Die Rechte-Kolumne „Der Fliegende Gerichtsstand“ oder warum ist es in Berlin und Hamburg so schön?

Auf Antrag des Präsidenten des Deutschen Fußballbundes (DFB), Mayer-Vorfelder, hat das Berliner Kammergericht eine Einstweilige Verfügung gegen den Südwestrundfunk (SWR) erlassen. Der DFB-Präsident darf künftig nicht mehr in einer beliebten Radiosendung des SWR durch einen lallenden Stimmenimitator und das klirrende Geräusch leerer Flaschen parodiert werden. Das Gericht war der Auffassung, dass die Ausstrahlung den unzutreffenden Eindruck erwecke, Mayer-Vorfelder sei ein Trunkenbold. Dies sei eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des DFB-Präsidenten. Denn auch in der Stilform der Satire dürfe nichts Unwahres behauptet werden.

Warum eigentlich konnten die Münchner Anwälte des beim DFB in Frankfurt angestellten Mayer-Vorfelder für deren Klage gegen den in Stuttgart und Baden-Baden ansässigen Sender SWR ausgerechnet das Berliner und nicht etwa das Stuttgarter oder Baden-Badener Landgericht oder ein anderes der mehr als 100 bundesdeutschen Landgericht bemühen? Die Antwort der Juristen darauf lautet in ungewöhnlich blumiger Sprache: „Fliegender Gerichtsstand“. Danach können Rechtsverstöße in Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, aber auch im Internet und im Rundfunk und Fernsehen nach beliebiger Auswahl durch den Kläger überall dort gerichtlich geltend gemacht werden, wo jene Medien bestimmungsgemäß Inhalte dritten Personen zur Kenntnis bringen. Bei einer Radiosendung ist das überall dort, wo es Hörer gibt. Ob der SWR bestimmungsgemäß auch nach Berlin ausstrahlt, brauchte vom Berliner Gericht nicht geprüft zu werden, da die Sendungen auch im Internet bundesweit abrufbar waren.

Bei Büchern findet sich ein fliegender Gerichtsstand – wenn gegen Verlage geklagt werden soll – überall dort, wo es Buchhandlungen gibt. Richtet sich der Angriff gegen die Buchhandlungen selbst, so hilft da auch kein fliegender Gerichtsstand, da ist ausschließlich der Sitz des Sortimenters maßgeblich. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn dieser den „Fehler“ gemacht hat, einen eigenen Online-Auftritt zu pflegen, der bundesweit abrufbar ist. In diesem Fall kann etwa auch ein Tübinger Buchhändler ganz schnell vor einem Hamburger Gericht landen.

Diese prozessuale Möglichkeit des sog. „forum shoppings“, wie die beliebige Wahl des Klageorts in den USA heißt, ist der Grund dafür, dass Prozesse um angebliche Persönlichkeitsrechtsverletzungen immer häufiger in Berlin oder Hamburg und selten etwa vor dem Landgericht Ellwangen oder Waldshut-Tiengen stattfinden. Unter Bezugnahme auf den fliegenden Gerichtsstand klagte zum Beispiel der Koblenzer Sänger Thomas Anders gegen den Hamburger Musiker Dieter Bohlen in Berlin, ebenfalls in Berlin brachte ein in Frankfurt wohnhafter gräflicher Ex-Manager die Regensburgerin Gloria von Thurn und Taxis vor Gericht. In Hamburg klagten zahlreiche über das gesamte Bundesgebiet verstreut lebende Prominente gegen den Münchner Random House Verlag, ebenfalls in Hamburg klagen regelmäßig monegassische, hannoveraner und neuerdings auch schwedische Adelige gegen bundesweit erscheinende Fotos aus dem blaublütigen Alltag und deutschlandweit verbreitete, nicht immer zutreffende Meldungen über noble Heiratsabsichten. Und wo sonst als in Hamburg – von Berlin hatte er wohl wirklich genug – klagte der ansonsten im Saarland fest verwurzelte Oskar Lafontaine erfolgreich gegen einen Münchner Mietwagenanbieter auf 100.000 € Schadensersatz. (Der Vermieter hatte nach Lafontaines Ausscheiden aus der Bundesregierung in einer Anzeige Fotos der Kabinettsmitglieder abgebildet, auch das durchgestrichene Porträt Lafontaines. Darunter stand: „Wir haben auch Autos für Mitarbeiter in der Probezeit.“)

Landgerichte wie Hamburg und Berlin, die häufig mit persönlichkeitsrechtlichen Fragestellungen betraut sind, haben mittlerweile eigene sog. Pressekammern gebildet, es gibt dort jeweils ein aus drei Richtern bestehendes Kollegium , das gemäß gerichtlichem Geschäftsverteilungsplan mit allen dortigen presserechtlichen Klagen betraut ist. Deshalb weiß man als Kläger längst, dass in Hamburg und Berlin anhängige Persönlichkeitsrechtsklagen zwangsläufig von immer denselben Richtern mit bekannt strengen Auffassungen über die Spielräume der Verlage entschieden werden. Um bei diesen so genannten angreiferfreundlichen Gerichte zu landen, nimmt man dann, wie etwa im Fall Mayer-Vorfelder dessen Münchner Anwälte, gerne auch schon mal eine etwas weitere Anreise in Kauf, um bayerisch-zurückhaltende Münchner Richter zu meiden. Deshalb muss man sich etwa als Münchner Verlagsjurist, der überwiegend auf Beklagtenseite tätig ist, auch weiterhin auf regelmäßige Ausflüge in das in mancher Hinsicht großzügigere Preußen einstellen und kennt das Münchner Landgericht fast nur von außen.

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