Die Rechte-Kolumne Es gibt ihn noch, den Rechtsstreit um ein vermeintliches Skandalbuch

Als im Verlagsbereich tätiger Jurist rieb man sich die letzten Monate ungläubig die Augen: Hat sich endlich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Klagen gegen Bücher nichts bringen, weil sie meist das Gegenteil von dem bewirken, was man sich als Kläger erhofft, nämlich vermeintlich verbotswidrige Stellen aus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu nehmen?

Angela Merkel jedenfalls klagte nicht gegen den Roman „Die Dirigentin“ von Wolfgang Herles, obwohl es darin um eine weibliche Bundeskanzlerin geht und die Frau, die auf dem Cover von hinten zu sehen ist, einen schwarzen Kanzlerinnen-Hosenanzug und eine blond gefärbte Kanzlerinnen-Frisur trägt. Sie klagte nicht, obwohl dort eine Kanzlerin beschrieben ist, welche, laut FAZ-Besprechung des Buchs, „konturlos, unentschlossen, vorsichtig, kalt“ ist, eine „Maschine, die crushed ice ausspuckt“, mit Augen „wie ein Nachtsichtgerät“. Unbeanstandet blieb auch eine Passage über das romanhafte Treffen zwischen Kanzlerin und Dirigentin, bei der laut FAZ „die beiden Damen Händchen halten, ja kitschigerweise sogar ihre Hände vergleichen. Die Kanzlerin hat kleine Patschhändchen.“

Niemand klagte gegen die Biographie von Andreas Altmann „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“, obwohl nahezu halb Altötting – zum Teil unter Namensnennung – darin vor- und nicht gerade gut wegkommt.

Charlotte Roche bekam zwar via stern.de allerhand zu hören von ihrem Stiefvater, der ihr vorwarf, den Unfalltod ihrer Brüder werbewirksam auszuschlachten und sich beschwerte, dass „ohne Rücksicht, Skrupel und Respekt das Familienunglück zur Schau gestellt und vermarktet wird „. Vor Gericht aber wurde auch dieser Streit nicht ausgefochten.

In diese scheinbare juristische Idylle hinein platzten nun zwei aktuelle Meldungen, die allerdings in Bezug auf die betroffenen Bücher bisher nicht viel mehr bewirkten, als diese schlagartig in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen:

Günther Jauch erwirkte zwar ein Verbot gegen das Buch von Peter Wiesmeier „Ich war Günther Jauchs Punching-Ball! Ein Quizshow-Tourist packt aus“. Diese nach Verlagsangaben „liebenswerte Hommage an Quizshows“ ziert ein Coverfoto von Günther Jauch mit leicht merkelesk herabgezogenen Mundwinkeln. Jauch war der Auffassung, dass seine Persönlichkeitsrechte durch das Foto auf dem Titel verletzt sind. Das Landgericht gab ihm in erster Instanz Recht, dies aber nicht in dem für Verlage so gefährlichen weil zu sofortigen Verboten führenden einstweiligen Verfügungsverfahren. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im vorliegend durchgeführten ordentlichen Klageverfahren darf das Buch nämlich weiter verkauft werden. Der Verlag dürfte sich über die Werbung nicht unglücklich sein.

Ebenfalls weiter verkauft werden, nun aber unter ungleich höherer medialer Beachtung als zuvor, darf auch die Autobiographie von Thomas Anders „100 Prozent Anders“, obwohl seine Ex-Frau Nora (und nicht etwa der im Buch viel schlechter wegkommende Ex-Sangeskollege Dieter Bohlen) Klage vor dem Landgericht Koblenz eingereicht hat. Wie die zuständige Pressestelle mitteilte, verhandelt „die 13. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz am 04.11.2011 über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der ehemaligen Ehefrau des Künstlers Thomas Anders (Aktenzeichen 13 O 4/11). Die Verfügungsklägerin begehrt die künftige Unterlassung zahlreicher Äußerungen des Verfügungsbeklagten in dessen kürzlich erschienenem Buch sowie in Talk-Sendungen, Buchlesungen und TV-Shows über ihre Person. Zur Begründung verweist sie auf eine Verschwiegenheitsklausel in der anlässlich der Ehescheidung getroffenen Scheidungsfolgenvereinbarung. Die Verhandlung soll um 11.30 Uhr in Saal 136 stattfinden. Die Parteien sind zu dem Verhandlungstermin geladen.“

Mit anderen Worten: In Kürze sollen sich das Traumpaar der frühen Modern-Talking-Jahre Nora und Thomas Anders – die Älteren unter uns werden sich noch gut an die damals unvermeidliche „NORA-Halskette“ des Sängers erinnern – vor Gericht wieder sehen. Persönlich geladen sind sie jedenfalls. Eine bessere PR für das Buch lässt sich kaum denken, vor allem, weil Noras Anwalt bisher offenbar nur gegen den Autor Thomas Anders vorgeht. Beim herausgebenden Koch Verlag aus Österreich ist bislang noch kein Anwaltsschriftsatz eingegangen. Selbst wenn das noch nachgeholt werden sollte, dürfte es sechs Wochen nach Buchstart für eine sofort wirksame einstweilige Verfügung zu spät sein, die hierfür üblicherweise einzuhaltende Frist beträgt vier Wochen. Das könnte zu der kuriosen Situation führen, dass vielleicht bald Thomas Anders einige Passagen aus seinem Buch nicht mehr selbst vorlesen darf, alle interessierten Leser sich aber weiterhin die bald in mündlicher Gerichtsverhandlung eingehend erörterten kritischen Stellen durchlesen dürfen.
Rainer Dresen, Dresen-Kolumne@freenet.de, 46, arbeitet als Rechtsanwalt und Verlagsjustiziar in München auf dem Gebiet des Urheber- und Medienrechts. In seiner Freizeit schreibt er gerne selbst Juristen- und Yogabücher (Kein Alkohol für Fische unter 16; Beim ersten Om wird alles anders). Zur letzten Kolumne: „In China ist ein Tütchen Reis umgekippt oder: Die Berliner Zeitung meint, einem vermeintlichen Verlagsskandal ganz dicht auf den Fersen zu sein“ [mehr…]

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