Liebe Freunde,
traditionell sammle ich am Messefreitag meine Kräfte, um mich auf den Ansturm am Wochenende vorzubereiten. Und tatsächlich hatte ich einen besonders schönen Freitag, den ich größtenteils und zufällig Droemer Knaur verdanke, aber wie immer natürlich auch an allen anderen, die heute hier wieder vorkommen.
Schon wieder stolperte ich über Robert DeNiros deutsches Synchrongesicht Christian Brückner. Ich weiß, den hatte ich gestern schon abgebildet, aber wenn der halt auch dauernd hier am BuchMarktStand herumhängt!
Ich kann nicht unbefangen mit diesem Mann plaudern. Ich verkrampfe jedes Mal und präsentiere mich von meiner dämlichsten Seite. Wahrscheinlich weil ich tief unterbewusst hoffe, dass de Niro aus ihm herausspringt und mich packt und beschimpft.
Na gut, stürze ich mich halt auf andere Opfer am Stand. Hier versuchte der Kollege Faure, sich vor meiner Kamera hinter Kollegin von Diest zu verstecken.
Da mich also hier am Stande der Redaktion nichts mehr hielt – Brückner war gegangen und die Kollegen alberten herum – präsentiere ich Ihnen lieber meine Ausbeute des Freitages.
Und das waren diesmal gottlob nicht hunderttausend Fotos wie gestern, sondern nur einige wenige, weil ich redaktioneller Arbeit heute mehr Raum geben musste als sonst. (Interviews abtippen.)
MEIN GANG DURCH DIE HALLEN
Erstens besuchte ich John Diekmann, der bei Thienemann Kontakt zu Leuten wie mir pflegen muss. Er erzählte mir vom Galgen bei Thienemann. Das Buch, um das es geht, birgt ein paar Klippen für den Endkunden und somit auch dessen Buchhändler. Zum Beispiel das Schlüsselwort „Henker“ im Titel, oder der Totenkopf außendrauf. Und die dazugehörige Galgendeko habe auch nicht jedem gefallen.
Leider habe ich kein Bild von dem Galgen, daher bilde ich lahmerweise nur das Buch ab.
Dann habe ich einen dieser Typen gesehen, der ein riesiges Maskottchenkostüm trägt. Aber etwas an ihm fiel mir auf:
Aber die lasche Haltung fiel mir auf. Ich habe ihn mal angesprochen und auch mal angestupst und festgestellt: Das Ding war leer! Steht da herum, lässt sich von mir anquatschen, lässt sich mit Kindern fotografieren und ist leer!
Apropos Tod: Beim blutigen wie leidenschaftlichen Krimifeinlieblingsverlag KBV durfte ich Peter Godazgar fotografieren, wie sein T-Shirt Werbung für sein Buch macht:
Verleger Ralf Kramp und ich müssen aufgrund unserer Zwangserkrankungen und Profilneurosen und unserem insgesamt entspannten Verhältnis zur erforderlichen Bildwürde immer Dinge wie das hier tun:
Aber wenn ich mich seriöser Arbeit zuwende, dann kommen wiederum Sachen wie Neuland Zwonull:
NEULAND ZWEI PUNKT NULL
Wo war denn Neuland 1.0? Habe ich das verpasst? Jedenfalls ist Neuland 2.0 ein Areal, wo Start-Up-Unternehmen sich und ihr innovatives Produkt oder ihre dringend benötigte, nie dagewesene Dienstleistung anbieten können.
Das Areal ist eine Fläche, die ich extra Areal nenne, damit Sie sehen, wie innovativ sie ist. Oder wie innovativ es ist? Verdammt, ich habe mich relativsatzverschachtelt.
Den Gipfel der Ausstattung bietet der Tischkicker, der uns daran erinnert, dass auch in Firmen wie Facebook, Google und Pixar Tischkicker stehen.
Und was sind das für innovative Produkte und Nischendienstleistungen? die Firma beemgee.com zum Beispiel vertreibt eine faszinierende Software für Autoren, die beim Ideenstrukturieren die Haftnotizzettel und die Pinwand ablösen soll. Sie macht aber deutlich, dass die Software kein Schreibtalent und keine gute Idee ersetzen kann. Wenn Sie aber bereits Talent und Ideen haben, dann kann Ihnen die Software gerne die Hauptfiguren und Schauplätze verwalten, die Zeitebenen sortieren und die Rückblenden im Auge behalten.
Menschen ohne Talent und Ideen können nämlich dann noch leichter „Shades of Grey“ verfassen.
Was gibt es noch so? Da tendiere ich als Endanwender dann doch mehr zur Kamerasoftware, die Hulkfacing ermöglicht, egal, wohin ich mich dabei bewege:
Nein, Neuland 2.0 war bereits nach wenigen Minuten interessant. Nicht auszudenken, wenn ich länger geblieben wäre!
Aber ich musste leider zur…
SUPPE AM STAND DER FRANKFURTER BUCHMESSE
Am Frankfurter Stand konnte ich Maren Ongsiek endlich mal bei der Arbeit zusehen. Hier beriet sie zwei Abgesandte von Deutschlandradio bei der Auswahl eines passenden Standes für die Oktoberbuchmesse. Ein Radiosender hat bestimmte Wege, bestimmte Anforderungen an die Infrastruktur und bestimmte Wünsche, was die gute Aussicht betrifft.
Aber nun zu Tische! Für heute war die fröhliche Runde besetzt mit Frau Ongsiek, Frau Schenkel von Droemer Knaur und mit Frau Fiala. Heute gab es Hahn.
Nein, in Wahrheit gab es eine vielversprechende Kokos-Curry-Gemüsesuppe! Wie die leuchtete! Ausreichend Salz, eine feine, fruchtige Säure, dazu im Kontrast die Schärfe und der Pfeffer in der der Balance mit der Süße und Sattheit von genügend Kokosmilch haben leider alle gefehlt.
Egal, lieb sind wir ja selber, soweit es der Messe-Jetlag und die täglichen Anforderungen zulassen. Zum Beispiel diese:
LUSTIGER NACHMITTAG BEI DROEMER KNAUR
Zunächst mal habe ich Dank Frau Ongsiek die Marketingchefin von Droemer, Theresa Schenkel, kennengelernt. Und die hat mich mal exklusiv in die Fitzekbox gelassen. Sie erinnern sich:
Und da durfte ich nun ganz alleine hinein (was es nicht beruhigender machte). Man steht in einer stockdunklen Kabine, die nach Sellerie riecht. Und dann öffnet sich plötzlich ein geheimer Verschlag, und man sieht das gruselige Arbeitszimmer des Sebastian Fitzek. Original nachgebaut.
Nachdem man dieses Grauen verdaut hat, muss man einen kleinen Trailerfilm sehen. Und während man auf den Schreckmoment wartet, den man auf der Leinwand erwartet, kommt tatsächlich ein Mörder aus dem Dunkeln gesprungen und rammt Ihnen ein Messer in den Hals.
Und das war die Fitzekbox. Vielen Dank, liebe Frau Schenkel, für die Pressetour! Aber das war noch nicht alles bei Droemer. Ich warte nämlich noch auf mein Interview des Tages, und während man wartet, sieht man so allerhand Leute bei Droemer.
Und genau dieser Don Winslow ist es, mit dem ich mein nächstes Interview habe! Der Thriller-Autor aus Kalifornien wird bei uns seit etwa Ende der 90er verlegt, aber es hat ein paar Jahre gedauert, bis zuerst Hollywood und dann endlich auch Deutschland auf ihn aufmerksam wurde.
Sein Excop Frank Decker spürt vermisste Leute auf, und in seinem neuesten Buch „Germany“ verschlägt es ihn nach Deutschland, das Winslow u.a. schneidend und roh beschreibt, zum Beispiel weil angeblich Prostitution hier legal sei. Das und die Autobahn bilden bleibende Faszinosien für Amerikaner.
BuchMarkt: Es ist ja eine Ehre, einen international so renommierten Autoren zu treffen!
Winslow: Come on, bullshit. It’s nice to be here.
Ist das Ihr erster Besuch in Deutschland?
Oh, nein. Das ist mein drittes oder viertes Mal in den letzten paar Jahren. Ich war in den 80ern schon mal hier, auch schon in den 70er Jahren. Ich mag Deutschland, es ist ein schönes Land.
Wenn Sie über deutsche Orte schreiben, dann erkennt man sie zwar sehr gut wieder, aber die Reeperbahn oder das Frankfurter Bahnhofsviertel bekommen durch die Augen eines ausländischen Thriller-Autoren plötzlich etwas Monströses. Plötzlich sind es „Crime Scenes in a land where prostitution is legal.“
Naja, in der Wüste kann man nicht angeln, verstehen Sie? Und ich schreibe Thriller, also schwelt an meinen Schauplätzen das Verbrechen. Und die Sexindustrie findet ihre Opfer in Deutschland nun mal am besten in den erlaubten Rotlichtvierteln, den Laufhäusern und Bordellen. Wenn ich Bücher über Kunstgeschichte schreiben würde, käme der museale Aspekt vielleicht mehr zum Tragen. Aber Verbrechen sind hässlich, auch an vertrauten Orten. Aber keine Sorge: Das geht mir mit meinem Heimatland auch so. Kalifornien ist so eine schöne Gegend – es sei denn, einer meiner Krimis spielt dort. Und Krimis sind es, was ich schreibe.
Verändert dieser Beruf also Ihre Wahrnehmung? Sie kommen an einen Ort und sehen als erstes die Fluchtwege und Hinterhalte?
Krimiautoren haben tatsächlich diese etwas verengte Sicht.
Sie sehen immer als erstes das Verbechen, die Bedrohung, die potentielle Tat?
Nein, nicht so pauschal, aber wir schauen gerne unter die Oberfläche, hinter die Fassade. Darunter bröckelt es meistens mehr, als man von außen bemerkt. Diesen Effekt suchen wir: die Schichten, die einzelnen Lagen einer Story aufzufächern.
Sie als Nichtdeutscher haben aber einen ganz anderen Zugang zu deutschen Fassaden und deren Aufbrechen. So ein Satz wie „In Deutschland ist Prostitution legal“ klingt aus Ihrem Munde ganz anders als aus meinem. Da fühle ich mich eher ertappt als stolz.
Die fremde Perspektive eines Außenseiters bringt einen frischen, unverstellten Blick – sowohl auf die schlechten als auch auf die guten Dinge. Und nichts ist nur gut oder nur schlecht. Da haben wir sie wieder, die verschiedenen Schichten und Blickrichtungen. Sexarbeiterinnen zu entkriminalisieren ist ein wichtiger Schritt, aber es öffnet eben auch wieder weitere Türen in die Illegalität. Die lokale Verschiebung von Zwangsprostitution in legales Gebiet hebelt nicht den Teufelskreis aus, aus dem solche Mädchen nicht mehr herauskommen.
Muss ein Krimi eher gut recherchiert oder eher gut erfunden und gut geschrieben sein?
Es läuft immer daraus hinauf, dass ein Buch gut geschrieben sein muss. Lieber schlecht erfunden und gut geschrieben als umgekehrt. Meine vorwiegende Aufgabe ist es, den Leser in eine fremde Welt zu entführen. Aber: Wenn dieser Teil erst mal steht, dann darf es auch gerne in meiner Verantwortung als Autor liegen, den Stoff glaubhaft zu untermauern. Da möchte ich auch als guter Erzähler so realistisch wie möglich sein.
Die Polizisten unter Ihren deutschen Fans bestätigen, dass Sie sehr genau wissen, worüber sie da schreiben.
Da gebe ich mir auch Mühe. Ich rede mit der Polizei, ich arbeite mit den Cops zusammen, damit ich fachliche Dinge richtig darstelle. Das ist mein Deal mit dem Publikum: Ich entführe Euch in eine komplett ausgedachte Welt, aber es ist „the real thing.“ Erfindungsgabe und Vorstellungskraft fließen da eher in die Charaktere und Dialoge ein.
Ihr Bulle trinkt Scotch, aber die Marke wird nie erwähnt. Welcher wäre das?
Das wollen Sie wissen? (lacht) Ich hatte das zwar eingebaut, aber diese Stelle wurde gestrichen wegen Product Placement. Frank Decker trinkt Johnny Walker Black Lable, den 12jährigen.
In Ihrem ersten Roman wird ein Kinderschänder namens „Jeffrey Devers“ erwähnt. Ist das ein kleiner Insider-Joke gegen ihren Autorenkollegen Jeffrey Deaver?
(Winslow wird blass) Waaas? Nein! Oh Gott, auf gar keinen Fall! Ich liebe Jeffrey Deaver, er ist ein großartiger Kollege und ein feiner Kerl. Auf keinen Fall hatte ich beabsichtigt –
Naja, ich dachte, Sie wischen sich da gegenseitig eins aus. In seinem nächsten Roman gibt es dann vielleicht einen Dealer namens Don Wilson oder so. Ich dachte, das sei so eine Art Verbeugung.
Nein! Nein! Gar nicht! Oh Gott, oh Gott. Das ist mir gar nicht aufgefallen. Das muss ich in der zweiten Auflage sofort ändern lassen. Ich bin entsetzt. Das ist ein absolut dummer Zufall.
Dann bin ich ja froh, dass ich helfen konnte.
Oh ja, Danke. Ohgottogott. Niemals wäre mir in den Sinn – Holy Shit, das ist ja furchtbar. (wir lachen uns beide kaputt.)
Wussten Sie, dass die deutsche Version Ihres Buches im Dunkeln leuchtet?
(lacht) Das habe ich erst gestern Nacht herausgefunden, als ich das Licht löschte, und mein Buch blieb noch an. Wissen Sie, dieser Verlag ist großartig, wenn die sich sowas einfallen lassen. Ich werde als Autor wirklich sehr gut behandelt. Und Ihr Deutschen wisst wirklich, wie man Bücher feiert. Gestern Nacht hatte ich eine Lesung in einem Boot! Auf dem Rhein! Wie cool ist das denn?
Aber Ihr Amerikaner wisst dafür, wie man rote Teppiche ausrollt!
Ja, aber in Buchmessen und im Transportwesen sind wir total scheiße. Ich ziehe eine deutsche Eisenbahn einem amerikanischen roten Teppich vor.
Ich bin ja ein sehr großer Fan der Marx Brothers, die in Deutschland kaum noch jemand kennt.
Oh, wirklich? Ich nämlich auch!
Und deshalb fiel mir auch auf, dass Sie in jedem Frank-Decker-Buch die Marx Brothers erwähnen.
Ich habe Groucho Marx selber gespielt, in der Bühnenfassung von Cocoanuts! Das war vor etwa zehn Jahren.
Diese Fassung suche ich ja schon ewig, aber es ist unmöglich, an einen echten amerikanischen alten Rollensatz zu kommen.
Ich habe das noch. Das schicke ich Ihnen zu! Welchen Film der Marx Brothers mögen Sie am liebsten?
(… und an dieser Stelle driftet das Gespräch ab zu den Filmen und Aussprüchen der Marx Brothers.) BuchMarkt dankt für das Gespräch!
In Wahrheit war der Teil, wo wir uns gegenseitig unsere Lieblingspassagen aus Marx-Brothers-Filmen rezitierten, für uns beide lustiger und schöner als das ganze eigentliche Interview. Aber Don Winslow ließ nicht locker: Wenn ich wirklich ein so großer Marx-Brothers-Fan sei, wie ich behauptete, dann könne ich wohl sicher Grouchos Lieblingslied mit ihm singen. Jetzt. Hier am Stand. Im Duett.
Dreimal bestanden: Jawohl, ich wusste, dass Don Winslow das Lied „Lydia the tattooed Lady“ aus dem Jahre 1939 meinte, und jawohl, ich hatte seinen Text im Kopf, und jawohl, ich stimmte mit ein. Damit hatte er nicht gerechnet.
Na gut, und ich hätte dafür in einhundert Jahren nicht damit gerechnet, dass mich mal ein internationaler Star-Autor auf der Buchmesse mit einem Zirkuslied aus den Dreißigern herausfordert.
Best.
Interview.
Ever.
ABSCHLUSSGEDANKEN ZUM FREITAG
Ich wünsche uns allen viel Kraft für den Samstag. Gedrängel ist gerade in den Röhren nochmal besonders schön.
Ich wünsche auch Dr. Monse eine gute Heimfahrt und danke ihm sehr für seine Interpretation der Leipziger Rose.
Nach diesem Tag musste ich dann in der Nacht erst mal alle Erlebnisse ihren Notizen und diese wiederum ihren Fotos zuordnen. Und zwar ganz ohne Strukturierungssoftware.
Ich will nun versuchen, „Lydia the tattooed Lady“ aus den Ohren zu bekommen und mich zu sammeln für den Samstag.
Auf alles gefasst,
Ihr und Euer
Matthias Mayer, Buchmarkt
(zum vorigen Tag): [mehr…]