Liebe Freunde,
heute, am Samstag, hatte ich endlich mal was tun, was meinen Fähigkeiten entspricht! Außer verdauen, meine ich. Denn ich hatte heute mindestens zwei Interviews! Am Freitag endete mein Tag mit Wigald Boning, und mein Leipzigsamstag darf gleichermaßen ausgesucht beginnen:
Ich treffe die Journalistin und Moderatorin Alida Gundlach, die irgendwo bei Random House ihr neuestes Buch „Miteinander oder gar nicht“ vorstellt. (Bei Südwest, na klar.)
Es handelt zwar von der Zukunft, von Motivation, von Generationen, von wechselnden Familienmodellen und von Kommunikation, aber es ist mehr als die Summe seiner Teile: Es handelt im Grunde davon, wie Alida Gundlach leben will. (Huch, jetzt habe ich das Ende verraten.) Und es ist so mitreißend und motivierend geschrieben, dass man sich zum eigenen Lebensentwurf gerne inspirieren lassen kann. Falls da Bedarf vorliegt.
Sie beklagt, dass eine ihrer Lieblingsanekdoten – über den großen Schauspieler Curt Bois – immerzu im Schatten von Kinski stehen wird. Die Presse frage immer nur nach Kinski, Kinksi, Kinski, und nie nach Curt Bois.
Und da hat sie recht: Als erstes frage ich Frau Gundlach nach dem berühmten Interview, das sie 1984 mit Kinksi führte. Souverän hat sie inzwischen annehmen gelernt, dass dieser furchtbare Mann und sie für immer miteinander verbunden bleiben und plaudert aus dem Nähkästchen.
Aber hat man Kinksi wirklich nur deshalb überstanden, um dann bei Kurt Krömer durch eine weitere Hölle zu gehen? Auch das hat Frau Gundlach nämlich gemeistert. Während der Show muss es schrecklich gewesen sein, aber das Gesamtkunstwerk Krömer hat sie dann am Ende von seiner Geschlossenheit und Konsequenz überzeugt.
Ich will natürlich wissen, wer ihr schönster mehrfacher Interviewpartner war, und diese Antwort fällt ihr rasch und leicht: Peter Ustinov. Aber sie schätzt auch junge Schauspielerinnen, die ganz am Anfang ihrer Karriere stehen, oder die „Fertigen“ von Löwitsch bis Wondratschek.
Alida Gundlach findet, wie die meisten Menschen, die Leipziger Buchmesse schöner als die Frankfurter Buchmesse.
Und so plaudern wir weit über die Zeit hinaus, Frau Gundlach, die Damen Völker und Limmer von Random House und ich; und so geht das übrigens sehr oft bei Random House. Nicht immer, aber sehr oft sind Interviews dort gemütliche Kaffeekränzchen jenseits den Grenzen der Zeit. Ich weiß nicht, ob das an mir oder am Resopal liegt, aber ich genieße es immer sehr.
Ach ja, die Curt-Bois-Geschichte! Ich will gerne der allererste Journalist sein, der ihr mehr Gewicht gibt als Kinski.
Alida Gundlach fragte den großen Curt Bois, wer ihm denn in seinem langen Leben so sehr imponiert habe, dass es bis zum jetzigen Tage anhalte. Und Curt Bois antwortete entschlossen: Ingeborg So-und-so (oder so ähnlich.) Jedenfalls ein Name, mit dem Frau Gundlach nicht das Geringste anfangen konnte. Sie entschloss sich für den Weg des geringsten Widerstandes und nickte den Namen immer wieder ab, wenn er fiel:
„Ah ja, die.“
„Ist ja interessant“
„Jaja, wer kennt sie nicht?“
„Wer sonst?“
und so weiter. Alida Gundlach ließ sich nicht anmerken, dass sie Frau So-und-so nicht kannte, denn um nichts in der Welt wollte sie vor Curt Bois eine so peinliche Wissenslücke zugeben, also tat sie sehr erfolgreich so, als müsse jeder diese Frau kennen!
Was aber niemand tat, weil es sich bloß um die alte Nachbarin von Curt Bois handelte.
Es war sehr nett, Frau Gundlach; wie immer Danke, Frau Völker! Guten Heimweg und bis Oktober!
Und das war doch mal ein Einstieg in einen Messetag! So viel Text am Stück waren Sie gar nicht mehr gewohnt! Marzipan hier, Käffchen dort! Damit ist jetzt Schluss! (Aber keine Sorge, damit mache ich am Sonntag weiter.)
Heute ist nämlich noch eine andere Sache so akut gewesen wie meine Arbeitswut: Der CosPlayer-Ansturm. Die Mangoiden sind heute in großer Zahl gekommen (und nicht nur die) und haben die Gänge verstopft.
Es gab einen richtigen Gängekollaps: Sicherheitskräfte wurden eingesetzt, um Laufrichtungen vorzugeben und Stau-Deeskalationsmaßnahmen einzuleiten.
Und der ansonsten zurückgezogene Innenhofbereich wird bei schönem Wetter zum sehr großen Pausenhof:
Auch Johnny Depp war anwesend!
Und natürlich war ich sehr gespannt darauf, wieviele Avatare ich hier herumlaufen sehen würde. Und tatsächlich, es waren einige da!
Weniger aufs Detail als auf kompletten Wagemut achteten diese beiden halbnackten Teenager:
Wohingegen dieser junge Mann zwar sein Kostüm absolut vernachlässigte, dafür aber viele Stunden seines jungen Lebens damit verbracht haben muss, sich dieses Kunstwerk ins Gesicht zu pinseln:
Nur der hier ist völlig misslungen. Der sollte sich was schämen, in seinem Alter.
Apropos Schämen: Bar jeder Scham fordere ich bei Edition Ruprecht mein halbjährliches Messe-Bounty. Ohne dass mein Koffer durchsucht wurde (denn dort befindet sich bereits eines), erhalte ich in Abwesenheit Frau Dr. Ruprechts einfach ein weiteres!
Aber das ist natürlich kein Mittagessen.
Wie schon am Freitag nehme ich gerne die Einladung der Frankfurter Buchmesse an, um dieses mal e schee Kardoffelsubb mit Frankfordder Wörschtscher zu erhalten.
Ich habe Gelegenheit, Maren Ongsiek und Sandra Poczka zur Menügestaltung zu fragen. Sie berichten, dass es drei Faktoren sind, die die drei Tagessuppen bestimmen:
1. Die Küche des Gastlandes,
2. Die eigene Frankfurter Tradition,
3. Worauf Jürgen Boos mal wieder Lust hat.
Nach dieser Lukullik stürze ich mich umso mehr in Arbeit und setze mich erst mal am BuchMarkt-Stand hin, um nichts zu tun. Plötzlich stürzt der Allgäuer Buchhändler Carsten Vogt auf mich zu. Ich tue weiterhin nichts. Er will wissen, ob ich echt bin oder meine Berichte vom Sofa aus erfinde. Vogt stellt fest: „Sie sind ja wirklich hier!“ Und da bin ich doch schon mal froh, dass davon wenigstens einer überzeugt ist.
Nicht so wie meine fragwürdigen Kollegen. Hier spielen sie gerade Reporter.
Als nächstes erblicke ich das „Urheberrecht für Dummies“, wie es als Tischentwackler missbraucht wird. (Oder muss man in Rechtssachen „ausgelegt“ sagen?) Herr Faure meinte, die Branche stehe nun mal auf dem Boden des Urheberrechts. Besser kann man das nicht zeigen.
Hier störe ich ein wahrscheinlich moraljuristisches Gespräch zwischen Redakteur Koeffler und Kolumnist Gerhard Beckmann. Auf der letzten Messe hatte ich Herrn Beckmann als Herrn Gollhardt angesprochen, aufgeschrieben und bildbeschriftet und dann, wie immer, so getan, als sei das ein Witz gewesen.
Was weiß denn ich, wie die alle heißen. Ich heiße ja auch nur Mayer. Der Allgäuer Buchhandel hält mich sogar für komplett erfunden.
Außer Ralph Möllers, den habe ich auf dieser Messe bis jetzt jeden Tag fünf mal getroffen. Wenn’s reicht. Und dann wirft er mir vor, dass ich mich überall herumtreibe. Der Terzio-Verleger ist seinerseits sehr umtriebig, denn mit der sensationellen Plattform book2look hat er ein Bindeglied geschaffen zwischen dem Buch und – wie sage ich es nur kurz? – zwischen, nun ja, allen anderen Plattformen, die es gibt.
Eine Art literarische Multimediafrühlingsrolle. Sie können Bücher surfen. Taggen. Twittern. Mailen. Shoppen. Posten. Facebooken. Das meiste per One-Click. Gratis für Buchhändler, nützlich für Verlage. Möllers sind in der Entwicklung irgendwann die Gelder ausgegangen, aber das Projekt war einfach viel zu gut zum Sterben und wurde, wie so oft, zunächst unter Selbstausbeutung zu Ende gebracht. Und nun steht book2look allen zur Verfügung; viele nutzen es schon; und es ist nur eine Frage der Zeit, bis es plötzlich explodiert und Teil vom Web 2.0 sein wird.
Ich habe mein zweites Interview vor mir. Bei Rowohlt warte ich auf den Reiseschriftsteller Helge Timmerberg, dessen eigenwillige, hochsubjektive, grundehrliche Schreiberei ihn kreuz und quer den Globus hinauf- und hinuntergeführt hat.
Während ich warte, setzt sich Finanzberater Dr. Helmut Dähne mit einem Laptop an meinen Tisch, was ich persönlich für kein gutes Zeichen halte, auch wenn mir der Mann nichts getan hat.
Zum Glück taucht Timmerberg bald auf. Aber er will erst mal eine rauchen vor dem Interview. Ich freue mich immer, wenn ich Raucher interviewen kann, denn dann kann man zusammen eine rauchen. Oder zwei. Und Kaffee zusammen trinken. Dann braucht man fast kein Interview mehr, so schön ist es. Und so stehen Helge Timmerberg und ich im Rowohlt-Kisten-und-Aschenbecher-Lager und plaudern ein wenig.
Über den kosmopolitischen Flickenteppich, den andere Seele nennen; über die Natur der Menschen, über den Unterschied zwischen Schönheit und Entwicklung; über ausländische Reiseführer von Deutschland; über unsere Eltern. Wir reden über die Treulosigkeit der Kubanerinnen, und wir reden sogar über Smalltalk, weil das ein international hochinteressantes Thema ist.
Timmerberg gefällt meine Daffy-Duck-Krawatte. Und er lacht, wenn ich das Wort „drollig“ benutze. Keine Ahnung, warum.
Ich frage ihn, wieso der Reisejournalismus und der Humor sich so oft begegnen, aber wie jeder humorvolle Mensch steht er den Ursachen seines Humors völlig hilf- und ahnungslos gegenüber.
Ich frage ihn, wie sich ein Althippie-Siddhartha-Globetrotter fühlt, wenn er es sich im kulturellen Establishment samt Signierreisen und ARD-Interviews gemütlich macht. Timmerberg lächelt milde und dankt für die Schubladen, aber seine Entwicklung sei ein langsames, allmähliches Verändern und kein Kulturschock über Nacht.
Über Globalisierung hingegen sind wir uns einig: Die Welt wird zwischen logistischer Erleichterung (man kriegt alles, was man will) und sinnlicher Verrohung (man kriegt alles) aufgerieben. Schön ist das nicht.
Das Thema Drogen lassen wir einvernehmlich aus, weil es schon so abgegriffen ist. Und weil unsere Mütter das hier alles mitlesen.
Ein Gonzo-Journalist auf den Spuren Hunter S. Thompsons, ein Bummler, ein Lebemann; ein 68er, ein Hesse-Leser, den das LSD in jungen Jahren nach Indien verschlagen hat, hat die Welt bereist und daraus ein Buch voller Beobachtungen und Anekdoten der wilden Art gemacht.
Für einen Samstags-Ausklang war das natürlich ein viel zu mitreißendes Interview, deshalb lasse ich mich am Stand von eBuch noch ein wenig bechillen. Dachte ich zumindest, weil es was mit Computerzeugs zu tun hatte. Aber dann gelang es auch Herbert Thurn, mich von der e-Vorschau zu überzeugen.
eBuch stellt hiermit ein Instrumentarium zur Verfügung (also ein: Toooooool), das Verlage und Buchtitel von Vorschauen bündelt. Ebenso simpel wie brillant werden die Möglichkeiten von Suchmaske und Einkaufskorb ins Vorschauenmodell übersetzt, sind voll in die eigene Warenwirtschaft einzubinden oder gerne auch altmodisch als Bestellfax auszudrucken…
…die Anhäufung bunter papierner Verlagsvorschauen hätte dann jedenfalls ein Ende. Der Buchhandel beschreit ja den Papierüberfluss seit Jahren. Aber ob er sich die Vorschauen ganz wegnehmen lassen will?
Jedenfalls muss ich zugeben: Heute konnte ich mal über interessante Innovationen berichten.
Oh – und bevor ich das vergesse: Der Capuccino bei eBuch war auf dieser Messe der beste! Die haben sich extra eine Jura geleast, und sie haben sie anscheinend mit sehr guten Bohnen gefüttert und die Maschine auch korrekt befüllt und bedient – jedenfalls war das ein extrem leckerer Cappuccino, und wenn es mich am Sonntag nochmal in Halle 5 verschlägt, dann hole ich mir noch einen.
Oder zwei. Oder zehn.
Und damit endet mein Leipziger Messesamstag.
Als niemand guckt, fotografiere ich das freundliche Messemaskottchen ein weiteres mal unbemerkt, diesmal von hinten. Das hatten wir noch gar nicht.
Ich wünsche Ihnen einen guten Sonntag und eine gute Heimreise!
Sie werden Montag früh meinen Sonntagsbericht lesen.
Beste Grüße,
Ihr
Matthias Mayer