Seit Ende August 2016 plaudere ich an dieser Stelle über frische Fundstücke aus der Welt der Literaturblogs, die im jeweils vergangenen Monat veröffentlicht wurden. Dieses Mal wird es ein bisschen anders. Im Juni 2023 ist mein Blog Kaffeehaussitzer zehn Jahre alt geworden – und deshalb kapere ich heute die Kolumne, um Beiträge aus dem eigenen Blog vorzustellen. Und zwar Beiträge aus dem letzten Jahrzehnt. Wer mich auf dieser Zeitreise begleiten möchte, sei hiermit herzlich eingeladen.
Der Text »Wo ich Bücher kaufe. Und wo nicht« stammt aus dem Jahr 2013 und ist einer der meistgelesenen im Blog. Versammelt sind darin eine ziemliche Menge an Argumenten, warum man seine Bücher nicht beim Gemischtwarenhändler aus Seattle bestellen sollte.
Sobald irgendwo im TV »James Bond: Skyfall« läuft, merke ich das unmittelbar. Denn dann wird nach einem Gedicht gegoogelt, das Judi Dench rezitiert und die Klickzahlen eines Blogbeitrags steigen rasant, in dem es genau darum geht.
»Am Anfang war das Wort« ist der Titel eines Textes, in dem ich mich daran erinnere, wie mir als Kind vorgelesen wurde, wie viel mir das bedeutet hat – und wie sehr ich enttäuscht war, als ich selbst lesen konnte und ein ganz bestimmter Effekt nicht eintrat.
Seit fast zehn Jahren ist der Text über Bertolt Brechts »Geschichten vom Herrn Keuner« permanent in den Top-Ten der Beiträge. Warum? Wenn ich das wüsste …
Es ist jetzt zwar die falsche Jahreszeit, aber seit 2014 gibt es im Blog eine Weihnachtsgeschichte. Die zentrale Rolle spielt darin die deutsche Erstausgabe des Romans »Manhattan Transfer« von John Dos Passos.
Seit 1995 hängt an meinem Bücherregal eine getrocknete Rose. Aber nicht irgendeine, sondern meine Buchhändler-Rose. In einem Blogbeitrag erzähle ich, was es damit auf sich hat.
Manchmal gibt es Bücher, in denen genau die Gedanken stehen, für die man selbst schon so lange die richtigen Worte gesucht, aber nie gefunden hat. Das ist ein überwältigendes Gefühl. Und genau darum geht es in der Buchvorstellung des Romans »An den Rändern der Welt« von Olivier Adam.
Es ist schon lange her und es fühlt sich unwirklich an, aber es gab eine Zeit, in der ich fast vollständig das Interesse an Büchern und dem Lesen verloren hatte. Zwei Romane von T. C. Boyle sind eng verbunden mit dem Weg zurück ins Leseleben.
Unvergessen ist ein Spaziergang mit Volker Kutscher durch den Kölner Stadtteil Klettenberg, dem Herkunftsort seines Romanhelden Gereon Rath. Herausgekommen ist dabei ein Interview, in dem er zu dem zeitlosen Fazit kommt: »Unsere Demokratie muss die Fäuste oben halten.«
Es muss in einem Literaturblog nicht immer um Bücher gehen. Manchmal kann die kurze Zeile eines Songtextes einem wichtiger sein, als ein 1000seitiges Buch. Und um das Bügeln geht es in diesem Blogbeitrag ebenfalls.
Auf der Frankfurter Buchmesse 2017 haben drei rechte Kleinverlage die gesamte Medienlandschaft genutzt, um mit mindestmöglichem Aufwand größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzielen. Im Beitrag »Provokation als Geschäftsmodell«geht es um diesen Eklat. Und um die Frage des Umgangs damit.
Im März 2018 war ich Mitorganisator der ersten Leipziger Wohnzimmerlesung und hatte die große Freude, ein Gespräch mit Mareike Fallwickl zu führen, deren erster Roman »Dunkelgrün, fast schwarz« gerade erschienen war.
2018 war das Jahr, in der ich Teil der Jury des Deutschen Buchpreises sein durfte – eine großartige Erfahrung. Als alles zu Ende und der Preis vergeben war, entstand der Text »Buchpreis-Blues«.
Ebenfalls 2018 hatte ich es endlich geschafft, zum ersten Mal meinen Sehnsuchtsort schlechthin zu besuchen – New York, die Stadt der Geschichten.
Als ich im Februar 2019 fünfzig Jahre alt wurde, war dies ein Anlass darüber nachzudenken, welches die prägenden Bücher meines bisherigen Lebens waren. Auf 15 Titel bin ich gekommen und stelle sie im Beitrag »Die Bücher meines Lebens« vor.
Immer wieder einmal wird nach dem großen Roman zum Thema Klimawandel und Klimakatastrophe gefragt. Dabei gibt es ihn meiner Meinung nach schon längst, es ist »Die Mauer« von John Lanchester. Mit einem der besten ersten Sätze, die ich kenne.
Ein zentraler Teil des Blogs sind die Leseprojekte. Darin stelle ich Literatur zu Themen zusammen, mit denen ich mich näher befassen möchte. Besonders wichtig ist mir angesichts des Antisemitismus, der momentan wie Schlamm aus allen Ritzen zu quillen scheint, das Leseprojekt »Das Unerzählbare«, in dem es um den Holocaust geht. Ergänzend dazu hat mir die Jugendbuchautorin Ute Wegmann eine Titelliste speziell für junge Leserinnen und Leser zur Verfügung gestellt.
Mit »Eigentlich wollte ich nur über Bücher bloggen« ist ein Beitrag aus dem Jahr 2019 überschrieben. Als der Blog startete, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, was sich alles daraus ergeben würde. Zum Beispiel beim Orga-Team der 1. Kölner Literaturnacht mitzuarbeiten; 137 Veranstaltungstermine, 42 Orte, 1 Ticket für alles. War anstrengend. Und hat großen Spaß gemacht.
Viele Menschen, die Bücher lieben, haben ein paar Marotten im Umgang mit ihnen. Meine ganz persönlichen habe ich in einem Blogbeitrag aufgeschrieben.
Es gibt Bücher, bei denen ich all diejenigen beneide, die sie noch zum ersten Mal lesen dürfen; die diese großartigen Lektüren noch vor sich haben. Dazu gehören »Der Distelfink« von Donna Tartt, »Max, Mischa & die Tet-Offensive« von Johan Harstad, die Tudor-Trilogie von Hilary Mantel oder »Gesammelte Werke« von Lydia Sandgren. Literatur, die bleibt.
Bücher sind nie einfach nur gedruckte Texte, sie sind Objekte der Zeit, in der sie veröffentlicht wurden, sind Zeugen der Geschichte, überdaueren ihre ursprünglichen Besitzer und gerade ihre Gegenständlichkeit macht sie zu etwas Besonderem. Ein paar alte Schätzchen habe ich für eine Vorstellungsrunde aus dem Regal gezogen.
Im Beitrag »Mit Goethe im R4« wird der wunderschöne Band des Photographen Helmut Schlaiß besprochen, der auf Goethes Spuren durch Italien reiste. Und dabei versuchte, die Orte von dessen Reisebericht möglichst so einzufangen, wie er sie gesehen haben könnte. Den Text habe ich im März 2020 geschrieben, als die Corona-Pandemie besonders in Italien heftigst wütete. Es war nicht einfach, die richtigen Worte zu finden.
Wenige Wochen später, im April 2020, entstand der Blogbeitrag »Über Literatur reden? Unbedingt!«, der sich mit den Folgen des ersten großen Lockdowns auf den Kultur- und besonders den Literaturbetrieb beschäftigte.
Das Buch »Zuhause« von Daniel Schreiber sorgte für die wohl emotionalste Lektüre meines Lebens: Ich las es im Zug, auf dem Rückweg nach dem Ausräumen des Elternhauses. Entstanden ist daraus der Blogbeitrag »Zuhause: Ort oder Gefühl?«.
Als 2021 der Roman »Mädchen, Frau etc.« von Bernadine Evaristo erschien, hielt ich es aufgrund der Ankündigungen für eine Art identitätspolitisches Manifest und packte es daher sofort auf meine gedankliche Möchte-ich-nicht-lesen-Liste. Zum Glück sprach ich mit einer der Buchhändlerinnen meines Vertrauens darüber, sonst wäre mir ein großartiges Buch entgangen. Sie lieh mir sogar ihr persönliches Leseexemplar aus. Und in der gleichen Buchhandlung gab es kurz darauf ein Kaffeehaussitzer-Schaufenster – eine schöne gemeinsame Aktion.
Bei der Eröffnung des 21. Internationalen Literaturfestivals in Berlin hielt Leïla Slimani im September 2021 eine Rede über »Cancel Culture«. Und zwar über jene mörderische »Cancel Culture«, die es tatsächlich gibt.
Die letzten beiden Sätze in Sven Regeners Roman »Herr Lehmann« sind für mich die perfekte Lebensphilosophie schlechthin und das Buch begleitet mich schon seit über zwanzig Jahren. Zusammen mit den anderen Bänden hat der Autor ein regelrechtes Lehmann-Unviversum geschaffen, das im Blogbeitrag »Eine Feier der Planlosigkeit« vorgestellt wird. Mit einer kleinen Überraschung am Ende.
Lange habe ich gedacht, dass ich keinen Zugang zur Lyrik finde. Und dann kommen sechs Zeilen eines Gedichts von Etel Adnan um die Ecke und ziehen mir den Teppich unter den Füßen weg.
Der 24. Februar 2022 hat die Welt verändert. Im Blogbeitrag »Remarque und ein staatlich geprüftes Gewissen« geht es darum, wie richtig es sich in den Achtzigern anfühlte, den Wehrdienst zu verweigern. Wie sich dies mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mit einem Schlag erledigt hat. Und wie wichtig es ist, die Ukraine mit allem, was wir haben zu unterstützen. Passend dazu die Besprechung des Buches »Roter Hunger« von Anne Applebaum über die von Stalin bewusst herbeigeführte Hungersnot in der Ukraine, um den Widerstand gegen die Zwangskollektivierung zu brechen. Neben den darin geschilderten Ereignissen vermittelt das Werk das nötige historische Hintergrundwissen, mit dem der aktuelle Krieg betrachtet werden muss. Um zu verstehen, dass der russische Despot Wladimir Putin nie Ruhe geben wird und dass Verhandlungen niemals einen dauerhaften Frieden schaffen werden.
Im Blogbeitrag »Das Verschwinden der Leichtigkeit« denke ich an jene kurze Zeit zu Beginn der Neunzigerjahre zurück, als wir das Gefühl hatten, alles würde sich zum Besseren wenden. Und alles sei möglich. Auslöser für diesen Text war ein Buch aus dem Taschen-Verlag mit den Bauplänen des Eiffelturms.
Eine der bemerkenswertesten Veröffentlichungen der letzten Jahre ist die von Sandra Kegel herausgegebene Anthologie »Prosaische Passionen«. Der Untertitel sagt, worum es geht: »Die weibliche Moderne in 101 Short Stories«. Es ist außerordentlich spannend, sich durch dieses Werk zu lesen, das eindrucksvoll zeigt, wie weiblich geprägt die Literatur zwischen dem Ende des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts war – auf der ganzen Welt. In einem Lesejournal stelle ich die 101 Texte nach und nach einzeln vor.
Anfang dieses Jahres las ich die vier Barcelona-Romane von Carlos Ruiz Zafón direkt hintereinander. Die zweitausendfünfhundertachtzig Seiten waren eine spannende, eine großartige Leseerfahrung, die mich tief hineingezogen hat in Zafóns Welt.
So, ich glaube, damit beende ich diese Kolumne, die schon deutlich zu lang geworden ist. Aber es galt ja auch, zehn Jahre abzudecken. Nächsten Monat geht es wie gewohnt weiter, als passenden Schluss gibt es hier noch den Link zur Liste der Literaturblogs, die ich gerne und regelmäßig lese. Viel Spaß beim Weiterklicken.
Kommen Sie gut in den Sommer. Wir lesen uns.
Uwe Kalkowski ist seit über 25 Jahren in der Buchbranche tätig und kennt sie aus unterschiedlichen Perspektiven: Als Buchhändler, als Absolvent des Studiengangs Verlagswirtschaft in Leipzig und als Mitarbeiter verschiedener Verlage. Seit August 2019 arbeitet er als Produktmanager für den Eichborn Verlag in Köln. In seinem Blog Kaffeehaussitzer schreibt er über Bücher, Literatur und Leseerlebnisse und stellt in der monatlichen Kolumne »Kaffeehaussitzers Netzrückblick« auf buchmarkt.de lesenswerte Fundstücke aus den unterschiedlichsten Literaturblogs vor. Normalerweise. Diesen Juni gab es ausnahmsweise eine Reise durch die letzten zehn Jahre seines eigenen Blogs.