits sagte, hat uns die Absage der Messe paradoxerweise – oder auch nicht – nur darin bestärkt, uns noch mehr anzustrengen, um einer lebendigen und unerwarteten Literatur eine Bühne zu geben, von der wir sicher sind, dass sie ein breites Publikum interessieren wird. Wir hätten zweifellos eine Präsenz auf der Messe bevorzugt. Nach dieser letzten Absage konnten wir auf gar keinen Fall darauf verzichten, etwas zu teilen, von dem wir sicher sind, dass es anregend, bereichernd und von enormer Qualität sein wird. Ich weiß nicht, ob das bahnbrechend ist. Ich weiß, dass dies der richtige Weg ist.