Kaffeehaussitzers Netzrückblick Fundstücke aus den Literaturblogs – November 2016

Der November 2016 hatte es in sich: Von Lesefestival-Berichten über die Analyse politischer Erdbeben bis hin zum Wiederentdecken zahlreicher Klassiker – viele Beiträge unterschiedlichster Art und Weise sorgten für spannende Abwechslung in den Literaturblogs.

Kalkowski
Der Kaffeehaussitzer in seiner natürlichen Umgebung Foto: © Vera Prinz

Gleich zu Beginn des Monats konnte man das größte Lesefestival der Schweiz Revue passieren lassen. Denn „Zürich liest 2016“ hatte fünf offizielle Blogger-Kooperationspartner, die das Lesefest im Netz begleitet haben. Liest man die Festivalberichte von Pinkfisch, Kapri-ziös, Die Buchbloggerin und dem Kaffeehaussitzer erhält man einen Eindruck davon, was sich vier Tage lang zwischen Limmat und Zürichsee abgespielt hat. Und Buzzaldrins Bücher schwärmt von den Zürcher Buchhandlungen.

Die euphorische Literaturfest-Stimmung war einige Tage später leider verschwunden. Die US-Präsidentenwahl sorgte für aufgeschreckte Panik-Beiträge quer durch die Netzcommunity. Umso wohltuender liest sich ein (selbst-)reflektierter Beitrag im Blog Brasch & Buch. Auch Lars Hartmann äußert sich auf AISTHESIS wie immer fundiert zum Thema.

Überhaupt scheint die Welt täglich mehr aus den Fugen zu geraten – vielleicht ist daraus das Bedürfnis entstanden, sich wieder vermehrt mit Klassikern zu beschäftigen? Quasi als Symbol für Beständigkeit in unruhigen Zeiten? Diese Beobachtung zieht sich quer durch die November-Blogtexte. Birgit Böllinger hat auf ihrem Blog Sätze & Schätze die Rubrik #meinKlassiker eingeführt – und darunter eigene und Gastbeiträge gesammelt, die auf sehr persönliche Art und Weise Klassiker vorstellen und anderen Lesern dadurch nahe bringen. Und es werden mehr und mehr. Auch im Blog Literaturaustausch wird unter dem Titel „Klassiker lesen – aber wie??“ eine Lanze für das Lesen klassischer Werke gebrochen. Die Bloggerin Saskia Weyel alias WhoisKafka beschäftigt sich mit den Erzählungen Zelda Fitzgeralds. Die Ehefrau F. Scott Fitzgeralds stand Zeit ihres tragischen Lebens im Schatten ihres berühmten Mannes – der das schriftstellerische Talent seiner Frau zu unterdrücken versuchte. Im Manesse Verlag sind unter dem Titel „Himbeeren mit Sahne im Ritz“ ihre Erzählungen jetzt erstmals auf Deutsch erschienen. Klassiker zum Neuentdecken.

Und noch zwei lohnenswerte Abstecher in die Vergangenheit: Auf BücherKaterTee ist Andrea Daniels Humboldt-Leseprojekt
an den Start gegangen. Und Wolfgang Krisai lobt auf Buchwolf die aktualisierte Neuauflage der Friedrich-Rückert-Biographie aus der Feder Annemarie Schimmels, die 2016 zum 150. Todestag Rückerts im Wallstein Verlag erschienen ist. Eine echte Wiederentdeckung dieses außerordentlich vielseitigen Dichters, von dem heute viele nur noch den Namen kennen.

Ich muss unbedingt noch einmal auf den Blog Sätze & Schätze zu sprechen kommen. Dort wurden nämlich „Zehn Fragen zu Büchern“ veröffentlicht, deren Beantwortung auf den ersten Blick einfach wirkt, sich dann aber als recht knifflig erweist. Eine ganze Menge Buchmenschen haben diese Fragen zu ihren Lebensbüchern inzwischen beantwortet – es macht Spaß, sich dabei festzulesen. Und natürlich sofort selbst über mögliche Antworten nachzudenken. Eine wunderbare Idee.

Um das Dilemma des Literaturbloggers im Spannungsfeld zwischen Begeisterung für Literatur, Herzblut, Glaubwürdigkeit und Verlagsmarketing geht es in einem sehr lesenswerten Beitrag im Blog Muromez. Das Fazit des Bloggers Ilja Regier: „Ich will ein bloggender Leser sein, kein lesender Blogger.“ Ein Satz, den ich sofort unterschreibe. Außerdem schließen sich gerade die Kreise, denn auch auf Muromez ging es im November um einen Klassiker; in diesem Fall um Vladimir Nabokov. Ilja Regier, der schwerpunktmäßig über osteuropäische Literatur bloggt, ist es gelungen, Dieter E. Zimmer zu einem Interview zu bewegen. Das ist bemerkenswert, denn der 82jährige Autor, Journalist und Übersetzer ist verantwortlich für die deutsche Nabokov-Werkausgabe bei Rowohlt und gibt eigentlich seit Jahren keine Interviews mehr. In diesem Fall hat er tatsächlich eine Ausnahme gemacht und erzählt, wie er zu Vladimir Nabokov gekommen ist, was den Großmeister ausmacht und wie es war, als sie sich trafen.

Ein weiterer Blogger-Statusbericht findet sich in Tobias Zeisigs Blog Lesestunden, in dem er auf sämtliche aktuellen Entwicklungen in der Buchblogger-Szene kritisch eingeht. Außerdem lohnt sich ein dort ein Stöbern, denn auf diesem Blog wird die Haptik schöner Bücher auf eine photographisch sehr beeindruckende Art dargestellt.

Der auf dem Blog Das Debüt ausgeschriebene Bloggerpreis für das beste Debüt 2016 ist in die nächste Runde gegangen: Die Shortlist steht jetzt fest. Eine feine Auswahl, wie ich finde. Und beim Blogbuster-Preis sind inzwischen mehr als 60 Manuskripte eingegangen, in den Blogs Bücherwurmloch, Literaturen, Novelero und Kulturgeschwätz gibt es die ersten Erfahrungsberichte aus dem Auswahlverfahren.

Und sonst? Im Blog schiefgelesen finden wir in der Kolumne „Essen aus Büchern“ wieder etwas sehr Leckeres, nämlich Prosciutto-Gruyère-Ravioli, nachgekocht aus Tara Shea Nesbits „Was wir nicht wussten“. Danke an die Bloggerin Marion Rave für diese großartige Kolumnen-Idee.
Zum Thema besondere Literaturblog-Ideen möchte ich außerdem einen Blick auf den Blog Leo’s Literarische Landkarten empfehlen, denn dort werden Bücher nicht nur vorgestellt, sondern auch gleich noch kartographiert.

2016 ist das Jahr der prominenten Toten. Mit dem Tod Fidel Castros hat sich der November mit einem Paukenschlag verabschiedet. Ziemlich genau drei Monate davor gab es auf Kaffeehaussitzer ein Castro-Special, das damit zu einer Art Nachruf geworden ist.

Und noch ein allerletzter Lesetipp, diesmal für die kommende Adventszeit: Auch dieses Jahr wird es wieder mit 54stories einen literarischen Adventskalender erster Güte geben. Jeden Tag eine Geschichte, 24 Originaltexte. Das sollte man auf keinen Fall verpassen.

Uwe Kalkowski ist seit vielen Jahren in der Buchbranche tätig und kennt sie aus unterschiedlichen Perspektiven: Als Buchhändler in großen und winzigen Buchhandlungen, als Student der Verlagswirtschaft in Leipzig und als Marketingmensch in verschiedenen Fachverlagen; seit 2009 ist er Marketingleiter des RWS Verlags in Köln. Als Kaffeehaussitzer bloggt er über Bücher, Literatur und Leseerlebnisse. In der Kolumne Kaffeehaussitzers Netzrückblick gibt er hier auf buchmarkt.de regelmäßig eine Übersicht über lesenswerte Fundstücke aus den Literaturblogs. „Vollkommen subjektiv, handverlesen und rein persönlich ausgewählt ohne Anspruch auf Vollständigkeit, denn eine solche kann es in einer so vielschichtigen Szene gar nicht geben“, wie er sagt.

Kommentare (1)
  1. Eine interessante Synopse; vieles hatte ich bereits mitbekommen, manches war mir entgegangen, so zum Beispiel das Interview mit dem wunderbaren Dieter E. Zimmer, das ich jetzt gleich mal lesen werde. Vielen Dank für die Hinweise!

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