Beckmann kommtiert Amazon-Diskussion läuft in die falsche Richtung

Die dringend nötige öffentliche Debatte über Amazon und E-Books ist kaum angestoßen, da droht sie auch schon in eine falsche Richtung zu laufen. Ein Appell an den Buchhandel und die Verlage, hier selbstkritisch Klarheit zu schaffen, um eine praktische Lösung der Probleme zu ermöglichen.

Der hochinteressante Film von Elmar Theveßen, den das ZDF gestern Abend ausstrahlte, trägt den Titel „Verschwörung gegen die Freiheit“. Als ein wesentlicher Mitspieler dieser Verschwörung, die auf eine „geheime Weltregierung“ abzielt, wird Jeff Bezos mit seinem Amazon-Imperium dargestellt. Und es ist ja wichtig, Amazon neben IT-Konzernen wie Google, Facebook und Yahoo Hand in Hand mit dem amerikanischen Geheimdienst NSA und seinem britischen Äquivalent GCHQ als Wegbereiter und Herrscher einer total überwachten und bis auf den letzten Menschen im Detail kontrollierten Welt zu sehen. “Jede Bestellung drückt einen Wunsch aus und lässt auf das Verhalten des Betroffenen schließen“, schrieb Michael Hanfeld im Vorbericht auf der Medienseite der F. A. Z. „Und dann beginnt das Spiel erst, betrieben von denen, die alles wissen und jeden jederzeit manipulieren können.“

Das ist eine allgemeine Warnung. Jeder Bürger sollte auf sie hören. Sie ist politisch. Sie ruft die Politik zum Gegensteuern auf. Da kann man nun leicht versucht sein, den momentanen E- Book-Konflikt Amazons mit den Verlagen unter diesem Aspekt zu subsumieren. In diese Richtung weist bedauerlicherweise auch die lange, zentrale Aussage eines Insiders der Buchbranche in dem ansonsten sachlich erstklassigen Feuilletonbericht der F.A.Z. von Andreas Platthaus.

„Der Streit um die Rabatte in diesem Segment der E-Books ist nur vordergründig“, erklärt dort der Berliner Literaturagent Matthias Landwehr. „Im Hintergrund steht das Ziel, das E- Book-Geschäft der Buchverlage zu zerstören, es allein zu betreiben und dann den Autoren die Bedingungen zu diktieren.“ Dieses Zitat hat wohl zur Überschrift vom Marsch “in die totalitäre E-Welt“ geführt.

Es ist verständlich, wenn Landwehr den Konflikt auf diese Weise an die große Glocke hängen zu können glaubte. Ihm muss jedoch scharf widersprochen werden, insoweit es die konkreten Zielsetzungen von Amazon betrifft: Da hat er die einschlägigen Recherchen und Diskussionen zum Online-Konzern in Amerika nicht gekannt oder gerade vergessen. Ebenso wichtig ist jedoch eine zweite Kritik: Seine Interpretation weist in eine m. E. völlig falsche Richtung zur Lösung der aktuellen Problem mit Amazon. Wenn er recht hätte, könnte nur die Politik noch einen Ausweg aus dem globalen Dilemma ermöglichen: mit einer prinzipiellen Verhinderung der E-Book- Pläne Amazons per Gesetz – was von vornherein illusionär wäre und somit nur dem guten alten deutschen Kulturpessimismus erneut Vorschub leisten würde. Und es stimmt traurig, dass der Börsenverein des Deutschen Buchhandels in einer vielleicht allzu raschen Reaktion auf die Überschrift und dieses Zitat des F.A.Z.-Artikels gleich nach einem neuen Gesetz zur Regulierung der E-Book- Rabatte in Deutschland rief.

Die ganze Angelegenheit ist dann eben doch nicht für eine der üblichen großen deutschen Feuilleton-Debatten geeignet. Und für die Buchbranche sind solch quasi metaphysischen Angehensweisen pures Gift, weil sie nur wieder zum sattsam bekannten Werfen von Nebelkerzen führen – was diesmal ernsthafte Folgen haben könnte. Die Branche ist zunächst einmal gefragt, für sich ein paar dringliche Sachverhalte zu klären.

Denn bei dieser misslichen Auseinandersetzung geht es gar nicht um E-Books per se. Da geht es doch um ganz andere Dinge. Im übrigen muss endlich mal eine andere falsche Meinung korrigiert werden, die in den Medien fröhliche Urständ feiert. Es ist nämlich mitnichten ein E-Book-Spezifikum, dass Amazon auf Erpressung setzt, um höhere Rabatte herauszuschinden. Mit dergleichen Mitteln versucht dieser Konzern es seit Jahren schon bei gedruckten Büchern. Publik ist es nur deshalb nicht geworden, weil die betroffenen Verlage auch da brav geschwiegen haben. Denn dieser Konzern kann es auf den Tod nicht leiden, dass herauskommt, was hinter seinen auf Hochglanz polierten Fassaden vor sich geht. Diesbezüglich übt er zusätzlichen Druck auf Verlage aus und verbreitet Angst – die Angst vor Repressalien, insbesondere die Angst, von Amazon komplett ausgelistet zu werden. (So etwas soll in Deutschland auch schon vorgekommen sein.) Auf die Weise wird die Mauer des Schweigens immer dichter und sozusagen zum festen Bestandteil der Branche. Aber auch sie ist ja alles andere als ein Novum. Sie ist bereits lange vor Amazon von den Verlagen hochgezogen worden. Wer allen Ernstes versuchte, dahinter zu kommen, wie und was da Großfilialisten und Verlage an immer heikleren Einkaufsrabatten und fraglichen Sonderkonditionen ausbaldowerten, weiß um die Schwierigkeiten des Überwindens dieser alten Schweigemauer.

In diesem Gesamtzusammenhang muss also der E-Book-Zwist zwischen Amazon und den Verlagen erst einmal überhaupt angemessen wahrgenommen werden. Aus der Perspektive muss ein rechtes Bewusstsein für die mit ihm verbundenen Probleme entwickelt werden. Mit abstrakten Kultur-Spekulationen sind sie nicht zu lösen. Und ob der hurtige Hilferuf an Regierung und Legislative, den E- Book-Handel der Verlage per neuem Gesetz vor Amazon zu schützen, in Berlin offene Ohren finden wird, dürfte mehr als fraglich sein (nach allen Beobachtungen des praktischen Umgangs der Branche mit dem Preisbindungsgesetz, die m. W. Abgeordneten des Bundestags nicht immer verborgen blieben). Verlage und Buchhandel müssen jetzt schon mal selbst einen Weg aus dem Schlamassel suchen und dann auch konsequent gehen.

Es genügt nicht mehr, Weltmeister im Jammern und Zähneklappern zu sein, ohne sich an die eigene Brust zu schlagen und Selbstkritik zu üben. Mit den bisher üblichen wohlfeilen Ausflüchten ist jedenfalls kein Durchkommen mehr. Amazon kommt aus einer anderen Liga als die bekannten Großfilialisten und ist, anders als sie, kein Gegner, der irgendwie doch noch in gleichen Boot sitzt, sondern ein gnadenloser Feind.

Die Buchbranche sollte sich ein Beispiel an dem britischen Feldmarschall Montgomery nehmen. Auf die Frage, warum ausgerechnet ein Foto von Erwin Rommel an der Wand seines Hauptquartiers in der nordafrikanischen Wüste hänge, soll er – sinngemäß – geantwortet haben: Man muss seinen Gegner immer vor Augen haben.

Um eine treffende Vorstellung von Amazon zu gewinnen, sollte in den Verlagen zumindest jeder im Vertrieb und in jeder Buchhandlung alle leitenden Mitarbeiter und Verkäufer, jeder Kulturjournalist, Branchen- und Medienexperte sehr gründlich ein Buch lesen. Es hat den Titel Jeff Bezos: der Allesverkäufer und das Imperium von Amazon, geschrieben hat es Brad Stone. Es ist im vergangenen Oktober bei Campus erschienen und trotz hervorragender allgemeiner Rezensionen bisher viel zu wenig im Detail und mit Blick auf unsere Branche studiert worden.

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