Die Thalia-Gruppe kündigt an, von den Verlagen eine zentrale Marketingaufgabe zu übernehmen – weil die deutschen Verlage versagt haben

Die Expansion von Thalia zu einem flächendeckenden Buchfilialisten gehört zu einer allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung, die von manchen Ökonomen der angelsächsischen Welt als „retail revolution“ bezeichnet wird. Im Konsumgüterbereich fast aller westlichen Länder haben sich die Gewichte verschoben: Dominierten zuvor die führenden großen Hersteller mit ihren Marken den Handel, so haben die Hersteller heute zunehmend nach der Pfeife der dominierenden, mehr oder weniger flächendeckend operierenden Handelsketten zu tanzen.

Sie entscheiden zunehmend über Marktzugang und Nachfrage. Sie bestimmen, im gnadenlosen Wettbewerb untereinander, auf der Jagd nach Kunden, die marktgängigen Preise und greifen dabei mit der Forderung nach immer günstigeren Abnahmepreisen bzw. Handelsrabatten . Die Machtverschiebung ist an simplen Kerndaten ablesbar. Im Jahr 2001, das von manchen Ökonomen als Wendepunkt betrachtet wird, übertraf erstmals in der Wirtschaftsgeschichte der USA ein Einzelhandelsunternehmen – Wal Mart – umsatzmäßig das größte Produktionsunternehmen. Um in unseren Lande und unserer Branche zu bleiben: Bei Thalia dürfte der Umsatz schon im laufenden Geschäftsjahr etwa doppelt so hoch ausfallen wie bei der größten deutschen Publikumsverlagsgruppe – eine Entwicklung, die Thalia mit seiner angekündigten Wachstumsstrategie konsequent weiterverfolgt.

Im Kommuniqué zur überraschenden Eröffnung von zwei neuen großen Filialen in Braunschweig und Gießen [mehr…] steht dann aber noch die ungewöhnliche Wendung, die Volker Hasenclever sofort aufhorchen ließ: dass nämlich Thalia im Zuge der angestrebten Position als einzigem in Deutschland flächendeckenden Sortimentsbuchhändler sich als „attraktive Dachmarke für die Marken der Verlage“ zu etablieren plant.

So etwas stand unseres Wissens bisher – die Branchen übergreifend – noch in keinem Statement einer Handelsfirma zu lesen. Auch nicht bei der Douglas-Holding, zu der auch Thalia gehört .Gerade darum ist ein Vergleich hier besonders aufschlussreich.

In den ziemlich flächendeckenden Douglas-Filialen werden eigentlich alle attraktiven Hersteller-Marken des Kosmetik- und Parfümeriesektors geführt – eben dieses breite Markenartikel-Angebot macht für die Leute ja eine der Attraktivitäten von Douglas aus. Sie kennen diese Marken, die ihnen etwas bedeuten; denn Chanel, Dior und Shiseido (oder wie sie sonst heißen) sind Firmen, die alles daran setzen, um ihre Produktlinien als Marke zu etablieren und zu pflegen, vor allem mittels ihrer Designs und durch Anzeigenkampagnen (insbesondere in Frauenzeitschriften). Diese Marken strahlen eine hohe eigene Wertigkeit aus, und so hat Douglas sich nie als ihnen übergeordnete „Dachmarke“ ausgegeben.

Warum geschieht es – durch Thalia – nun ausgerechnet in der deutschen Buchwelt?

Stellt die zitierte Wendung, wie mein Verlegerfreund Karl Stutz meinte, eine typische Formulierung eines Managements dar, das von Büchern keine Ahnung mehr hat?

Volker Hasenclever und ich sind anderer Meinung. Wir halten die Leiter bei Thalia für überaus professionelle, klar und weitsichtig denkende Menschen, die ein zentrales Problem der gegenwärtigen deutschen Verlegerei angehen.

Es war einmal… Da waren, um nur ein paar Beispiele zu nennen, Artemis & Winkler, Droemer, Econ, Herder, Heyne, Rowohlt (insbesondere rororo aktuell) und Suhrkamp (vor allem die edition suhrkamp) nach Programm und Ausstattung deutlich erkennbare und wirkungsvolle Marken.

Und heute? Als große Marken – d.h. als für Buchkäufer und -leser Qualitätsorientierung leistende „brands“ – lassen sich mittlerweile wohl nur mehr Diogenes, der Dudenverlag, Graefe & Unzer oder Langenscheidt bezeichnen.

Die allermeisten Programme der Publikumsverlage sind schon inhaltlich ohne erkennbare Programmatik. In der Ausstattung, vorab bei den Schutzumschlägen, herrscht gemeinhin das Prinzip gegenseitiger Anpassung. (Was Erfolg hat, wird nachgemacht.) Logo, Signet und Verlagsnamen sind auf den Covern margina- und minimalisiert – ganz als ob sie lediglich Störfaktoren wären,. die, wenn sie nicht völlig eliminiert werden können,. aus dem Titel-Bild weggedrückt werden müssten. Die Klappen- und (noch mehr) Rückseitentexte tragen keine Verlagshandschrift, sind bloßes Insider-Gemurmel (bei literarischen Verlagen zwischen Autor, Lektor und Hochfeuilleton) oder (bei großen Publikumshäusern) abgenutzter Werber-Jargon – Wahr- und Wasserzeichen nirgendwo, nirgends.

Das Werbe„konzept“ scheint seit rund drei Jahrzehnten zunehmend einfach darin zu bestehen, jedes Buch, jeden Autor für sich auf die Reise zu schicken. Das kann es in einer Schwemme von immer mehr austauschbaren Titeln aber doch wohl nicht sein. Das läuft bei seit langem ohnehin abnehmender Publikumswerbung darauf hinaus, dass die einzelnen Titel bloß wie Testprodukte auf den Markt geworfen werden. Ist es da ein Wunder, dass inzwischen rund 90 Prozent im gedankenlosen Novitätenwahn der Verlage sang- und klanglos untergehen? Dass die Buchhändler verzweifeln? Dass selbst eigentlich interessierte Leser vor lauter Bäumen keinen Wald mehr zu sehen vermögen und anderswo Schatten, Schutz und Entspannung suchen?

Die Verlage schwören auf das Buch als einzigartiges Kulturgut, vermarkten es – indem sie alle für hochwertige Markenwaren üblichen Marketing-Regeln missachten – jedoch in der Regel so, als ob es ein wertloser billiger Massenartikel wäre.

Sie denken und reden so, als sei Lesen für alle unverzichtbar, ein lebenserhaltendes Muss wie der Genuss von elementaren Lebensmitteln und Vitaminen oder Ansehen und Attraktivität erhöhendes Pflegemittel wie Kosmetika – und können dem Publikum von sich aus nicht einmal mehr durch sorgfältig bedachte Verpackung, Beipackzettel und Werbung annoncieren, was sie und ihre Bücher den willigen Lesern eigentlich an Notwendigem zu geben vermögen.

Diese kritische Situation hat Thalia mit dem einen Satz, indem es seine Absicht bekundet, flächendeckend eine attraktive Dachmarke für die (in sich kaum mehr attraktiven) Marken der Verlage zu bilden, genial auf den Punkt gebracht.

Ob Thalia das vermag, ist eine andere Sache. Ob die Verlage die Art und Weise, wie Thalia diese sich selbstgestellte Aufgabe bewältigt, goutieren wird, steht nochmals auf einem anderen Blatt. Und was das alles für die Kultur, fürs Publikum und für „das Buch“ an Auswirkungen zeitigen mag, ist wiederum eine andere Reflektion wert..

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de.

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