Beckmann kommtiert Entscheidet inzwischen ein niedriger Ladenpreis über die Bestseller?

Wie kommen die Bestsellerlisten zustande? Was ist der entscheidende Faktor, dass ein Buch in solch veröffentlichten Rankings erscheint?

Die Fragen haben schon immer die Gemüter bewegt. Bestsellerlisten waren nie unumstritten. Dass da auch der Ladenpreis eine Rolle spielte, ist klar. Wenn er zu hoch angesetzt wurde, so dass er für weite Leserkreise unerschwinglich war oder vielen zu teuer schien, wenn also das Preis-Leistungsverhältnis nicht stimmte, hatte ein Buch selbstverständlich keine Aussichten, Verkaufszahlen zu erreichen, die vergleichbar andere Werke spektakulär übertraf. Und wer es von vornherein darauf anlegte, dass ein an sich populäres Werk zu einem sichtlichen Massenerfolg wurde, hat – die ganze Verlagsgeschichte belegt es – den Preis schon immer so kalkuliert, dass er bei kaufmännisch solidem Rechnen so niedrig wie möglich ausfiel. Klar, dass es so war.

Aber so einfach und klar ist es inzwischen nicht mehr. Da hat sich etwas schwer geändert. Auf den relevanten nationalen Bestsellerlisten in Großbritannien stehen heute nur mehr (fast) ausschließlich Titel, die von großen Supermarktketten, Online-Händlern und Buchfilialisten mit diskontierten, besonders niedrigen Verkaufspreisen – oder gar zu „Dumpingpreisen“ – angeboten werden. In Deutschland besteht für Bücher, die über 20 Euro kosten, inzwischen bloß in seltenen Fällen eine Chance, auf die führende, maßgebliche Spiegel-Bestsellerliste zu gelangen: Das war vor fünf Jahren noch anders.

Was ist da geschehen?

Eine Bestsellerliste wurde erstmals Ende des 19. Jahrhunderts erstellt. Auf das Ermitteln und Vergleichen exakter Verkaufszahlen kam es dabei gar nicht an. Sie ist bekanntlich eine amerikanische Erfindung. Es war eine Zeit, in der die USA weitgehend noch ohne ein großes und breites eigenes Literaturschaffen waren – der Lesebedarf wurde vor allem von englischen Schriftstellern gedeckt. Gerade deren erfolgreiche Bücher wurden aber immer wieder von unseriösen Verlagen in Raubdrucken unters Volk gebracht. Und mit Hilfe der Bestsellerliste, welche die bestverkauften Titel der Buchhandlungen in dem riesigen Land zusammenführte, sollten darum insbesondere solch eklatante Vorkommnisse geistigen Diebstahls aufgespürt, offengelegt und bekämpft werden. Sie war eine Maßnahme zum Schutz von Autoren und ihren Verlagen (die damals übrigens häufig noch Tochterunternehmen britischer Häuser darstellten). In diesem Zusammenhang schien eine genaue Statistik der Verkaufszahlen von eher sekundärer Bedeutung.

Statische Genauigkeit wurde dann jedoch relevant, seit und je mehr Bestsellerlisten als Instrument von Werbung und Marketing eingesetzt werden und so im Konkurrenzkampf der Verlage eine Rolle spielen. Da macht es ja einen großen Unterschied aus, ob ein Titel in medienwirksam veröffentlichten Rankings auf Platz 1, 3 oder 10 rangieren oder gar überhaupt nicht auftauchen. Insofern ist ein (möglichst) korrektes Ranking Gebot eines fairen Wettbewerbs unter Verlagen sowie, nicht minder, einer sauberen Information der Öffentlichkeit, die ja durch Bekanntgabe dessen, was eine herausragende Vielzahl ihrer Landsleute und Zeitgenossen so interessant und wichtig finden, dass sie es kaufen und lesen, gewissermaßen demokratisch davon unterrichtet werden sollen, was überhaupt für Mehrheiten von Belang sein könnte.

Solange die Listen aus regelmäßigen individuellen Befragungen führender lokaler Sortimente unterschiedlicher Größen und Profile zusammengestellt wurden, waren komplizierte statistische Methoden, war eine proportionale Gewichtung der einzelnen Verkaufsdaten erforderlich; sie waren nicht immer so klar und transparent, wie es vielen wünschenswert erschien; kurzum: Sie waren nicht selten umstritten. Und solange die Angaben der konkreten Absatzstückzahlen auf die Wahrnehmung und Erinnerung einzelner Buchhändler an wöchentliche Meistverkäufe zurückgingen, blieben sie letztlich mehr oder weniger subjektiv und nicht zuletzt mit der Gefahr buchhändlerischer wie (indirekt auch) verlegerischer Manipulationen behaftet. Es war dieser doppelte Vorwurf mangelnder Transparenz, der eine immer wieder neue aufflammende grundsätzliche Kritik an den Bestsellerlisten auslöste.

Dieses Problem ist mit den Möglichkeiten einer direkten, elektronischen Datenerfassung an den Ladenkassen praktisch aller Buchhandlungen und Verkaufsstellen lösbar geworden. Laut Bericht eines befreundeten englischen Verlegers erfasste das Konsumforschungsunternehmen Nielsen Data – der maßgebliche Datenlieferant für die Bestsellerlisten in Großbritannien – auf diese Weise bereits vor dem Jahr 2000 rund 92 Prozent aller tatsächlichen Buchverkäufe. Davon schien damals die mit gleichem Instrumentarium arbeitende Media Control hier zu Lande noch weit entfernt. Es ist zu hoffen, dass die GfK/Media Control inzwischen ähnlich umfassend arbeitet und so eine ähnlich exakte Statistik zuwege bringt. Man würde gern wissen, wie umfassend das statistische Zahlenwerk hinter den Spiegel-Bestsellerlisten heutzutage ist.

Nun hat freilich nie geklärt werden können, wie direkt verkaufsfördernd solche Rankings wirklich sind; das gilt insbesondere bei Titeln, die unterhalb der ersten drei Spitzenplätze rangieren. In Verlagen gelten sie immerhin als extrem wichtig, und das offenbar um so mehr seit der weitgehenden Boulevardisierung aller Medien wie der Kultur. Die Auswirkungen einer modernen Ökonomie der Aufmerksamkeit können gar nicht hoch genug veranschlagt werden, und in unserem Zeitalter der ‚Events´ hat der Erfolg des Erreichens eines Platzes in der Sonne der Bestsellerlisten Event-Charakter. Er löst – oft unabhängig von Autor, Form, Inhalt und These, d. h. von eigentlicher Relevanz und Substanz – ein Medienspektakel an Berichten, Interviews, Portraits, Hintergrundgeschichten, Talk-Show-Auftritten mit Millionenquoten etc.

Denn Bestsellertum verleiht Büchern und ihren Autoren prompt Promi-Status mit hohen Verkaufsimpulsen, wie sie mit – übrigens auch unbezahlbarer -traditioneller Werbung nicht zu erzielen wären. Darum scheint auch mittlerweile in manchen großen Publikumsverlagen die Presse- und Öffentlichkeit darauf abgestellt zu sein, geplante „Erfolge“ planungsmäßig massenmedial “durchzusetzen“. Darum erfolgt heute ein beträchtlicher Arbeitseinsatz von Literaturredakteuren und vereinzelter literarischer Verleger wie Michael Krüger von Hanser in und mit Jurys renommierter Literaturpreise, deren Preisträger die Aufmerksamkeit auch der Medien auf sich lenken und so bestsellerfähig werden. Kritische Beobachter der Frankfurter und Leipziger Buchmessen wissen, dass selbst dort hervorragende Autoren wichtiger Gedichtbände, Romane und Sachbücher zunehmend marginalisiert werde, wenn sie keine solch hohen Promi-Promille haben; und ihre Verkaufsauflagen sinken Jahr um Jahr.

Es droht ein Teufelskreis zu werden, der durchaus interessierte breite Publikumsschichten vieler Möglichkeiten an Lese-, Bildungs-, Informations- und Unterhaltunsgsbüchern beraubt.

Die Bestsellerei ist folglich trotz ihrer heute dank moderner Technologie statistischen Glaubwürdigkeit neuerlich zu einem Problem geworden. Und das neue Problem hat nun eben mit den Ladenpreisen von Büchern zu tun.

In Großbritannien liegt der Zusammenhang offen und klar auf der Hand. Wie in meinem vorausgegangenen Kommentar erläutert [mehr…], erscheinen dort nur noch Titel nach Maßgabe der Meistverkäufe von führenden Supermarktketten, Online-Händlern und Großfilialisten auf den Bestsellerlisten. Diese Titel haben da jedoch „Schnäppchen“-Preise. Anders gesagt: Die Bestsellerlisten führen fast ausschließlich preislich besonders günstige Bücher, d. h., Bücher, die im Vergleich mit den 99 Prozent der übrigen Buchproduktion, billig oder sehr billig sind. Diese Tatbestand ist dort eine Folge des Falls der Preisbindung.,

In Deutschland sind die Preise der Titel auf der Spiegel-Bestsellerliste ebenfalls spürbar gesunken, auch mit der Folge, dass sie sich, was Autoren und Bucharten betrifft, bedenklich stark verändert hat. Die – bei uns noch vorhandene – Buchpreisbindung kann der Grund dafür nicht sein. Sollte der Publikumsgeschmack bei uns sich so gravierend gewandelt haben. Oder könnte es wiederum daran liegen, dass sie sich heute anders als früher zusammensetzt – wie in England, wenn auch auf andere Weise?

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