ARCHIV Günter G. Rodewald über die wahre Geschichte des Welttags des Buches

Am 23. April ist der alljährliche Höhepunkt für Leser, Autoren, Buchhändler und Verlage in Barcelona und ganz Katalonien: Es wird der „Día de Sant Jordi“ gefeiert, der Namenstag von Sankt Georg, dem Nationalheiligen des Landes.

Ein ganz normaler Arbeitstag zwar, an dem aber in den Straßen der Stadt Fröhlichkeit und entspannte Stimmung herrschen. Traditionell schenkt der Junge dem Mädchen eine Rose, das Mädchen dem Jungen ein Buch, aber diese althergebrachten geschlechterbezogenen Bräuche sind längst im Rückzug, also gilt das Motto: Rosen und Bücher für alle!

Überall sind Blumenstände und Büchertische aufgestellt. Die Mengen drängen sich um Neuerscheinungen und ihre Autoren, die in Buden, an Ständen und in den Buchhandlungen sitzen und von früh morgens bis in den späten Abend ihre Bücher signieren und für ihre Leser greifbar und ansprechbar sind.

Allerdings kein Tag für Menschen mit Ängsten vor großen Ansammlungen, denn die Ramblas und die Plaça Catalunya sind so voll von Buchkäufern und Flaneuren, es gibt genauso wenig Durchkommen wie sonst nur bei einer Feier des Gewinns einer Meisterschaft oder eines wichtigen Pokals durch den FC Barça.

Ganz besonders schön und ohne jedes Gedränge sind die Stunden in der späten Nacht davor, am ganz frühen Morgen, wenn die Buden und Stände aufgebaut werden und die Bücher aus den Kisten gepackt werden, die Stadt langsam erwacht, aus den Cafés das erste Klappern der Tassen und das dampfende Zischen der Kaffeemaschinen zu hören sind und sich bereits die allerersten Buchstreuner um die Auslagen schleichen.

Alle Bücher werden mit einem Nachlass von fünf Prozent verkauft, das tut aber den beeindruckenden ökonomischen Dimensionen keinen Abbruch: Knappe 10 Prozent des gesamten katalanischen Buchumsatzes wird an diesem einzigen Tag getätigt, im vergangenen Jahr waren das nicht weniger als zwei Millionen verkaufte Bücher und 20 Millionen Euro Tagesumsatz.

Die Wiederholung oder das Übertreffen solcher Zahlen könnte in diesem Jahr wohl nur das Wetter verhindern, denn Regen hieße zwar einen interessanten Umsatzanstieg bei den Herstellern von Klarsichtplastikfolien, würde aber die Freude und die Buchverkäufe schwer beeinträchtigen, da der Reiz natürlich eben der ist, dass alles unter freiem Himmel stattfindet.

In aller Regel scheinen die Verlags- und Buchhandelsgremien des Landes aber allerbeste Beziehungen zu ihren Heiligen und Sankt Georg zu haben, denn auch für dieses Jahr ist wieder frühlingshaftes und sonniges Wetter vorausgesagt, also allerbeste Voraussetzungen für eine gutes Gelingen.

Am „Día de Sant Jordi“ und an den Tagen davor drängen sich ebenso viele kulturelle, und gesellschaftliche Ereignisse, Lesungen, Workshops, Symposien und – natürlich! – Feste. Das nonplusultra in der Rubrik „Sehen-und-Gesehen-werden“ ist dabei zweifellos die große fiesta aus Anlass der Verleihung des „Premio Quéleer“, die am Vorabend im Hotel Ritz von der populären, gleichnamigen Literaturzeitschrift (oder besser: Lesermagazin – monatliche Auflage: 80.000 Exemplare!) veranstaltet wird.

Der Preis ist sehr begehrt und wird von den Lesern von „Quéleer“ und anderen Zeitschriften gewählt. Es wird jeweils das beste Buch eines spanischen und eines ausländischen Autors prämiert, dieses Jahr geht die Trophäe an Paul Auster: Die Brooklyn-Revue und an Ildefonso Falcones: La catedral del mar (demnächst in Deutschland bei S. Fischer).

Die Verleihung des Preises ist eine gute Ausrede für alle, die sich unter die Buchszene Barcelonas mischen wollen und eines dieser Feste, von denen man vorher keine so große Meinung hat, aber einmal da, trifft man dann ja doch viele bekannte (und sympathische) Leute und immer wieder wird es dann doch viel später als zunächst geplant …

Und da an diesem Tag nicht nur Bücher, sondern eben auch Rosen verschenkt werden, ist es natürlich ebenso ein Hochtag mit allerdings noch viel höheren Verkaufszahlen und Umsätzen für die Blumenverkäufer der Stadt und die Blumenfabrikanten im Lande (und in Holland!). Denn von da kommen alle diese Rosen, die leider wegen ihrer industriellen Herkunft meist auch schon am nächsten Tag ihre Köpfe hängen lassen, obwohl sie nach dem, was sie kosten, viel länger aufrecht bleiben sollten.

Da hat man in der Regel dann doch länger etwas von einem Buch, aber schön ist es dann schon, wenn einem jemand eine schöne knallrote Rose in die Hand drückt, gerade wenn man keine Frau ist …

Diese schöne Tradition um das Buch und den Duft der Rosen ist noch nicht wirklich alt, sie existiert erst gute 70 Jahre, in den wenigen Jahren der damaligen spanischen Republik und kurz vor dem Bürgerkrieg war sie kreiert worden. Und so war die Idee gut, als auf Antrag der spanischen Regierung und auf Initiative der Katalanen dieser Tag von der UNESCO zum Welttag des Buches erklärt wurde.

Wie das Beispiel aus Katalonien zeigt, könnte der Tag auch in anderen Ländern und Regionen mit noch mit sehr viel mehr Leben gefüllt werden. Bücher schenken als populäres Ereignis, das bringt Glück, für den Leser und die Kassen der Buchhändler und der Verlage. Und bringt den Lesern ihre Autoren auch wieder ein bisschen näher, ebenso wie umgekehrt.

Günter G. Rodewald ist Literaturagent und arbeitet in der Literaturagentur Ute Körner www.uklitag.com in Barcelona

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