Die Entscheidung des Börsenvereins, Volker Neumanns Vertrag als Messedirektor nicht zu verlängern, wirft schwerwiegende Fragen auf. Womit sie begründet wird, ist dubios – oder Kokolores

Als äußerst beunruhigend empfinden alle mir bekannten uchhändler und Verlagsleute das Verhalten des Börsenvereins gegenüber Volker Neumann. Dieses Verhalten markiert, was die seit längerem zu beobachtende Tendenz der Frankfurter Zentrale betrifft, sich von den Mitgliedern des Verbandes abzunabeln, deren Interessen, deren Wünschen zu ignorieren, einen neuen Höhepunkt. Ebenso unbegreiflich scheint die Sache den Medien; ihre Kommentierung ist [mehr…] [mehr…] ätzend – hier hat der Börsenverein einen neuen Tiefpunkt erreicht: in seinem öffentlichen Ansehen.

All das ist gravierend.

Was aus Frankfurt an Gerüchten zur Diskreditierung der Person und der Arbeit Volker Neumanns drang – die Verantwortlichen werden natürlich bestreiten, dafür verantwortlich zu sein, doch woher kamen diese Gerüchte denn? -, ist einer Verbandszentrale und ihrer Mitarbeiter, weiß Gott, unwürdig . Lächerlich sind sie zudem. Was Volker Neumann in den zwei Jahren seiner Tätigkeit geleistet hat, um den bekannten, gefährlichen Abwärtstrend der Frankfurter Buchmesse umzukehren, stellt – so ein Verleger, der die Meinung etlicher Kollegen aus großen und kleinen Häusern vertritt – einen der selten gewordenen Pluspunkte, wenn nicht gar den einzigen erfreulichen Aspekt im Umfeld der exekutiven Verbandsarbeit aus letzter Zeit dar. „Ausgerechnet der Mann, der diesen einen Lichtblick gebracht hat, soll nun demontiert werden? Es wirft ein noch trüberes Licht auf die Fehl- und Minderleistungen der Hirsche vom Hirschgraben.“ Da also, um christlicher Nächstenliebe willen: Schwamm drüber. Zumal die ganze Sache mit der Person Volker Neumanns letzten Endes so gut wie nichts zu tun hat.

Mit brennender Sorge aber muss uns das ganze Manöver in gleich dreierlei Hinsicht erfüllen:

Erstens nennt der Börsenverein nicht mal ansatzweise einen objektiven Grund für seine Entscheidung, dem bisherigen Messedirektor eine Verlängerung seines Vertrages zu verweigern bzw., um es ohne die formalen Schnörkel der Presse-Erklärung auszudrücken, ihn mit 31. Dezember 2005 zu entlassen.

Zweitens lässt die Vorgehensweise des Börsenvereins ein Management vermissen, wie es in solchen Fällen konkret zur Sicherung der kontinuierlichen Fortführung eines Unternehmens normal, üblich und vernünftig wäre.

Und schließlich hat der Börsenverein keine Strategie, kein positives Ziel für die künftige Ausrichtung und Organisation der Frankfurter Buchmesse zu erkennen gegeben.

1. Zu den Gründen, Neumanns Vertrag nicht zu verlängern, wollte er“ – der Vorsitzende des für die Entscheidung zuständigen Aufsichtsrates – nichts sagen. Treeck deutete jedoch an, dass dabei auch Neumanns Alter eine Rolle gespielt habe. Die Frankfurter Buchmesse müsse strategisch und langfristig aufgestellt werden.“ So ein dpa-Bericht. [mehr…] Der letzte Satz steht übrigens wörtlich auch in der offiziellen Verlautbarung.

Die Frankfurter Buchmesse ist Eigentum des Mitgliederverbandes. Sie ist ein Kernelement der Tätigkeit der deutschen Buchbranche, welche darum – wie Aktionäre – ein Recht hat, die Gründe für eine so schwerwiegende Entscheidung zu erfahren. Wenn der Vorsitzende und Sprecher des Entscheidungsgremiums keine Gründe nennen will, steht zu folgern: Entweder gibt es keine stichhaltigen Gründe, oder die Gründe, die zu der Entscheidung geführt haben, sind anderer Art – von einer Art, dass sie öffentlich zu benennen inopportun wäre; ergo: Mit ihnen ist etwas nicht ganz in Ordnung. Das aber kann eigentlich nur heißen: Sie sind für die Mitglieder des Verbandes, oder für eine Mehrheit von ihnen, unzumutbar, inakzeptabel. Dies wiederum – Geheimniskrämerei eines Exekutivgremiums – widerspricht der Eigenart und Konstitution eines Verbandes. Es stellt eine Verhöhnung seiner Mitglieder dar – grundsätzlich und insbesondere, wenn, wie es hier der Fall ist, die Mitglieder zu solcher Entscheidung in Opposition gehen.

Um die Entscheidung gegenüber der nachbohrenden Presse überhaupt erklären zu können, verweist Dr. Treeck also darauf, „dass Neumanns Alter dabei auch eine Rolle gespielt habe“. Ist Volker Neumann mit 63 Jahren zu alt für den Job?

Ein Scheinmotiv. Was Dr. Treeck als Wirtschaftsanwalt wissen müsste. Man lese nur die neuere Managementliteratur – sie hat den Jugendwahn der 1990er Jahre längst als Irrtum abgetan. Man nehme den Bertelsmann-Konzern, der, was Führungspolitik angeht, weltweit und branchenübergreifend 1a-Ansehen genießt: Er hat – in Korrektur einer jahrzehntelang befolgten Richtlinie des Hauses – die Altersgrenze für seine Führungsriege erst jüngst von 60 auf 65 Jahre angehoben. In allen Bereichen der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens sind gerade als Wegweiser in die Zukunft wieder Elder Statesmen gefragt. Man lese Die Zeit von voriger Woche, die sich ausführlich diesem Thema widmet. Man lese die gestrige Welt am Sonntag, wo Hans Magnus Enzensberger, die beste deutsche Spürnase für Trendwenden, mit Blick auf 50- bis 65-jährige sagt: „Es ist idiotisch, die Menschen in diesem Alter auszumustern. Die Vorstellung, dass sie zum alten Eisen gehören, der schiere Aberglauben.“ Volker Neumann hat diese Buchmesse nach einer personalen Fehlentscheidung des Börsenvereins aus der Misere gerettet. Er weiß also, was man ergo am Frankfurter Hirschgraben zuvor nicht wusste, wo’s lang geht. Die Jüngeren in der Verwaltung dort zu verdankende Reorganisation des Börsenvereins hat sich, nach allem, was inzwischen zu hören ist, weithin, auch personell, als Fehlschlag, kurzum, als wenig zukunftsträchtig erwiesen.

Der Hinweis auf Volker Neumanns Alter zur Begründung seiner Entlassung ist Kokolores.

2. Dem Aufsichtsrat die Entscheidung für die Zukunftsstrategie der Frankfurter Buchmesse zu überlassen, scheint nicht eben ratsam. Denn schon seine Verfahrensweise, Volker Neumann kurz vor der diesjährigen Buchmesse die Tür zu weisen, gefährdet ihre unmittelbare Zukunft – ob danach für sie noch Zukunft zurückzugewinnen ist, ist zumindest fraglich. Wenn es sachliche Gründe gegeben hätte, sich von ihm zu trennen, hätte es im Frühjahr geschehen (als Volker Neumann dem Aufsichtsrat ja auch den Vorschlag für seine Vertragsverlängerung machte) und vor dem 6. Oktober ein fähiger (glaubwürdiger) Nachfolger präsentiert werden müssen, der schon heuer international für die Zukunft der Messe geworben hätte. (Denn es wird ja international entschieden, ob die Frankfurter Buchmesse ihre bisherige Position als größte, bedeutendste Buchmesse der Welt, als ein Wahrzeichen deutscher Buchkultur halten kann.) Volker Neumann hat Abwanderungsbewegungen vor allem in der angelsächsischen Welt aufhalten und sogar wieder umkehren können – wer wird das in nächster Zeit sonst vermögen?

All das ist am Hirschgraben offenbar nicht bedacht, der richtige Termin verschlampt worden. Das mag aus internen taktischen Gründen geschehen sein. Doch interne und lokalpolitische Spielchen in Frankfurt – von Leuten, die nicht einmal mehr mit der deutschen Buchbranche in Tuchfühlung stehen, von ihrer internationalen Isolation ganz zu schweigen – bleiben gehupft wie gesprungen.

Und nach solcher Demontage wird Volker Neumann selbst, auch wenn er dazu bereit sein sollte, bis Ende 2005 für die Frankfurter Buchmesse global kaum mehr Himmel und Erde in Bewegung setzen können.

3. Worum geht es denn bei der von Dr. Treeck erwähnten „strategischen und langfristigen Ausrichtung“ dieser Buchmesse? Was sind die Schwachstellen, die geändert werden müssen? Wo sind sie diskutiert, sind sie erörtert, sind Remeduren angedacht worden? In den Verlagen ist davon nichts bekannt. Falls es denn in Küchenkabinetten des Vorstandes, des Hauptamts, und des Aufsichtsrates geschehen ist, blieb es bislang verschwiegen. Folglich darf davon ausgegangen werden, dass es sich auch hier um eine der berüchtigten rhetorischen Placebos handelt, wie sie in manchen Management-, insbesondere aber Beraterzirkeln gepflegt werden. Sie erklären alles und gar nichts. Sie lassen nicht erkennen, sie vermitteln jedenfalls kein Vertrauen, dass man am Hirschgraben weiß, was in Sachen Frankfurter Buchmesse zu tun wäre.

Nun sind jedoch die bezahlten wie ehrenamtlichen Manager des Börsenvereins alles andere als dumm. Sie wissen bestimmt, was sie eigentlich bezwecken und wollen. Und darüber sollte man als nächstes einmal nachdenken.

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite den Button „Forum“ anklicken, einloggen und los geht‘s.

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert