Der Messe-Mayer Donnerstag: Drei Ziele für heute

Liebe Freunde,

willkommen auf der Leipziger Buchmesse 2011! Heute ist St. Patrick’s Day, und das wäre um ein Haar – um nur einen einzigen Buchstaben im Alphabet! – ein passender Anlass gewesen, liebe Isländer! Aber leider betrifft das nur Irland und nicht Island, so gerne ich unseren Gästen für Oktober entgegengekommen wäre.

Aber ein Buchmesseauftakt an einem irischen Trinkfeiertag (hahaha, Pleonasmus), der ohne Zwischenfälle abläuft, ist so oder so erwähnenswert.

Dr. Gottfr- nein- halt, es ist ein Ire.

Für den heutigen Auftakttag hoffe ich auf dreierlei: Ich möchte…

1. meine guten Freunde begrüßen,

2. einen Star interviewen,

3. die Messe checken.

(Sagt man das so? Ich bin schon so alt.)

Ich hatte noch andere Punkte auf dieser Liste stehen, z.B. im Hotel gesund zu frühstücken, aber da bedachte ich noch nicht die zwingende Duftmarter von Ei und Speck und Kaffee und Ei und Speck. Wer den ganzen Tag nur Nutzloses verrichtet, der soll wenigstens gefrühstückt haben wie ein Steinmetz.

Entsprechend gestärkt war ich bereit für den Besucheranstrom. Das ist einer der allerschönsten Unterschiede zur Frankfurter Buchmesse: Es gibt eine wartende Horde, eine Absperrung, einen Gong und lautes Gejubel, und dann brechen tausende Besucher herein. Das gibt es in Frankfurt nicht.

Ich mach mal ein Foto von Euch, wie Ihr noch nicht hereindürft

Aber in Frankfurt gibt es ja auch keine Leipziger Suppentheke. Das wollen wir mal festhalten und auf Leipzigs To-Do-Liste setzen.

Aber nun zu meinen drei Zielen.

1.: Freunde begrüßen.

Die Unterschiede zwischen den beiden Messen und ihre Abwechselndheit sind eine wundervolle Kombination, und gerade weil man in Leipzig etliche Frankfurtgänger nicht sehen wird, freut man sich umso mehr über die, die man trifft. Ursula Rosengart von GABAL hat wieder ihren ganzen Stand alleine ausgepackt und komplett gelesen. Da ist sie so ehern wie ich beim Frühstück.

Oder bei Droemer Knaur z.B.: SAT.1-Mann Peter Hetzel gehört so sehr zu diesen Messen, dass ich glatt Fotos vom Vorjahr nehmen würde, wenn er mal nicht käme. Für den Auftakttag hat er sich sieben Interviews aufgeladen.

Mensch, Hetzel! Man soll doch nicht hungrig einkaufen gehen!

Oder Brigitte Loesdau, der ich aktuell ein wenig was verdanke, weil sie mich bei veranstaltungshungrigen Buchhändlern ins Gespräch brachte. Durch die Klatschmaulstruktur unserer Branche bescherte mir das bisher etliche Auftritte.

Also nochmals Danke, Frau Loesdau!

Seit ich 2008 mal einen Kaffeemailaufruf startete, haben sich einige echte, tiefe, rindswurtsheiße Freundschaften entwickelt. Der freundliche und erfolgreiche Odenwälder Verlag Edition XXL serviert mir seitdem bei bloßem Erscheinen nahezu wort- und fraglos mein Mittagessen nebst Getränk und Dessert. Und ich danke es mit kleinen Gefälligkeiten, z.B. indem ich zwei ihrer neuen Titel ganz oben in der SPIEGEL-Bestsellerliste Kinder- und Jugendbuch platzieren lasse.

Plätze 1 (Yakari) und 2 (Der kleine Prinz) trüben die Sicht auf meine Rindswurst

Bei Eichborn ist in letzter Zeit ja einiges in Bewegung, obschon noch nicht spruchreif. Wird der Frankfurter Sponti-Verlag seine Koffer packen und nach Berlin ziehen? Das fände ich sehr schade. Dem Frankfurter Ludenviertel würde ein toller Verlag fehlen. Uta Niederstraßer weiß nach wie vor Bücher zu präsentieren, die man sich genauer ansehen möchte.
Von trauriger Aktualität ist „Tschernobyl Baby“ von Merle Hilbk, die ein Sachbuch über die Generation Tschernobyl und die auf ewig beschädigte Region Weißrusslands geschrieben hat. An diesem Titel hatte kein Verlag Interesse, Eichborn schon.

Der zweite Titel ist der makaber-patente Katastrophen-How-to-Führer „A wie Apokalypse“, der in braver Alltagsanleitungsmanier und schicken Diagrammen alle Szenarien durchgeht, die der Menschheit Ende sein können.

Respekt vor dieser Spagatfähigkeit…
…und Danke für ein echt lesenswertes Buch!

So sehr am Puls der Zeit zu sein ist sicher mehr Verlegerglück als Timing. (Falls Verlegerglück nicht zu einem Großteil aus Timing besteht.)

Ebenfalls gutes Timing bewies Rabbiner Adrian Schell-Apacik, der zwei Messebesuchern bei einer Preisnachfrage behilflich war:

Das gojgel ich mal schnell für Sie

Während ich die zwei Meter zum Infostand laufen wollte, um die fragliche Information einzuholen, hat Rabbi Schell den Preis zweimal aus seinem IPhone herausbaldowert. Da kann ich nur staunen über die meschuggenen Zeiten. Ich Goj.

Und wenn man von meschugge spricht, kann mich auch Herbert Paulerberg nicht wirklich aus meinen Gedanken reißen, weil der an dem Thema selber zu nah dran ist.

Bevor ich in eine andere Richtung schauen kann, bastelt er mir rasch seinen Lebenslauf der letzten sechs Monate vor.

Der braucht für ein Schaufenster noch nicht einmal ein Schaufenster

Aber ich bin froh, dass er endlich vom Klebstoff runter ist:

Na, den Doktor kenne ich.
Dr. Dosenbier und Medicus Menetekel.

Immer wieder für eine Überraschung gut ist mein eigener Chef, Christian von Zittwitz. Diesmal musste ich ihm gar keine Lügen andichten, weil er sich schon von ganz alleine danebenbenommen hat. Beim Versuch, mir Geschäftsführer Thomas Wrensch von der Buchhandlung Graff vorzustellen, hat er alles komplett umgetauft und mich mit Herrn Graff aus Wrensch bekanntgemacht.

Aber die Branche stimmt noch.

Thomas Wrensch (links),
Christian von Meerbusch aus Zittwitz
(Chefredakteur vom DingsMarkt) (rechts)

Und damit endet mein kleiner Leuterundgang, den ich jeder Messe schulde. So ein Präfacebooknetzwerk aus echten Menschen mit physischen Händen zum Schütteln kostet halt Kilometer.

Die Suppe des Tages, die dem abhelfen soll, wird von der Frankfurter Buchmesse serviert. Das ist mal ein Service. Die Frankfurter Buchmesse bietet in Leipzig nämlich immer Suppe an. Was bietet die Leipziger Messe in Frankfurt an? Wenn mir der Zille mal über den Weg läuft, muss ich ihn das unbedingt fragen.
Pardon, der Herr Direktor Zille, meine ich natürlich.

Donnerstag: Karotten-Ingwer-Suppe mit Huhn

2. Einen Star interviewen.

Verdammt, ich lieb Dich.

Was soll ich groß an einer Einleitung herumziselieren, wenn dieser eine, ohrenbestempelnde, kopfmusiklostretende Satz allein völlig ausreicht, um einen der interessanteren Schlagersänger vorzustellen, den die letzten 20 Jahre hervorgebracht haben: Matthias Reim.

Reim ist ein widersprüchliches Pop-Phänomen: Schwerreich und hochverschuldet; Haus auf Mallorca, aber Insolvenzskandale in der Regenbogenpresse; total verschrien und total beliebt; ein voll netter Bad Boy; One-Hit-Wonder einerseits, fleißiger Hitproduzent andererseits; ein Rocker, der Pech hatte und zugleich ein Schlagersänger, der Glück hatte; weitgehend in Unwichtigkeit aufgelöst und plötzlich aus der Versenkung heraus Echo-nominiert. Sozusagen die Wolverine-Version von Andy Borg.

Bei südwest ist nun seine Autobiographie erschienen, aber ich kann Sie beruhigen, er hat sie wenigstens nicht selbst geschrieben. Ich habe das große Vergnügen, den Musiker und seinen Produzenten auf einen Kaffee, eine Zigarette, ein paar Fragen und ein paar Fotos zu treffen.

Fotos sind Reims Problem nicht: Sobald sich irgendwo eine Blende verengt, fällt er automatisch in ein Repertoire an Rumhäng- und Standbeinposen, die auch seinem Produzenten das Äußerste abverlangen.

Wenn Du nicht gleich von meiner Schulter steigst, dann…

Mir ist etwas unbehaglich, weil Reim in seinem Buch unmissverständlich klar gemacht hat, dass er Journalisten nicht traut, die einem das Wort im Munde herumdrehen und die Prominenz ihrer Opfer nur zum Wichtigmachen ausschlachten.

Das klingt fast aufs Wort wie meine Stellenbeschreibung.

MM: Ich weiß nicht, ob Du von mir ein seriöses Interview erwarten kannst.
MR: Das trifft sich gut, Du auch nicht von mir.
MM: Wann trinkst Du auf der Bühne Wasser und wann Bier?
MR: Vor 20.00 Uhr trinke ich Wasser, und nach 20.00 Uhr trinke ich im Laufe eines Konzerts drei frisch gezapfte Biere.
MM: Ist es ein Segen oder ein Fluch, wenn der erste Hit ein nie mehr zu erreichender Riesenerfolg ist?
MR: Das ist doch super. Erstens ist das ein Lied, das bleibt. Wenn das jeder kennt, und Du hast das gemacht, dann bist Du da total stolz drauf. Und zweitens ist das praktisch, so einen Hit im Repertoire zu haben. Egal, vor welchem Publikum ich spiele, dieses Lied zieht immer.
MM: Dein großes Comeback begann im Osten. Hast Du dich im Osten neu erfunden?
MR: Nein, gar nicht. Eher so: Der Osten hat mich neu entdeckt.
MM: Woran liegt das? Gefallene Mauer, gefallener Musiker?
MR: Nein, ich glaube, dass das für die nicht so ein Coolness-Problem ist, wenn einer deutsch singt.
MM: Wie war die Erfahrung, ein Buch zu schreiben bzw. zu verfassen?
MR: Großartig. Ich liebe Bücher. Und ich kann mich auch beim Erzählen gar nicht gut zurückhalten, man will immer noch mehr einbauen und muss aber sehr gründlich entscheiden, was weg muss und was wichtig ist. Ein Kinderbuch wäre ein nächstes Projekt.
MM: Wenn Du heute nochmal neu wählen könntest, wie würdest Du für Dich entscheiden: Eine ruhige Karriere ohne Höhen und Tiefen, aber auch ohne Stress; oder das durchgeschüttelte Leben mit seinen krassen Tiefen und einzigartigen Höhen?
MR: Ich hab eine Geschichte. Und die hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Und das findet alles in meinen Liedern statt, und sowas merkt das Publikum. Alles andere hat keinen Sinn. Ich würde alles nochmal genau so machen.

Meine eigene Körpergröße kommt bei kürzeren Celebrities nicht immer gut an

Am krassesten finde ich ja, dass er Dieter Weidenfeld mitgebracht hat. Die Produzentenlegende hat Howard Carpendale gefördert, ach was, geschaffen! Jetzt habe ich Hände geschüttelt, die schon John Lennon geschüttelt hat. Ich winke rasch ein paar Teenagerinnen herbei, die um Autogramme betteln, obwohl „Verdammt, ich lieb Dich!“ eher ein Lied ihrer Eltern gewesen sein muss.

Ein Name wie ein Imperativ

Mein Plan geht auf: Ein Andrang wie bei Bankhofer. Reim zückt sofort einen Beutel mit verschiedenfarbigen Autogramm-Eddings und lässt sich liebenswürdig feiern, fotografieren und anfassen, und ich kann endlich in Ruhe mit Weidenfeld über dies und das und Howard Carpendale plaudern.

3.: Überraschungen zum Eröffnungstag

Aha. Da ist also die rote Couch, die Eichborn nicht mehr braucht: Das Lokalradio der Leipziger Uni, mephisto 97.6, hat sie jetzt in Gebrauch.

oder war das Sofa von Eichborn nicht ein röteres?

Ganz unverhofft treffe ich Benjamin Nover mit Frau Nicole und einer riesigen Lobodot-Puppe auf den Schultern. Vor zwei Jahren hatte ich ein Interview mit dem Obdachlosen, der es geschafft hatte, einen Verlag für seine wunderlichen Zeichnungen zu finden. Inzwischen sind beide wieder vollwertige Menschen mit Adresse. Sie wohnsitzen! Wie mich das freut!

Und sie verkaufen Puppen.

Und sind auf Ausstellungen zu sehen.

Und wenn nun noch ein Verlag Interesse an Novers aktuellem Projekt hat…

Jetzt ganz im Ernst:
Privat trage ich die gleichen Hemden.

…dann müssen die beiden nicht so viele Puppen nähen. Ein Blick auf das Pennerleben mit dem Titel: Wo der Penner pennt.

Ich bin gespannt.

Die nächste Überraschung: Christoph Links hat das Verdienstkreuz am Band erhalten und trägt es nicht!

Und beides hat er mit James Last gemeinsam.

Bevor wir über die Bannerwerbung von dtv reden können, muss ich vorausschicken, dass Jussi Adler-Olsen wirklich ein freundlicher, patenter, entspannter, gelassener, kluger und besonnener Kopf ist. Aber eingedenk der schwelenden Bosheit in seiner Trilogie hat der Verlag ihn ganz anders dargestellt.

Er guckt jetzt wie Dennis Hopper, kurz bevor er ausrastet.

Jessas!

Entweder weiß er nichts über dieses Motiv…

…oder er muss darüber lachen.

Nicht lachen, sondern staunen musste ich über die kleinstgedruckten Bücher der Welt. Nach Shakespeares Credo „All the world’s a stage“ nennt sich dieser pfiffige Verlag All the World’s a page. Denn kleinstgedruckt heißt zwar hier einpunktgroß, aber eben alles auf eine große Seite gepackt, groß wie ein Poster. Im Sortiment des Anbieters gibt es diverse Bibeln: So die christliche, aber auch Marx‘ „Das Kapital“, Melvilles „Moby Dick“ und selbstverständlich Goethes „Faust“.

Karg und genialisch: Hingucker oder nicht?

Zuerst konnte mein Auge das gar nicht auflösen. Ach, was schreibe ich – „zuerst“? Mein Auge konnte das überhaupt nicht auflösen. Das war eher umgekehrt: Wenn ich lange genug versuche, die Schriftgröße 1 Punkt zu lesen, löst das nämlich mein Auge auf.

Also habe ich mich redlich und kläglich abgemüht, mit meiner Urlaubskamera auf diesem Plakat herumzuschleifen, aber ihre Microfichefähigkeit ist leider begrenzt.

Vielleicht Hingucker.
Definitiv Hingucker.
WTF?
Auflösung der Augen kann beginnen.

Sensationell, was es alles gibt. Interessant sind auch die nun sichtbaren Mengenverhältnisse wie z.B. AT und NT der Bibel.

Ich würde mir ja einen Shakespeare wünschen.

So, aber nun muss ich mich sputen. Die Verleihung des Leipziger Messepreises beginnt gleich, und da will ich rechtzeitig abgehauen sein, damit ich die Gewinner sofort googeln kann. Man kriegt ja dort keinen Sitzplatz.
Seit Stunden schon schleichen da überall Securityleute herum, die die leeren Stühle bewachen, und ich drohte außerdem gestern schon an, für heute eine gerade eben so akzeptable Ausrede anzubringen, mir diesen Verleihkram nicht anzutun. Da haben eh lauter Bücher gewonnen, die ich mal wieder nicht auf dem Radar hatte.

Da bin ich nirgends

Das können Sie sich ja selber hier ansehen. Aber ich gratuliere recht abwesend!

Auf dem Weg nach draußen sehen ich die allerletzte Überraschung für den heutigen Messedonnerstag:

Eine exaltierte Installation, die zwei buchredenden Menschen zur Interview-Kulisse für eine TV-Aufzeichnung dienen soll. Zwei Klappstühle, ein Rokokotischlein, ein internationaler Autorenstar (Simon Beckett) und ein barocker Kronleuchter im Nieselregen – und das Ganze war NICHT für Denis Scheck, sondern für ServusTV!

uuund Schnitt. Nein, halt, erst Action.

Sagen Sie doch selbst: Das sieht total nach Denis Scheck aus. Aber Österreich ist als Erklärung hierfür völlig ausreichend.

Und das waren für heute genug Freunde, Stars und Überraschungen. Dass ich nachts noch Vito von Eichborn im Fahrstuhl treffe und keine Kamera einstecken habe, ist das i-Tüpfelchen meines Tages. Der Spontisaurier beklagt das deutsche Wetter, weil er auf Mallorca lebt.

Wahrscheinlich Nachmieter von Matthias Reim.

Ich wünsche Ihnen einen guten Freitag!

Ihr
Matthias Mayer

herrmayer@hotmail.com
www.herrmayer.com

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