Der Messe-Mayer Chorizo, Turban und Space Fiction

Liebe Freunde,

nur zwei Tage Messebetrieb (oder waren es drei?), und schon kann ich die Wochentage nicht mehr gut auseinanderhalten. Und die Jahre anscheinend auch nicht, denn diesen Spruch bringe ich jedes mal.

Mein Tag, nennen wir ihn einfach „heute“, begann mit einem Interview mit Fantasy-Ikone Markus Heitz, der bei Heyne mal in eine ganz andere Zeit gehüpft ist und mit „Collector“ seine erste Space Opera veröffentlicht hat.

Hierbei werden wir sogar von einem Kamerateam gefilmt, denn ein kleiner Teil meines Interviews ist dann im Yottaplayer zu sehen! Der Yottaplayer selbst ist leider nicht zu sehen, oder noch nicht, denn ich habe keine Ahnung, wie man diese TV-App einbindet. Oder wo. Oder wieso.

Zuallererst mal räumt Heitz alle Missverständlichkeiten zum Thema Science Fiction aus dem Weg: Weil er nun mit Science wirklich nichts am Hut habe, will Heitz sich lieber mit dem Begriff „Space Fiction“ bescheiden.

Was Heitz gerne lese, will ich wissen, aber Heitz schreibt mehr als er liest. Aber immerhin eint uns die Vorliebe zu Graphic Novels und Comics; dies scheint mir fast ein Gespräch von Nerd zu Nerd zu sein. Dann würde uns natürlich noch viel mehr einen: Die Freude an Zitaten und Verweisen zum Besispiel, die dem Genre innewohnt.

Dass Genreliteratur Bausteine mehr oder weniger variiert, die das Genre bestimmen, ist für Heitz gerade die Herausforderung, scheinbar vertrauten Themen Neues abzugewinnen. Dass sich solche Genre-Kracher immer gleich wie Kinofilme lesen, sieht Heitz durchaus als Kompliment, denn auf das Kopfkino zielt er ab. Ungeachtet dessen ist Hollywood (noch) außen vor, auch wenn „Die Zwerge“ schon seit ein paar Jahren immer wieder mal als Filmprojekt im Gespräch sei.

Wir plaudern also über Zombies und Star Wars, aber auch über Popkultur. Bis wir beide fast vergessen, dass wir eigentlich gerade auf der Arbeit sind. Wir haben beide alle alten Batman-Ausgaben von Ehapa! Und die gleichen Frisursorgen!

Und gleich rasieren wir uns.

Den Wechsel von der Fantasy zur Space Oper sei weniger ein Wechsel als vielmehr eine Besinnung auf Heitz‘ eigene Wurzeln, und die liegen beim Jahrgang 1971 nun mal bei Captain Future. Jetzt sei er nur noch gespannt, wie seine Fans das aufnehmen.

Anscheinend sehr gut: Heitz und ein Space-Fiction-Groupie

Und apropos Fans: Als großer Fan des Ausnahme-Künstlers Guido Sieber habe ich mich sehr gefreut, ihn im Comiczentrum signieren zu sehen. Aber ich war ganz erstaunt, wie er aussieht:

Die Wirklichkeit

…denn eigentlich stellt er sich in seinen Grafiken ganz anders dar:

Der Abgleich mit der Wirklichkeit

Aber das ist ja normal, dass ein Realitätsabgleich immer ein Erstaunen und Umbewerten zur Folge hat. Zum Beispiel wenn man die Kinderecken der Frankfurter und der Leipziger Messe vergleicht. Da schneidet Leipzig sehr beeindruckend ab, während Frankfurt eine abseitige Betonwand-Ecke mit Teppichbodenresten hinter dem Comiczentrum zur Verfügung stellt.

Aber für eine abseitige Betonwandecke ist es sehr hübsch geworden.

Heute möchte ich mich auch etwas mehr ums Essen kümmern (wenn schon nicht um bessere Unterbringung für Messekinder). Der Murmann-Verlag bietet Äpfel an, auf deren Schale das Verlagslogo mitreifen konnte!

Da der Murmann-Verlag und ich mit der gleichen Initialie beginnen, kann ich das „Wir“-Kampagnen-Foto ruhig auch privat nutzen.

Nele Süß bat mich nämlich um einen Besuch bei Murmann, aber jedesmal, wenn ich vorbeischaue, ist sie gerade Gassi oder beim Frisör oder wahrscheinlich neue Äpfel ins Solarium bringen.

Beim Gassigehen treffe ich immer wieder andere Rüden, zum Beispiel den Software-Spezialisten Andreas „Motherboarding“ Kemper, der für die Firma BookHit Messesüßigkeiten nach Riegeln sortiert.

Im Raucherzimmer von Halle 4.0

Oder man trifft Oliver Rohrbeck bei der Arbeit. Er verkörpert das andere Ende des Synchronsprecher-Spektrums: Während Christian Brückner sich wie ein 1000jähriger Weiser anhört, der sich nur von 1000jährigen Eiern ernährt, hat Rohrbecks Stimme das sagenhafte Kapital, für alle Zeiten wie ein 12jähriger zu klingen, der gerade Gummibärchen isst.

Sie sehen Rohrbeck, aber Sie hören Justus Jonas

Oder man trifft Jürgen Hees, meinen Kolumnistenkollegen von der Herwigschen Buchhandlung. Hees schreibt für die Bulletin Jugend & Literatur, und ich fand seine Kurzglossen immer sehr erfrischend. Bis ich sein Schwäbisch zum ersten mal gehört habe, das Friedrich Schiller zur Ehre gereichen würde. Hoffentlich kriege ich das wieder aus den Ohren, bevor ich seinen nächsten Text lese.

Einkaufstour nach Hanoi

Die ARD hat ihre Bühne dieses Jahr nicht in Halle 3 aufgebaut, sondern im Forum F.0, um näher an die Agora angebunden zu sein, wo sich noch viel mehr ARD befindet.

Beim Interview erwischt: Willemsen

Nun ist im Forum immer so angenehm wenig los, so dass man endlich mal bequem zugucken und -hören kann, wenn da Gespräche stattfinden.

Fantastische Aussicht auf kein Publikum

Umgekehrt ist es allerdings ein unschöner Nebeneffekt, dass die gewohnten Hundertschaften von Zuschauern nun ausbleiben. Da ist es ja wohl das mindeste, dass wenigstens die Essensdünste vom darüberliegendem Patio die kulturellen Gespräche versaftigen.

Wie jedes Jahr lasse ich mich von Accente-Allzweckwaffe Matthias Seuring durch die Kulinarik des Gastlandes führen. Allerdings wäre mir ein ganzes Steak doch des Guten zuviel, so dass ich mich auf argentinische Knoblauchwurst mit schwarzen Bohnen freue. Und danach noch einen hausgemachten argentinischen Vanillepudding mit Karamellsoße.

Käptn Seuring und Steuermann Seidel
Danach kann ich wieder stundenlang im Sattel sitzen

Die Argentinier sind als europäische Esser nicht so kompliziert wie Indien oder letztes Jahr China. Der Argentinier isst mitnichten bloß Fleisch, sondern greift auch gerne mal zu Gemüse, z.B. Fleischtomaten oder Einzelbohnen im Speckmantel. Vielleicht müsste Kooperationspartner Tre Torri mal ein Messekochbuch anbieten, das quer durch die Gastlandküchen der vergangenen Jahre führt.

Vielleicht aber auch nicht. Wurst mit Bohnen werde ich ja wohl gerade noch alleine hinkriegen.

Jedenfalls fühle ich mich nach dieser Mahlzeit inspiriert, auch weiterhin den Spuren Argentiniens nachzugehen. Hierzu begebe ich mich in Halle 5, wo das Ausland messt. Argentinien hat die lebendigste Literaturszene Südamerikas vorzuweisen. Argentinien ist also so etwas wie die Gringo-Version von Leipzig.

Ich befrage Annamaria Pino am argentinischen Gemeinschaftsstand nach den deutschen Lesegewohnheiten Argentiniens. Annamaria verweist auf Hesse, Grass und Goethe. Überall dasselbe. Ich frage sie aber nicht, ob sie Thilo Sarrazin kennt. Ich frage, was ihr an Deutschland am besten gefällt; und Annamaria schwärmt von der Verlässlichkeit und Organisiertheit deutscher Männer.

Und genau so einer bin auch ich.

Ich frage sie abwechselnd in langsamem Deutsch und höflichem Englisch, wann sie wieder in ihre Heimat fliegt, und sie sagt mir, dass sie Italienerin sei und in Stuttgart wohne.

Nun gut, der Argentinienschwerpunkt hat auch noch andere Highlights zu bieten.

Zum Beispiel eine kleine, inspirierende Borges-Ausstellung von Edition Delta: Da leistet man sich doch tatsächlich den Luxus eines riesigen Standes, nur um ihn schön leer und kontemplativ zu halten. Das ist fast schon eine Oase.

bild(m, 20604)

Und am besten gefällt mir, dass zur Dekoration dieser Low-Carb-Ausstellung einzig ein einzelner Kürbis herangezogen wurde.

Wer das entschieden hat,
sollte auf dieser Messe mehr Entscheidungen treffen

Eine Entscheidung weitaus größerer Tragweite ist am Donnerstag in Sachen Literaturnobelpreis gefallen: Ich gratuliere Mario Vargas Llosa recht herzlich! Leider befand ich mich gerade mitten im Gang bei Suhrkamp, als die Nachricht publik wurde. So schnell, wie hier eine Pressemeute einfiel, konnte ich gar nicht flüchten. Alle wollten plötzlich ein Stück von Ulla Unseld-Berkéwicz abbeißen, und ich war mittendrin.

Wo ist Waldo?
Ulla Unseld-Berkéwicz (irgendwo)

Hier hilft nur noch die Flucht nach vorn. Falls ich wüsste, wo hier noch vorn und hinten ist. Ich habe Hoffnung, dass ich schneller laufen kann als Ulla Unseld-Berkéwicz und verstecke mich im Lesezelt.
Dort wird von der AG-Leseförderung des Sortimenterausschusses die Lesekünstlerin des Jahres 2010 gekürt. Na gut, das geht. Nicht ganz der Nobelpreis, hier dürfte ich also sicher sein.

Obwohl ein Zirkuszelt den Nobelbetrieb recht gut symbolisiert.

Prämiert wird Sabine Ludwig, deren Hörbuchfassung von Aufruhr im Schlaraffenland (verlegt bei Dressler) den Vergleich zu professionellen Sprechern nicht fürchten muss. Frau Ludwig berichtet, dass Kinderlesungen eigentlich in den Abend gehören, damit sie als Veranstaltung wahrgenommen werden und nicht als mittägliches Babysitting-Angebot.

Sabine Ludwig (links) und zwei zuhörende Kinderchen

Der Moderator würde gerne noch ein paar Geheimnisse und Tricks über das Vorlesen hören, aber die gibt es da nicht. Man liest und ist authentisch, und die einen können’s, die anderen nicht. Es gibt viele Autoren, die ihre Werke denkbar schlecht vortragen (Schiller war so einer), daher ist dieser Lesekünstlerpreis eine interessante Kategorie.

Ebenfalls eine interessante Kategorie ist der argentinische Koch Chakall, der zur Happy Hour bei Dorling Kindersley Turbane bindet. Auch recht. Wenn ich sowas schon lese, dann weiß ich, dass die Redaktion mich schicken wird.

Ob der Kalif mich zur Frau nehmen will?

Und dann stehen wir nebeneinander, und bei Chakall sieht das cool aus. Nur auf meinem Kopf sieht ein chakallgewickelter Turban aus wie „Ich komm grad aus der Badewanne.“

Einziger Trost ist, dass zu dieser Happy Hour auch alle anderen ausssahen wie Kalif Storch.

…nur eben ohne Storch.

Als ich mit diesem Turban vor die Tür trete, laufe ich Harry Rowohlt in die Arme. Der blickt mich kurz an und brummelt trocken: „Früher hätte ich vor sowas Angst gehabt.“

Und diesen schönen Satz lassen wir einfach mal so stehen.

Ich wünsche Ihnen einen guten Freitag. Danach wird es brutal. Wie immer. Sie wissen ja: Publikumstage. ( * grusel * )

Naja, das werden wir auch noch hinkriegen.

…früher hätte ich vor sowas Angst gehabt.

Ihr

Matthias Mayer

herrmayer@hotmail.com
www.herrmayer.com

Berühmte Schein-Argentinier, Teil 3:

Mario Vargas Llosa (Peru)
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