Der Messe-Mayer CosPlay, Edelbier und Schluss

Liebe Freunde,

und das war die Frankfurter Buchmesse 2010. Es schien weniger los zu sein als sonst, was mancherorts auch bemerkt wurde. 280.000 Besucher entsprechen leider nur der Einwohnerzahl Gelsenkirchens. Dass wir diesen ganzen Aufriss bewältigen, nur um Gelsenkirchen einmal komplett durch die Messe zu jagen, sollte nachdenklich stimmen. Eine Aufweichung Richtung Publikumsmesse liegt u.a. auch daran, dass Typen wie ich meine Mutter hier reinschmuggeln. Wie ein Damoklesschwert schwebte die Befürchtungsformulierung „wie ein zweites Leipzig“ über dieser Messe.

Das Wetter allerdings war so fantastisch, dass man ihm leicht die Schuld geben kann: Eine so sommerliche Messe hatten wir im Oktober ebenfalls lange nicht, und das kann man Gelsenkirchen ja ruhig mal gönnen.
Sie ahnen nicht, wieviele meiner Leser mir Wetterfotos mailen, um ihrem Sonnenhormon Ausfluss zu verleihen. Der Deutsche Fachverlag hat für die Dauer der Messe sogar extra zwei Fensterputzer angeheuert, die jedes Fenster einzeln geputzt haben. Gleich zwei!

Indian Summer bei Halle 8
Deutscher Fachverlag endlich wieder sauber
Peter-Uwe Sperber hat sich verfahren

Die zwei häufigsten Sätze dieser Messe waren der unvollendete (1) und der komplett gelogene (2):

(1) „Darf ich mal?

(2) „Ich will gar nicht stören, sondern nur kurz Hallo sagen“

Die häufigste Dummfrage kam immer von Publikumsseite:
„Du, wo sind wir jetzt?“

Schade, dass mich das nie jemand gefragt hat, denn ich hätte gewusst:

a) auf der Messe

b) im Weg.

Die schwerste Frage stellte mir mein Messeplaner:

Tja. Erwischt. Keine.

Als ich mich bei Collection Rolf Heyne verabschiedet habe, hat der Dings gleich noch mal den Sansibar-Aufkleber auf meinem verschrammten Messekoffer korrigiert. Na, der Dings. Ich vermeide Namen mittlerweile, damit mir nicht mehr so viele Fehler unterlaufen.

Jürgen Welte.
J-ü-r-g-e-n W-e-l-t-e.

Obwohl denen ja auch Fehler unterlaufen, wie zum Beispiel Alexander Stauchs Gesicht während meines Abschiedsschnappschusses.

Raten Sie, wen ich meine.

Aber ich war nicht nur auf Abschiedstour, sondern hatte auch heute wieder ein wenig Arbeit vorzutäuschen. Zum Beispiel das Rekordbuch „Das dickste Buch des Universums“, eine Aktion der Stiftung Lesen.

Und das ist erst Teil 1

Gut, dass ich nicht auch das dümmste Buch des Universums fotografieren musste, denn am Stand der DVA war immer so viel los.

Auf der Agora treffe ich Reinhold Joppich von KiWi, der mir überfreudig die Vorbestellexplosion von 880 Stück auf 10.000 Stück, dann 25.000 Stück bis hin zu 40.000 Stück vorzählt. Wenn ich nur wüsste, welches Buch er meint.

Heute als Graf Zahl inkognito

(Peter Wawerzinek, Rabenliebe, Bachmann-Preis.)

In Halle 4 treffe ich einen Verlag, der sich noch professioneller zum Affen macht als ich: Zweitausendeins, der meistabgewiesene ahnungslose Kundenwunsch in deutschen Sortimenten. („Nein, die beliefern nicht den deutschen Buchhandel. Das müssen Sie selber bestellen.“)

Fabian Reinecke (rechts)

Als ich den Verlag dafür lobte, meine literarische Werdung seit frühester Jugend stark begünstigt zu haben, meinte der nur „Oh je.“

Ein Stand, den ich eigentlich schon immer mal besuchen wollte, ist der gänzlich unliterarische Puppenstand von Folkmanis. Da werden Kreaturen ausgestellt, wie man sie sonst nur auf Buchmessefeiern oder in Redaktionen antrifft.

Fehlen nur noch Waldorf & Statler
Bin ich der Einzige, der den sieht?

Ich habe mir eine Boa Constrictor gekauft und in meinen Koffer gequetscht. Leider hatte ich vor der nächsten Kofferdurchsuchung vergessen, den Securitymann zu warnen, denn diese Viecher sehen verdammt echt aus.

Zum Glück habe ich nicht die Riesentarantel genommen.

Auf diesen Schreck hin (wenn auch nicht mein eigener) muss ich natürlich etwas essen. Mein Abschlussmenü bei Tre Torri hebe ich mir immer für den Sonntag auf und nehme das erste Luxusbier meines Lebens zu mir. 28,- Euro die Flasche. Und nun stellen Sie sich vor:

Es schmeckt wie Bier!

Und damit lässt sich gleich leichter ertragen, dass der Mann mit der höchsten Frequenz Anrufe/Minute neben mir sitzt und über mich spricht:

Telefon-Cyborg Matthias Seuring:
„Ja, der isst schon wieder.“

Uwe Marsen stellt mir den Weihnachtsbäcker Bernd Siefert vor. Auch wenn Ihnen das reichlich früh vorkommen mag, aber Rewe stellt seine Marzipankartoffeln ja auch schon raus, bevor der Sommer offiziell endet.

Ostereierfärben machen wir dann Weihnachten.

Wir plaudern noch ein wenig über das Maggi-Kochstudio, den besonderen Wein-Schwerpunkt in Ralf Frenzels Programm und über ein paar Dinge off record. Das ist dann immer am interessantesten, darf aber hier nicht erwähnt sein. Das müssen Sie dann leider auf meiner privaten Homepage nachlesen.

Auch für heute hatte ich noch ein Interview auf dem Plan: Ich wollte meinen Sonntag mit Sissi Perlinger krönen, die bei Südwest ihren persönlichen Weg ins Glück herausgebracht hat. Ihr Buch „Auszeit“ ist aber weit mehr als eine weitere Hirschhauseniade, denn es ist kein abgeschriebenes Stand-Up-Programm, sondern der Leidensweg vom Tinnitus über die Auszeit bis zur Versöhnung mit dem absenten Vater, und so gibt es wesentlich mehr preis, als ich vorher dachte.

Zwei Exoten auf freier Wildbahn

Wie immer sind die Interviews, die Daniela Völker mir bei Random House vermittelt, etwas besonderes. So auch diesmal, weil Frau Perlinger eiligst zum Flufhafen muss und wir unser Gespräch im Rennen führen, bevor ich sie ins Taxi trete. Es handelte von der Kongruenz zwischen Außen und Innen, also genau das richtige Thema für vier Minuten Renngespräch.

Daniela Völker legt mir noch einen Fernsehtipp nah, ich solle am 18.10. Beckmann schauen, weil da Sabine Czerny ihr neues Buch vorstellt. Aber liebe Frau Völker: Beckmann würde ich nicht mal dann schauen, wenn Grimmelshausen dort sein neuestes Buch vorstellen würde.

Den Hädecke-Verlag habe ich dieses Jahr nicht vernachlässigt! Ich war extra mal kurz am Stand, um deren Papierkorb zu benutzen!

Na, immerhin!
Buchmesse noch in den kleinsten Ecken!

Das Wochenende ist die Zeit der CosPlayer, was von eingedörrten Kulturpessimisten und Abendlandsbeweinern mit einem nur gering darwinistischen Naserümpfen quittiert wird. (Guten Morgen, Bernd.) Aber doch muss man sagen, dass diese quietschbunte Bemühung der jungen Menschen, eine Brücke zwischen Aufwand und Aufstand zu schlagen, bemerkenswert ist, weil sie den Eierköpfen auf der Messe einen anderen Zugang zu Literatur und Medialität aufzeigen.

Hier meine Favoriten:

Bestes Disney-Duo
Beste Original-Pose
Häufigstes Mädchenkostüm dieses Jahr
Hässlichstes Jungenkostüm dieses Jahr
Ohngesicht: Ein echter Miyazaki!

Mit dem Ohngesicht kann ich mich am besten identifizieren. Genau so fühle ich mich auch immer vor meinem ersten Kaffee.

Eine der platzraubendsten Rubriken meines Messesonntages ist immer die Verwertung von Festplattenresten und Leser-Einsendungen. Aber es zeigt: Der Messe-Mayer hat mehr als zwei Augen.

Hier gab es eine Bodypainting-Aktion von Vlada Hauser und Hans Gareis‘ Portal Poetryweb. Zuerst dachte ich, das sei von Weingarten, weil die auch was mit BodyPainting gemacht haben; und hieran ersehen Sie: Wenn hübsche Frauen angemalt werden, achte ich kaum noch darauf, wer den Pinsel hält. Sorry für die Verwechslung!

Alufolie muss aber weg dann!

Es gab ja durchaus Verlage, die das abklingende Oktoberfest mit an ihren Stand brachten, um es dort zur Happy Hour weiterzufeiern…

…aber das geht dann doch zu weit.

Und dies hier: Ist das noch Hommage oder schon Plagiat?

Jedenfalls stimmt es.

Auch bedanke ich mich bei Buchhändler Carsten Vogt, der mich zu jeder Messe mit Fotos versorgt, die ich nie benutze. Ihre Treue ist fester Bestandteil meiner jährlichen Aussortierung. Aber dennoch: Nur immer her mit dem Zeug.

Dazu habe ich dann doch noch zu viel eigenes Zeugs nachzureichen. Wie dieses Foto hier, das Ferdinand von Schirach zeigt, wie er gerade aus dem Bild hüpft, um seinen Verleger Marcel Hartges der Presse zu opfern. Also mir.

von Schirach (links), im Stich gelassen (rechts)

Auch ich habe am Projekt BookFaces teilgenommen und mich mit meinem Lieblingswort fotografieren lassen. Es lautete: „Pause“. Das Originalfoto reiche ich womöglich nach; womöglich bald, womöglich nie; aber hier haben Sie schon mal das Making of:

Fragwürdige Journalisten sind einfach sexy

Dieser Tage hatte ich die Architektur von Halle 10 mit dem Todesstern aus Star Wars verglichen, aber das kam nicht von ungefähr: Bei Dorling Kindersley hatte man nämlich einen lebensgroßen Darth Vader aus Legosteinen ausgestellt. Wenn der das wüsste.

Die Nacht möge mit mir sein

Und damit endet meine Messe. Allerdings nicht dieser Text, denn jetzt gongt es; es wird applaudiert; es wird geprostet und getanzt und Bücher eilig in Kisten gepackt. Binnen Sekunden ist der ganze Messeteppich herausgerissen, zusammengerollt und weggeschleift.

Aber da sind noch Fachbesucher drin!

Dora Heldt hat bereits den gesamten dtv-verlag eingeschweißt und weggepackt.

Fachbesucher go home now.
Größter Messebesucherdiebstahl jemals

Wenn der Heimweg lockt, sieht man sogar Holm Löwe arbeiten! Ich dachte ja, dass der eBuch-Stand gemeinsam von allen Genossenschaftsmitgliedern abgebaut wird.

Hommage an Peter O´Toole:
Der Löwe im Winter

So, und jetzt esse ich noch mit Daniela Völker alle alten Lachsbrötchen auf, die nicht mehr in den normalen Müll dürfen, und dann fahre ich heim.

Random House Restelager

Ich liebe die Buchmesse. Wenn es die Buchmesse nicht gäbe, müsste ich einmal im Jahr 280.000 Leute zu mir nach Hause einladen, um dieses Gefühl annähernd zu reproduzieren.

Überflüssigstes Messeschild aus dem letzten Jahrtausend

Berühmte Schein-Argentinier, letzter Teil:

Roberto Bolaño (Chile)
Bitte wecken Sie mich, sobald wir in Leipzig sind

Ihr

Matthias Mayer

herrmayer@hotmail.com

www.herrmayer.com

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