Die Verlage verstehen die Welt (des Buchhandels) nicht mehr

Als ich am vergangenen Freitag, nach längerer Zeit der Zurückgezogenheit, während ich einen jungen Autor und seinen Erstlingsroman betreute und ein Sachbuch übersetzte, wieder einen Verlag besuchte, stieß ich dort auf eine Wut und ein Unverständnis gegenüber dem Sortiment, dass es mir fast die Sprache verschlug.

Nun gut, auf der laufenden Vertreterreise fürs Herbstprogramm wird offenbar noch um einiges weniger vorbestellt als im Frühjahr, über das vielerorts schon laut und vernehmlich geklagt wurde: Die Konzentration auf noch weniger Spitzentitel hat erneut heftig zugenommen; die Order für „mittlere Titel“ sacken gar drastisch weiter ab, so dass von Werken durchaus nicht unbekannter Autoren, die es vor vielleicht nur einem Jahr am Ende noch auf drei-, vier- oder fünftausend Exemplare schafften, jetzt bis Jahresschluss wahrscheinlich nur mehr ein- bis dreitausend Exemplare verkauft sein werden; von den Büchern neuer, unbekannter Schriftsteller ganz zu schweigen. Doch wer ist für all das verantwortlich?

In dem Verlag lief ich einer erfahrenen, gestandenen Sachbuchlektorin über den Weg.

„Sie sollten in Ihrer Kolumne den Buchhändlern eins draufgeben“, sagte die Lektorin.

„Warum sollte ich?“

„Die Buchhändler dünnen ihr Sortiment aus. Sie bestellen immer weniger Titel!“

„Das hört man in vielen Verlagen. Und ich kann ja verstehen, dass jeder Verlag für sich die eigenen Titel gut und wichtig findet und möglichst alle in den Buchhandlungen präsentiert sehen möchte. Nur hat ein Buchhändler es eben mit den Angeboten aller Verlage zu tun. Und wo soll er die Titel aus allen Verlagen denn bei sich hinstellen? Dafür hat er doch gar keinen Platz.“

„Sie meinen, das Problem ist vor allem durch die Überproduktion gegeben?“

Da kann man nur nicken.

„Aber wenn ich in eine Buchhandlung gehe“, sagte die Lektorin, „sehe ich generell zu wenig Interessantes, das ich kaufen und lesen möchte. Viel zu viele Krimis, viel zu viel von immer demselben. Austauschbares.“

„Da haben Sie durchaus recht. Doch wer produziert die Überzahl von Krimis? Wer setzt auf immer die gleichen Themen? Wer macht die Bücher so, dass sie so oft ähnlich und austauschbar wirken? Wer bringt so viel Uninteressantes heraus und will es in die Buchhandlungen drängen!?

„Die Verlage publizieren aber doch auch viele interessante Bücher.“

Auch damit hat die Lektorin recht.

„Warum stellen die Buchhändler nicht solche Titel mehr heraus?“ fährt die Lektorin fort. „Warum engagieren sie sich da nicht mehr? Sie müssten doch mehr von solchen Werken verkaufen!?“

Wiederum richtig. Nur: „Die meisten Buchhändler stehen finanziell auf noch viel schwächeren Füßen als Verlage. Sie müssen vor allem Titel auf ihre Tische legen, in ihre Regale stellen, die sie tatsächlich verkaufen können. Müssten die Verlage da nicht zuerst einmal die Buchhändler von der Verkäuflichkeit ihrer Titel, von ihren Inhalten, ihrer Attraktivität für die Leser überzeugen? Und die potentiellen Leser auch? Außerdem: Was würde es einem Verlag denn nützen, wenn seine Vertreter eine Buchhändlerin zum Einkauf von Titeln überredet, welche sie nicht verkaufen kann – weil sie vielleicht doch nicht so gut sind, weil ein vergleichbarer Titel aus einem andern Verlag besser ist oder weil er dem Profil der Buchhandlung entspricht -, und auf der übernächsten Vertreterreise ist die Buchhandlung bankrott gegangen, verschwunden. Das kann doch auch nicht im Interesse der Verlage sein.“

Es wurde ein langes Gespräch. Auf konkrete Fragen zur Lösung des Problems – das ja wirklich besteht – wusste (und weiß) ich auch keine Antwort. Eins schien (und scheint) mir allerdings essentiell und unabweislich: „Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Verlage sich auf die realen Gegebenheit, auf die Chancen und Grenzen des Buchhandels einstellen“ – die sie meines Erachtens weithin aus den Augen verloren haben. Sie müssen wieder lernen, nicht nur kurzfristig an ihren eigenen momentanen Umsatz zu denken, sondern auch an den größtmöglichen Erfolg der einzelnen Buchhandlungen – ohne deren Existenzerhaltung sie auf Dauer noch viel, viel weniger Titel verkaufen würden. Und dazu sind in hohem Maße aufbauende, vertrauensfördernde Gespräche vonnöten, bei denen jeder die Realitäten und Sichtweisen des Anderen ernst nimmt.

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite den Button „Forum“ anklicken, einloggen und los geht‘s.

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