Einige Verlagsmarketingleiter sind der Ansicht, die deutschen Feuilletons seien daran schuld, dass zu wenige Menschen in die Buchhandlungen gehen und Bücher kaufen. Zeigen sie da nicht ein völlig falsches Verständnis von den Feuilletons – und von der Pressearbeit ihrer Verlage?

Verleger wie Sortimenter werden es verstehen und begrüssen, wenn einen Marketingleiter vor allem ein Thema umtreibt: „Was wird getan, damit Menschen in die Buchhandlungen gehen?“ Darüber sollte sich wirklich jeder Gedanken machen.

Doch wer könnte, wer müßte dafür eigentlich mehr tun?

Zunächst doch wohl der Buchhandel selbst. Er hat seine Möglichkeiten hier keineswegs ausgereizt, so wenig wie das Verlagsmarketing die Möglichkeiten in der Zusammenarbeit mit den Buchhändlern vor Ort.

Die Verlage meinen offenbar, selbst insgesamt schon genug zu tun. “Wir werben im Millionenbereich“, sagt ein Marketing- und Werbeleiter. Er arbeitet in einem großen Verlag, dessen Werbebudget tatsächlich im Millionenbereich liegt. Gut so. Nur bewirken diese Werbemillionen, wenn man seine Sorgen hört und die Sorgen sind ja berechtigt, anscheinend nichts oder jedenfalls nicht genug, um die Menschen zum Besuch von Buchhandlungen und zum Kauf von Büchern zu animieren. Das wirft vorab drei Fragen auf:

Erstens: Werden denn die einzelnen Programmtitel hinreichend beworben? Nein. Es ist mittlerweile notorisch: Für die große Mehrzahl der Novitäten wird über die Präsentation in den Vorschauen hinaus kein müder Werbefinger gerührt.

Zweitens: Wird für die Novitäten, die überhaupt beworben werden, beim Publikum genügend Reklame gemacht? Wiederum nein. Denn das Geld, das in Publikumswerbung gesteckt wird, die Anzeigen beispielsweise, die in Publikumsmedien geschaltet werden, haben seit Jahren drastisch abgenommen.

Drittens: Ist die Publikumswerbung, welche betrieben wird, denn informativ, interessant und gut? Von Kennern wird auch das seit langem bestritten. Sie gilt weithin im Vergleich aller Branche als das – auch textlich! – einfallsloseste, informationsärmste und langweiligste Beispiel. Sie würde mehrheitlich nicht einmal einen hungrigen Hund hinterm Ofen hervorlocken.

Es sind jedoch nicht diese Dinge, die etliche Marketingchefs kümmern. Sie bewegt übergeordnet vornehmlich eins: „Wir suchen die besten Kontakte zu den Journalisten, damit Nachfrage für Bücher erzeugt wird“, heißt es auf einer Werbe-Etage – aber die Feuilletons spielen nicht mit. „Bis auf Elke Heidenreich und ein paar weitere Ausnahmen sagt den Menschen kaum jemand, was gut ist, was man unbedingt lesen muss, was Spaß macht, was unterhält“, erklärt einer. „Darf das Feuilleton hier wirklich zweckfrei arbeiten? Müsste es nicht vielmehr die Bedürfnisse der Leserinnen und Leser wahrnehmen? Müssten die Feuilletons nicht ihre eigenen Leserschaften im Auge behalten“, statt sich überwiegend mit Büchern auf und über „Klagenfurt-Niveau“ zu widmen, mit denen die meisten Zeitungsleser „nichts anzufangen wissen“?

Uff! Das Klagen von Verlegern, dieses oder jenes Feuilleton täte nicht genug für ihre Bücher, ist ein uraltes Phänomen. So generell und radikal wie jetzt aber ist es noch niemand formuliert worden. Jetzt wird an die Feuilletons von Verlagsseite sozusagen die Forderung gestellt , sie müssten sich ändern, damit Nachfrage erzeugt wird – also das zu leisten, wozu die Buchverlage für sich nicht mehr hinreichend imstande sind, überspitzt ausgedrückt: Sie sollen sich in den Dienst der Verlage zu stellen.

Was ist dazu zu sagen?

Das Problem ist klar. Mit ihren vertrieblichen und werblichen Mitteln vermögen die Verlage für immer weniger Titel zunehmend weniger zu bewegen. Darum ertönt auf Marketing- und Vertreterkonferenzen heute in wachsendem Masse der Schlachtruf: „Die Presse(abteilung) muss es richten, dass dieses Buch durchkommt!“ Und den Mitarbeitern der Presseabteilungen muss hier endlich mal hohes Lob gespendet werden: Es ist erstaunlich, wie viele große, mittlere und kleine Erfolge im Buchmarkt überhaupt nur durch ihre Anstösse, ihre Findigkeit und Mühe zustandekommen. (Auch die Autoren und Buchhändler schulden ihnen Dank.) Das alles läuft ja oft auch ganz wundervoll – solange nämlich, als Verlage insbesondere beim Erwerb teurer Buchrechte für Spitzentitel, für deren Durchsetzung im Markt es immer häufiger eines medialen Feuerwerks bedarf, sich bei ihren Pressedamen und -herren vergewissert haben, ob Autor und Manuskript auch das Zeug haben, bei den Medien auf Interesse zu stoßen. Genau dies geschieht in so manchem Haus jedoch nicht; und eben hier beisst sich die Katze in den eigenen Schwanz. Denn die wenigsten all zu viele Marketing-, Vertriebs- und Werbemanager sind in Unkenntnis der irrigen Meinung sind, die Feuilletons könnten und könnten (und sollten) sich auf werbewirksame Beiträge für Populäres konzentrieren.

Können die Feuilletons aber nicht.

Weil keine Redaktion, kein freischaffender Buchjournalist mehr in der Lage wäre, die Tausende Titel an Unterhaltungsliteratur, die von Saison zu Saison neu auf den Markt geworfen werden, zu lesen und auch nur auf das hin zu selektieren, „was gut ist, was man unbedingt lesen muss, was Spaß macht, was unterhält“. Hier wird der Spieß wiederum verkehrt herum gestoßen. Diese Selektion zu treffen, ist eigentlich Aufgabe der Programmacher in den Verlagen. Aber „75 Prozent“ der Massen des von ihnen an „Populärem“ Publizierten ist heute „Dreck“, um die Wertung einer auf Unterhaltungsliteratur spezialisierten amerikanischen Professorin zu übernehmen: austauschbare Ware von minderer Qualität – die von den Verlagen fast unterschiedslos jedoch als hoch spannend, unterhaltsam und spaßmachend deklariert wird. Schon der Arbeitsaufwand, aus diesem reißenden Sturzbach – schließlich erscheint in Deutschland alle 56 Minuten ein neues belletristisches Buch – Goldstücke herauszuholen, vermag von Literaturjournalisten ebenso wenig geleistet werden wie von den Sortimentern.

Weil selbst die gute Unterhaltungsliteratur en masse für Journalisten einfach nichts hergibt. Sie ist sich inhaltlich wie formal zu ähnlich, und allzu oft über mehr oder weniger Gleiches zu berichten, würde die Feuilletons für die Leser nun wirklich sterbenslangweilig machen.

Weil „Werbe“-Texte die ödeste von allen den Lesern (un)zumutbaren Textformen darstellen. (Man braucht hier nur einmal das Gros der Beiträge in den fürs Publikum gedachten Verlags- und Buchhandelsprospekten zu betrachten.) Sie wären des Feuilletons Tod.

Außerdem, grundsätzlich, arbeiten die Feuilletons keinesfalls „zweckfrei“. Die wenigsten Programm-Macher und Lektoren sind heute mit der Arbeitsweise von Medien und vor allem Feuilletons vertraut. Ihre Zweck besteht primär eben „nicht darin, Bücher zu verkaufen“, wie Albrecht Roeseler, der viel zu früh verstorbene langjährige Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung bereits Ende der 1970er Anlass sah zu betonen. Sie sind der Aufgabe kultureller Information verpflichtet (und der gewöhnliche Unterhaltungsroman besitzt keinen Informationswert). Darüber hinaus haben sie einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen und privaten Gesprächs- und Debattenkultur zu leisten (die große Mehrzahl der Unterhaltungstitel bietet jedoch keinen Gesprächs- und Debattenstoff). Das heißt, ihnen muss es, so weit möglich, um nachhaltige Wirkung gehen.

Weiterhin: Die Bedürfnisse der Feuilletonleserinnen und Leser sind alles andere als mit den Interessen von Buchverlagsmanagern identisch, so wie sie auch nicht deckungsgleich sind mit den Bedürfnissen der Zeitungsleser von Politik-, Wirtschafts-, Sport- und Lokalteil oder „bunten“ Seiten. (Zeitungen bündeln nämlich mehrere, ganz unterschiedliche Leserinteressen.) Auch in diesem Punkte ist der Spieß in unhaltbarer Weise herumgedreht worden: Es sind nicht so sehr die Feuilletons, die ihre eigene Leserschaft aus dem Auge verloren haben, als vielmehr gerade die Buchverlage mit ihren Unterhaltungsprogrammen.

Nun werden die Feuilletons dergleichen unsinnige Forderungen schon abwehren können. Sorgen bereitet mir in diesem Zusammenhang etwas anderes: dass nämlich solche Programm-Macher und Marketingstrategen in ihrer Unkenntnis der Medien ihre Presseabteilungen einem falschen Druck aussetzen könnten – vielleicht sogar, dort, wo sie die Budgethoheit über die Pressearbeit innehaben, dementsprechend die Mittel detaillieren. (Ich kann nur hoffen, es ist nirgends der Fall.)

Es ist ja so, dass die Presseabteilungen der Verlage heute durchaus darauf hin arbeiten, dass die von ihnen betreuten Bücher am Markt Erfolg haben. Sie dürfen jedoch nicht in Vertriebsknechtschaft geraten. Dann könnten sie ihre eigentliche Arbeit nicht mehr optimal leisten: die Bücher über die Medien ins Gespräch zu bringen; den Feuilletons (wie allen Medien) das nahe zu bringen, was für die Medien und Feuilletons interessant und wichtig ist.

Es muss zudem erinnert werden: Auch die Marketing- und Vertriebsleute stehen unter der Verpflichtung, die ihre Verlage mit allen Autorenverträgen eingehen, nämlich für jedes Buch das Bestmögliche zu seiner Verbreitung zu tun – auch für Titel auf und über „Klagenfurt“-Niveau, wie sie inzwischen doch sogar in kommerziellen Publikumsverlagen vertreten sind (sei es aus Liebe seitens der Lektoren, sei es aus Prestigegründen). Zu versuchen, ihnen per Verdrängung durch Unterhaltungsliteratur auch noch ihren Platz im Feuilleton zu rauben, käme einer Verletzung dieser Verpflichtung gleich und würde für sie selbst einen Schlag ins Wasser bedeuten.

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite den Button „Forum“ anklicken, einloggen und los geht‘s.

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