Dient „Search Inside the Book“ tatsächlich dem Mehrverkauf von Büchern?

Teil III

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Dient „Search Inside the Book“ tatsächlich dem Mehrverkauf von Büchern? Dass dem so ist, behauptet Amazon. Glauben wollen es viele nicht. So sind etwa Rüdiger Salat und Peter S. Fritz der Auffassung, dass Amazon einen überzeugenden Nachweis für seine Behauptung schuldig geblieben ist. Und die Authors Guild ist zu dem Ergebnis gekommen: Bei manchen Büchern und Buchgruppen nutzt’s, bei andern spielt’s wahrscheinlich kaum eine Rolle, wieder anderen schadet`s. Das heißt jedoch: So pauschal und in der Breite segensreich, wie Amazon vorgibt, wirkt die ganze Sache jedenfalls nicht.

Den größten positiven Impact wird „Search Inside the Book“ mit ziemlicher Sicherheit bei Sach-, Fach- und Wissenschaftsliteratur haben. Andererseits: Je spezifischer sie ist, fürchten manche, desto gefährlicher könnte „Search Inside the Book“ für sie auch werden. Diesen Punkt müsste jeder Autor und jeder Verlag im Einzelnen für sich abwägen.

Es ist darum sehr fraglich, ob Literaturagenten, wenn von Verlagen darauf angesprochen, ihren Klienten generell empfehlen werden, sich bereit zu erklären, ihre Werke für „Search Inside the Book“ freizugeben. Peter S. Fritz und viele seiner amerikanischen Partner sehen sich noch dazu aus einem anderen Grunde so gut wie außerstande.

Amazon handelt nämlich wohl mit jedem Verlag einen (je eigenen) Gesamtvertrag aus, dessen Inhalt der Verlag nicht weitergeben darf. Wie aber soll ein Agent seinem Autor die Zustimmung zu etwas anraten, dessen Kenntnis ihm in wesentlichen Teilen vorenthalten wird? Und wie kann ein Autor einer Sache zustimmen, die auf einem Geheimpapier zwischen Amazon und seinem Verlag basiert?

Das Motiv für die Geheimhaltung wird sein: Es geht im Kern um Konditionen, die als Geschäftsgeheimnis gelten; die Sache wurde, wie schon erwähnt, ja von alten Marketing-, PR-, Verkaufsförderungs- und Werbepraktiken her angegangen.

Nur berührt sie hier eben Dinge, welche über den handelsüblichen und –rechtlichen Rahmen weit hinausgehen.

Wie bereits angedeutet: Dafür, dass der Titel eines Autors vollinhaltlich bei „Search Inside the Book“ digitalisiert wird und letztendlich in großen Teilen abgerufen und ausgedruckt werden kann, erhält der Autor – im Unterschied zu allen sonstigen Lizenzvergaben – nicht einen müden Pfennig.

Die beunruhigende Kernfrage: Worauf will Amazon mit „Search Inside the Book“ eigentlich hinaus?

Nun mag bisher vielleicht der Eindruck entstanden sein, dass Buchverlage sich wieder einmal gegen ein neues Geschäftsmodel, gegen technologische Neuerungen stellen. Das ist hier jedoch keineswegs der Fall. Ich kenne niemand, der von „Search Inside the Book“ an und für sich nicht begeistert und für die damit per se gegebenen Chancen einer herrlichen neuen Verkaufsförderung blind wäre.

Nur haben Verleger offenbar zunehmend – wohl auch in den USA – mit einem zentralen Aspekt ein fundamentales Problem: dass Amazon quasi kategorisch auf der Übernahme des Volltexts der Bücher besteht. Sie haben Mühe zu begreifen, warum zu dem von Amazon angegebenen Zweck nicht 20 oder gar 40 Prozent des Inhalts reichen würden– damit hätten, wie Peter Fritz versichert – auch Agenten kaum ein Problem.

Rüdiger Salat hält solche Varianten ebenfalls für juristisch unbedenklicher und für erheblich leichter realisierbar. „Um die Attraktivität eines Titels durch eine Leseprobe zu vermitteln ist – zumindest für belletristische Werke – eine aussagekräftige Textpassage und eventuell ein Inhaltsverzeichnis völlig ausreichend.“

Es gibt einen Verdacht. Der Verdacht lautet: Letztlich geht es Amazon mit „Search Inside the Book“ vielleicht gar nicht um eine Verkaufsförderung für Bücher. Schlussendlich könnte das SITB-Projekt, wie es Amazon derzeit durchsetzen will, Bestandteil einer neuen strategischen Ausrichtung im Kampf Amazons mit Yahoo und Google sein: Wer hat mehr, wer hat den interessantesten, den umfassendsten Internet-Content zu bieten? Bislang waren die Inhalte von urheberrechtlich geschützten, aktuellen Büchern im Internet eine Leerstelle. Sie könnten für Amazon im geschäftlichen Wettbewerb mit Yahoo, Google, aber auch beispielsweise mit anderen Online-Buchhändlern wie Barnes & Noble eine gewichtige Rolle spielen.

„Wer „Search Inside the Book“ von Amazon als Kunde nutzen will, muss sich registrieren. Solche Registrierung wird von dem Online-Buchhändler als Sicherheitsvorkehrung für Verlage und Autoren angepriesen. Ist sie zur Zeit gewiss auch. Alle bekannten Details der Registrierungsprogramme – Amazon hat noch ein weiteres, zusätzliches mit der Bezeichnung entwickelt – könnten allerdings auch darauf hindeuten, dass Amazon mit „Search Inside the Book“ einen Club in der Form des neuen elektronischen Mediums intendiert, zu dessen Aktivitäten einmal sogar Publishing-on-Demand gehören könnten. Das Content-Reservoir hätte Amazon dann ja – dank der kostenlosen Zulieferung an seine Datenbank mit dem vollständigen Text der Bücher durch die mitspielenden Verlage.

Auf der AGPub im Januar hat Arnulf Conradi beklagt, dass die Verlage seit Jahrzehnten mehr und mehr ihrer alten Kompetenzen und Rechte abgeben oder verlieren. Da geben ihm viele Kollegen Recht. Er hat allerdings wenig Zweck, so etwas nur retrospektiv zu bejammern. Wichtig ist achtzugeben, dass der Trend nicht einfach so weitergeht.

Warum aber lassen die deutschen Verlage sich in die Geheimhaltsdiplomatie von Amazon einspannen? (Die ursprünglich für die US-Kollegen eventuell relevante Vorsicht wegen möglicher Schadenersatzklagen hat hier keine Berechtigung mehr: Man weiß ja seit Oktober 2003 aus den USA, wie die Sache läuft.)

Warum haben der Börsenverein und dessen Verlegerausschuss sich dieses Fragenkomplexes nicht angenommen – was immerhin spätestens seit Herbst vergangenen Jahres möglich gewesen wäre? Deren Aufgabe ist es doch eigentlich, dergleichen Neuerungen mit ihren grundsätzlichen, die ganze Branche (letztlich inklusive dem traditionellen stationären Buchhandel) zentral berührenden Fragen gründlich und von allen Seiten zu erörtern.

Warum wird, vom Börsenverein mal abgesehen, „Search Inside the Book“ in den und unter den deutschen Verlagen nicht ganz offen diskutiert? Da sollten sie sich an den britischen Kollegen ein Beispiel nehmen, deren Informations- und Erkenntnisstand darum auch unvergleichlich höher ist.

Denn beim Amazon-Projekt „Search Inside the Book“ könnte die generell erforderliche neue Achtsamkeit wirklich von höchster Bedeutung sein. Es wäre fragwürdig, um momentaner tatsächlicher oder vermeintlicher Zusatzverkäufe willen – für ein Linsengericht sozusagen – leichtsinnig ein wichtiges Pfand aus der Hand zu geben – zumal wenn man’s eigentlich gar nicht in der Hand hat.

Wie Rüdiger Salat nämlich ebenfalls zu bedenken gab: „Natürlich müssen die Verlage die Möglichkeiten des Internets und anderer Medien nutzen, um die Werke ihrer Autoren optimal zu repräsentieren und verkaufen zu können. Dazu können intelligente Suchwerkzeuge sicher beitragen. Keinesfalls möchten wir unseren Autoren aber das Gefühl geben, vollständige Inhalte auf irgendeinem Weg ohne Bezahlung verfügbar zu machen. Ich möchte beim ersten Prozess in dieser Sache jedenfalls nicht zu den beklagten Verlagen gehören.“

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