Wir haben mit den Sprechern des Zukunftsparlaments (ehemals Nachwuchsparlament) Tobias Groß und Florian Noichl darüber gesprochen, wie attraktiv die Buchbranche für jüngere Generationen ist, wo und wie diese erreicht
werden können – und warum zur Zukunft der Branche mehr gehört als nur Nachwuchs
BuchMarkt: Seit Anfang März fungiert das Nachwuchsparlament unter
neuem Namen „Zukunftsparlament“. Was hat es mit der Umbenennung auf sich? Warum ist der Begriff so entscheidend?
Florian Noichl (FN): Der Stellenwert der jungen Buch- und Medienmenschen in
unserer Branche geht mittlerweile weit über das hinaus, was allgemein als Nachwuchs verstanden wird. Mit der Fokussierung auf den Begriff „Zukunft“ wollen wir deshalb deutlich machen, dass die junge Generation diejenige ist, welche die Branche perspektivisch prägen wird. Schließlich sind wir die Mitarbeitenden, Führungskräfte und Entscheider:innen von morgen.
Tobias Groß (TG): Doch was uns wichtig zu betonen ist: Das bedeutet nicht, dass
nur wir allein für die Zukunft der Branche stehen. Gerade in der Verbindung neuer
Perspektiven mit der Erfahrung älterer Generationen liegt aus unserer Sicht
riesiges Potenzial. Schließlich sind ein Miteinander der Generationen und das
gemeinsame Entwickeln von Ideen eine echte Basis für den Erfolg unserer Branche. Zusammen bauen wir die Brücken in die Zukunft.
Wie wollen Sie – nunmehr Sprecher:innen des Zukunftsparlaments
– dafür sorgen, dass die Themen des Branchennachwuchs und der jüngeren Generationen Gehör finden?
FN: Ohne die Anwesenheit der jungen Generation steht der Branche eine schwierige Zukunft bevor, weshalb die Perspektiven der angehenden und bereits gut ausgebildeten jungen Fachkräfte von immenser Wichtigkeit sind. Das wachsen lassen und (noch) nicht wirklich ernst nehmen war einmal – und ist im Angesicht künftiger Entwicklungen fahrlässig. Daher ist ein Miteinander auf Augenhöhe, ein
„miteinander Neues denken“, für alle Akteur:innen das unumgängliche Gebot
der Stunde.
Was sind die zentralen Themen, die für den Nachwuchs innerhalb der Branche relevant sind?
TG: Neben den bereits bekannten Dauerbrennern, stehen vor allem mentale
Gesundheit und ein neues Verhältnis von Arbeit und Freizeit im Mittelpunkt unseres Interesses. Wie können wir Arbeitszeiten neu gestalten und gleichzeitig erfolgreiche Unternehmensergebnisse im Blick haben? Welche alternativen Möglichkeiten zu etablierten Vorstellungen von Leben und Beruf sind denkbar und wie können wir generationsübergreifend Visionen entwickeln, die aus unterschiedlichen Perspektiven zufriedenstellend sind? Als Zukunftsparlament wollen wir weg vom Kritisieren des Bestehenden, hin zu konkreten, sicherlich auch diskutablen Ideen und Konzepten – die wir in Pilotprojekten gemeinsam auf ihren Erfolg überprüfen können.
FN: Auch der der Krieg in der Ukraine und die Sorge um die Demokratie mitsamt
ihrer zunehmenden Gefährdung durch rechte Kräfte, bereiten uns große Sorgen,
ganz besonders im Hinblick auf die anstehende Europa- und die Landtagswahlen
im Herbst. Die junge Buchbranche stellt sich eindeutig gegen die abscheulichen
und menschenverachtenden Ansichten dieser sogenannten „Alternative”. Diversität, Weltoffenheit und Toleranz sind für uns eine Selbstverständlichkeit, Hass und Hetze verurteilen wir zutiefst. Hier gehen die Buchbranche und die Zukunfts-AG mit diversen Kampagnen sowie aktiver Teilnahme an Veranstaltungen und Demos mit ermutigendem Beispiel voran.
Haben Sie denn den Eindruck, dass Ihre Anliegen in der Buchbranche
ernstgenommen werden?
TG: Die Nachwuchsförderung ist eindeutig eines der zentralen Themen der Branche. Die Anliegen und die Meinungen der jungen Beschäftigten wurden wohl noch nie so ernstgenommen und geschätzt wie aktuell. Es besteht großes Interesse an unseren Sichtweisen und Meinungen, was ja auch in der selbstbewussten Namensänderung deutlich wird. Erfreulicherweise kommen immer mehr Branchenteilnehmer:innen von sich aus auf die Taskforces der Zukunfts-AG und auf uns Sprecher zu. Sie laden AG-Mitglieder und uns vermehrt zu verschiedenen Formaten ein, sodass wir unsere Standpunkte auf Augenhöhe einbringen und kommunizieren können.
Es wird zuletzt zunehmend darüber diskutiert, wie die Branche für einen stärkeren Zufluss an Nachwuchskräften sorgen kann. Betreffen die diesbezüglichen Schwierigkeiten Verlags- und Handelsseite gleichermaßen?
FN: Durch unsere regelmäßigen Gespräche mit Branchenmitgliedern aller
Bereiche können wir sagen, dass beide Seiten davon betroffen sind – jedoch in
jeweils unterschiedlichen Ausmaßen. Im stationären Handel scheint neben einem
attraktiven Profil der Buchhandlung (u. a. über Social Media) der Standort eine wesentliche Rolle zu spielen, was in der Akquise neuer als auch im Halten von fertig ausgebildeten Nachwuchskräften sichtbar wird. Beide bereiten aktuell Schwierigkeiten. Bei den Verlagen ist mittlerweile das Finden zum Problem geworden. Doch nicht in allen Bereichen, so sind Stellen im Lektorat weiterhin sehr begehrt und werden schnell besetzt. Jedoch werden freie Volontariatsstellen immer öfter nicht vergeben, ebenso ist die Anzahl an abgeschlossenen Ausbildungsverträgen bei den Medienkaufleuten stark rückläufig.
Was spricht aus Ihrer Sicht für einen Berufseinstieg im Buchhandel?
TG: Wer spricht noch nach Feierabend leidenschaftlich über seine Arbeit? Die
eigene Begeisterung für Literatur mit anderen Menschen zu teilen, und das
hauptberuflich, ist ein großes Geschenk und sehr sinnstiftend. Buchhändler:innen,
die ihren Job mit Freude ausüben und diesen tatsächlich leben, sind doch die
beste Werbung für den Buchhandel, die wir uns wünschen können. Zudem trägt
der Buchhandel mit seinem Sortiment und Angeboten zur Leseförderung wesentlich zu einer toleranten und vielfältigen Gesellschaft bei. Daneben bieten
Weiterbildungen wie der Fachwirt die Möglichkeit, sich bei Interesse beruflich
weiterzuentwickeln.
Der Buchhandel hat als Einzelhandel Schwierigkeiten, gestiegenen Anforderungen potenzieller Bewerber:innen nach mehr Flexibilität nachzukommen. Wie kann er sich dennoch als attraktiver Arbeitgeber präsentieren?
TG: Buchhändler:innen üben einen der schönsten Berufe der Welt aus. Ein Beruf,
um den uns viele unserer Kund:innen beneiden. So hören wir nicht selten, dass
sich viele die Arbeit in Buchhandlungen vorstellen können – wenn sie nur davon
gewusst hätten. Der Buchhandel als Arbeitgeber muss noch sichtbarer werden
und aktiv Werbung für sich machen, seine Bedeutung als Kultur- und Wirtschaftsbranche stärker betonten. Der Börsenverein setzt deshalb verstärkt auf eine Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit, beispielsweise indem er digitale Elternabende veranstaltet, in welchen Berufsmöglichkeiten präsentiert werden und Branchenunternehmen sich vorstellen. Darüber hinaus sollten wir uns noch mehr um potenzielle Quereinsteiger:innen kümmern, die sich vorstellen können, ihre Leidenschaft für das Buch zum Beruf zu machen.
Zuletzt wurden gestiegene Zahlen hinsichtlich der abgeschlossenen Ausbildungsverträge vermeldet. Wie lässt sich das erklären?
FN: Ohne Frage tragen erfolgreiche Social Media-Aktivitäten von Filialunternehmen und vieler engagierter Indie-Buchhandlungen zu diesem Zufluss bei. Deren Präsentationen werden dank einer aufmerksamen Verlagswelt ermöglicht, welche sich schnell auf neue Trends einstellte und Genres wie Young und New Adult auf ein ganz neues Level gehoben hat. Dank dem Zwischenbuchhandel und seinen eigens dafür kuratierten Paketen, können auch kleinere Buchhandlungen am Erfolg von Manga, fremdsprachigen Büchern und Co. teilhaben, ohne Vergleiche mit großen Branchenteilnehmer:innen scheuen zu müssen – auch als attraktive Ausbildungsstandorte.
Welche Rolle spielen die Social Media-Präsenzen der Buchhandlungen bei der Suche nach Bewerber:innen?
FN: Wie wir feststellen können, funktioniert das Anwerben von Bewerber:innen
mit diesen Mitteln sehr gut. Da diese Beiträge aber ja nur einen kleinen Teil
des beruflichen Alltags im stationären Handel vermitteln, werden wir uns vermehrt um das Halten von ausgelernten Auszubildenden kümmern müssen. Buchhändlerischer Alltag und Vorstellungen gehen mitunter weit auseinander. Ist
der Video-Dreh vorbei, müssen nun einmal auch Remittenden gepackt oder ein
Schulbuchgeschäft überstanden werden, ohne die Begeisterung zu verlieren und
Enttäuschung zu erzeugen.
Muss die Branche sich insgesamt anders präsentieren, um attraktiver zu erscheinen?
TG: Als Buchbranche haben wir eine große Anziehungskraft auf engagierte
und qualifizierte junge Menschen, die sehr viel Idealismus mit sich bringen.
Sich ändernde Anforderungen an den Arbeitsalltag, müssen gerade von einer
Branche verstärkt erprobt werden, welche im Gehaltsvergleich wenig punkten
kann. Möglichkeiten flexiblen Arbeitens und alternative Möglichkeiten für ein
harmonisches Gleichgewicht aus Leben und Beruf, dürfen kein No-Go sein, um
weiterhin attraktiv zu bleiben. Auch müssen wir mehr nach außen tragen, wie grün
der Buchhandel bereits im Vergleich zu anderen Handelsbranchen ist.
Die Fragen stellte Jörn Meyer
(der Beitrag erschien zuerst in BuchMarkt 02/2024)