Jetzt hat Thalia endlich Klarheit geschaffen

Wie lautete doch die Mahnung, mit der Chefredakteure uns blutjunge Anfänger Mitte der 1960er Jahre angesichts von Firmen- und Verbandsverlautbarungen unentwegt traktierten? Alle dort angegebenen Fakten, soweit irgend möglich, gründlich überprüfen! Klopft den Text ab auf suspekte Vokabeln und Formulierungen, die offenbaren könnten, worum es den Herrschaften eigentlich geht. Sie werden irgendwo mitten im Text versteckt sein. Und wenn der Text sachlich und geschickt abgefasst ist, werden sie Euch auf den ersten Blick gar nicht aufstoßen. Also dergleichen Texte fünfmal durchharken! Und durchleuchtet sie mit Hilfe aller sonstigen relevanten Informationen, die Ihr auftreiben könnt!

Die Verlautbarung der Thalia Holding AG vom Donnerstag stellt ein Meisterwerk solch publizistischer Unternehmensprosa dar. [mehr…]

„Wir verdichten unser Filialnetz weiter“, hielt die Holding am Donnerstag mit der Ankündigung zwei neuer Filialen in Gießen und Braunschweig sachlich und korrekt fest.

Wir „unterstreichen damit“, fährt das Kommuniqué fort, „die Position der Thalia-Gruppe als einzigem flächendeckend in Deutschland vertretenen Sortimentsbuchhändler.“

Halt, einen Moment bitte! Ist Thalia wirklich in allen deutschen Bundesländern mit Filialen präsent?

Jawohl, ein Filialatlas zeigt: Thalia ist bundesweit präsent, und das, tatsächlich, auch als einziger stationärer Sortimentsbuchhändler.

(Die Weltbild Plus-Kette, die in Deutschland mehr als doppelt so viele Geschäfte betreibt und folglich auch über ein dichteres Handelsnetz verfügt, führt bloß ein vergleichsweise minimes (Spezial-)Sortiment, und dort nicht angebotene Titel kann man dort auch nicht bestellen. Sie ist gemäß gängiger Branchenterminologie folglich auch kein „Sortimentsbuchhändler“.)

Aber ist Thalia „flächendeckend“ vertreten?

Nun, ähem – der Filialatlas offenbart da allerdings fünf – mit nur wenigen, weit verstreuten Thalia-Punkten gesprenkelte – weiße Flecken: im Norden Deutschlands, in Bayern und Baden-Württemberg, im Saarland und in Rheinland-Pfalz.

Aber, wie ein prüfender Rekurs auf das Original beweist: Michael Busch hat ja gar nicht behauptet, dass Thalia flächendeckend ist. Man muss den betreffenden Satz ein klein bißchen anders lesen, um zu begreifen, was er meint. Der Satz im Thalia-Kommuniqué ist ungemein geschickt abgefasst. Man ist versucht, ihn als faktische Mitteilung zu sehen. Das ist er jedoch keinesfalls. Der Satz ist – sprachlich ganz vorsichtig, bar jeden Tons von Aggressivität, sehr zurückgenommen, bei rascher Lektüre kaum erkennbar – intentional konstruiert. (Thalia unterstreicht seine Position als….“). Man kann, man wird ihn jedoch zunächst als faktisches Statement deuten.

Und darin ist nun das eine Adjektiv eingebaut, dessen faktische Richtigkeit bei genauem Hinsehen fraglich erscheint. (Ist auch Thalia plötzlich dem generellen Hang zu Superlativen bzw. PR-mäßigen Größenwahn erlegen?) Oder man liest einfach drüber hinweg, nimmt also auf die Weise die verklausulierte Botschaft nicht ernst.

Das fragliche Adjektiv ist natürlich dieses „flächendeckend“. Und mit diesem einen, kleinen, im scheinbar faktischen Textzusammenhang ihres Kommuniqués benennt die Thalia-Gruppe, obzwar gegenüber der Branchenöffentlichkeit noch gleichsam hinter halb vorgehaltener Hand, den Kern ihrer Unternehmensstrategie. Der betreffende Satz kann nur meinen: Mit den zwei genannten Neueröffnungen baut Thalia seine Position als einzige bereits jetzt bundesweit operierende Sortimentsbuchhandlung weiter aus mit dem Ziel, ein flächendeckendes Filialnetz in ganz Deutschland zu errichten.

Das ist ein Novum. So deutlich ist es bisher nicht formuliert worden.

(Ein Vergleich mit der relevanten Formulierung im letzten Thalia-Geschäftsbericht macht die Veränderung glasklar. Dort hieß es noch: „Die Thalia-Gruppe hat ihre führende Position im deutschsprachigen Raum im Geschäftsjahr 2003/04 weiter ausgebaut. Thalia ist in weiten Teilen des Bundesgebietes vertreten.“)

Im Lichte dieser strategischen Botschaft bekommt ein anderer Faktor größeres Gewicht. Atemberaubend ist das Tempo, mit dem Thalia expandiert. Dass bis Jahresende die Eröffnung von weiteren Filialen in Berlin (zwei, mit 1200 und 700 Quadratmetern Fläche, in Dinslaken (900 qm), Euskirchen (850 qm), Karlsruhe (2000 qm) und Mühlheim (1500 qm) ansteht, war schon bekannt geworden. Seit Donnerstag wissen wir nun, dass Thalia in diesem Herbst noch zwei größere Filialen eröffnen wird, in Braunschweig (3000 qm) und in Gießen (über 2000 qm [mehr…]. Außerdem sind bei Thalia bis Ende 2007 zusätzlich sieben Filialen mit insgesamt mehr als 10000 qm bereits fest geplant. Somit baut Thalia allein in Deutschland auf 103 Filialen und mehr als 105.000 Quadratmetern aus (zu ergänzen wären die gegenwärtig 18 Geschäfte in der Schweiz und 20 Läden in Österreich [mehr…].

Das sind freilich bloß die Zahlen nach heutigem branchenöffentlichen Kenntnisstand. Was Thalia darüber hinaus an Filialplanungen in der Pipeline hat, weiß noch keiner von uns. Was ferner – auf Grund von beherzt ergriffenen Akquisitionschancen, die den Hagenern die wirtschaftliche Schwäche anderer Buchhandlungen in den Schoß legt – folgen könnte, ist momentan nicht bezifferbar. Doch hängen wir den Kopf in Abwägung einiger nicht ganz unwahrscheinlicher Events mal spekulativ aus dem Fenster: Bis Ende 2007 könnte die Zahl der Thalia-Filialen (nur in Deutschland) durchaus auf 140, deren Gesamtfläche bis zu 150.000 Quadratmetern und ihr jährlicher Umsatz auf 500 Euromillionen anwachsen.

Zu gewagt? Bitte sehr – hat Anfang vergangener Woche vielleicht etwa jemand gedacht, daß Schmorl & Seefeld in Hannover Insolvenz anmelden würde [mehr…]? Und dass, wie die Hannoversche Allgemeine am Samstag berichtete, Thalia an einer Übernahme dieser großen Traditionsbuchhandlung interessiert ist?

Damit nicht genug. Das Thalia-Kommuniqué vom Donnerstag enthält noch eine weitere absolut ungewöhnliche Aussage. Es war kaum eine halbe Stunde heraus, als ihretwegen Volker Hasenclever anrief. „Jetzt hat Thalia endlich Klarheit geschaffen.“ Hat der Folgesatz Sie auch überrascht und nachdenklich gestimmt?

Dazu mehr in meiner nächsten Kolumne.

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