Liebe Freunde,
herzlich willkommen zur Leipziger Buchmesse 2012! Am gestrigen Mittwoch traf ich schon früh genug in Leipzig ein, um in den Hallen das schwindende Chaos als auch die leeren Gänge zu genießen. Mein früher Einsatz wird belohnt, denn Messedirektor Oliver Zille nutzt die leere Glashalle, um ungestört ein TV-Interview geben zu können.
Aber eine Halle mit mir darin ist ja nicht mehr leer, und deshalb renne ich gleich schreiend die Empore hoch, so ähnlich wie Dustin Hoffman in Die Reifeprüfung. Ich schiebe mich zu den Kollegen dazu, damit Herr Zille mich zufällig bemerkt und mir die Hand schüttelt.
Hat aber funktioniert: Erstklassige, nichtlizensierte Direktoreninterviewfotos zum Auftakt!
Platz, Zeit und Unbeobachtetheit
sind Gründe, den Aufbau- und Vorbereitungstag mitzunehmen. Man kann sich in Ruhe schöne Dinge ansehen, bevor die wünschenswerten Besucherströme kommen; und vor allem auch Dinge, die nur außerhalb der Öffnungszeiten stattfinden. Ruhe und Zeit hatte ich so zum Beispiel für den Bauhaus-Universitätsverlag Weimar, der eine 3D-Technik ganz ohne Brille zur Perfektionierung gebracht hat: Das gute, alte Pop-Up.
Ein hervorhebenswerter Aspekt von Menschenleere ist zum Beispiel der BookHit-Stand, den ich selten so friedlich, so ausgeglichen, ja so Zen erlebt habe wie hier. Herr Kemper sah nie gesünder aus, Herr Spartmann hat an seiner Haltung gearbeitet, und selbst Herr Lederer zeigt sich von seiner besten Seite.
Ein besorgniserregende Verschlechterung habe ich beim mdr feststellen können: Letztes Jahr fiel mir auf, dass die Leuchtanzeige „MEMORY LOST!“ anzeigte, und das war mir ein Foto wert. Dieses Jahr schaue ich wieder beim mdr vorbei, und es ist schlimmer geworden. Ich bin besorgt.
Die Stuhlreihen für den Leipziger Buchmessepreis sind natürlich schon aufgestellt. Ich habe mir ja seit Jahren vorgenommen, dieser wichtigen Preisverleihung einmal beizuwohnen; und ich bin schon jetzt gespannt, welchen Grund ich dieses Jahr finde, es wieder nicht zu tun. Vielleicht die Neuseeland-Happy-Hour am Stand der Frankfurter Buchmesse? Freue mich schon darauf.
Bei 3sat hat man alles mit Plastikfolie ausgelegt, anscheinend weil man Martin Walser erwartet. Keine Ahnung, wo da der Zusammenhang sein soll.
Da drücke ich mich lieber in den Kulissen der ARD herum, bevor Denis Scheck ab Donnerstag hier einzieht. So sieht Denis Scheck den Großteil der Messe:
Und so sieht man mich nur am Aufbautag:
Themawechsel: Ein altes und doch ewig junges Problem ist endlich gelöst.
Einen inoffiziellen Blick wert ist die riesige, komplett leere Droemer-Knaur-Regalwand, die im Vorfeld mit Bestückungsdummies versehen wurde:
…aber nein – das sind da nur die Damen Loesdau und Fleischer, die hunderte von Büchern nach oben in die Regalwand zu den Huber-Buam durchreichen, die die obersten Reihen freikletternd bestücken.
Menschen, Personen und Leute
Das klingt wie eine unnötige rhetorische Dopplung, aber ich weiß bis heute nicht, in welche Kategorie Redakteur Uli Faure fällt. Hier habe ich ihn zusammen mit dem Leipziger Verleger Dr. Mark Lehmstedt fotografiert…
…und an irgendwen erinnert er mich. Aber an wen nur?
Buchhandelsleute sind am Aufbautag spärlich auszumachen zwischen all den Kisten, Abfallbergen und echten Arbeitern. Echte Arbeiter sind solche:
…oder solche:
…wohingegen der Buchhandel und das Verlagswesen eher so dastehen, als hätten sie eben „So!“ gesagt, um ihr Werk zu betrachten. Gesehen bei Dumont.
Oder sogar eher so, als würden sie denken: „ICH räum das jedenfalls heute nicht mehr ein, diese ganzen kleinen gelben Hefte!“
Anderswo trägt man nach getaner Arbeit seine Erschöpfung zu Markte: Sabine Klees von Prolit freut sich so sehr über ihre verdiente Pause, dass sie dieses Foto zu ihrem neuen Briefkopf machen will. Und es wirkt! Ich habe noch gar nichts gearbeitet heute und will sofort auch Pause machen!
Besonders drollig ist diese an sich harmlos wirkende Gruppierung beim Verlag Otto Müller. Da hätten wir nämlich in trauter österreichischer Verschlagenheit beisammensitzen den Picus-Verlag, den Residenz-Verlag und den Czernin-Verlag. Nur von Otto Müller sitzt keiner dabei!
Christian Pflug bildet immer die Leipzig-Delegation von Collection Rolf Heyne, aber da ich ihn unterwegs antreffe, weiß ich nicht, ob er gerade arbeitet oder nur streunt. Aber dass wir ein paar Takte plaudern, genügt schon: Um als Nichtstuer durchzugehen, reicht es schon völlig aus, nur neben mir zu stehen.
Aber wenden wir uns lieber wieder den Fleißigen zu: Reinhold Joppich verlangte von mir für dieses Foto ganz im Ernst 10.000 €uro! Stellen Sie sich das mal vor! Also zusätzlich zum Werbe-Honorar der mitteleutschen Handwerksmesse! Weiß KiWi denn davon?
Ebenfalls fleißig ist der nimmermüde Marketingspringteufel Herbert Paulerberg. Ich wollte nur ein Foto von ihm machen, wenn er doch schon mal am Boden ist, aber schon hat er mich mit seinen mächtigen, schaufenstergroßen Händen gepackt und doziert mir eine Sieben-Sekunden-Deko in nur fünf Sekunden. Als ich aus der Halle rannte, schleuderte er mir noch ein paar rasiermesserscharfe Flyer hinterher mit den Worten „Das sind Faltblätter, keine Flyer!“
Ein Xanadu aus Sprühlack, Filz und Hartschaum, dieser Paulerberg.
Hoffentlich kommen wir am leeren BookHit-Stand vorbei, das wird ihn hoffentlich ablenken.
Fehlen nur noch die Motoren…
…denn Autos sieht man an den Messetagen innerhalb der Hallen nur noch zu Dekozwecken. Während die Messe aber noch geschlossen ist, sind die meisten von Ihnen in nützliche Transformer verwandelt und stapfen zwischen den Gängen hin und her, die Autobots der Verlagsauslieferungen und Logistiker.
Kollege Paulerberg (von einst zu Seckbach) darf natürlich nicht auf dem Messegelände schlafen. Wahrscheinlich weil er sonst nachts alles umdekoriert.
Und das wäre nicht das einzige Beunruhigende. Wozu um alles in der Welt wird denn eine Beregnungsanlage auf dieser Messe gebraucht?
Hier haben wir ein ganz reizendes Beispiel, wie sich die Autobots in unsere Menschenwelt integrieren, indem sie sich z.B. beim Info-Stand schön hinten anstellen und warten, bis sie dran sind:
Aber nicht alles Ungewöhnliche in den Gängen ist dieselbetrieben:
Leipzig contra Frankfurt
Ach, davon will ich gar nichts hören. Den Leistungsdruck, der aus solchen Vergleichen erwächst, kann man getrost in Mainhattan lassen. Auch wenn Kollege Faure mir vorschlug, mein kleines Tagebuch nicht Messe-Mayer, sondern Sachsen-Klatsche zu nennen, lasse ich mich gar nicht kirre machen. Hier ist es eben intim und belesen.
Aber hier gibt es ebenfalls eine reichhaltige kommunale Folklore, die sich mit Frankfurt messen lassen kann, sowohl in der Kunst als auch im Vandalismus.
Super ist der neue, riesige Hallenplan! Übersichtlich und groß, und alle Fressstationen und Kaffee-Oasen sind eingezeichnet!
Einziges Gschmäckle ist vielleicht das besondere Bewusstsein der Erhabenheit, das diese Stadt und diese Messe aus ihrer Alliteration ziehen:
Etwa „Fratzen frequentieren Frankfurt?“ „Freigeister frappieren Freaks“? Nein, das geht doch alles nicht. Leser lieben Leipzig. Häbä bäbä bä.
Aber immerhin: Die Schönheit des Frankfurter Autobahnkreuzes brauche ich auch hier nicht zu missen.
Sie sehen also, ich nehme meine Arbeit in Leipzig genau so ernst wie in Frankfurt. (In Frankfurt nehme ich sie auch nicht ernst.)
Jetzt muss ich mich nur noch etwas stärken, um auf den Eröffnungstag vorbereitet zu sein! Ich habe hier im Supermarkt zwei leckere heimische Apfelsorten entdeckt, die ich unbedingt kosten muss:
…aber vielleicht nehme ich doch lieber einen Golden Decilius oder einen Grinny Smath.
Wenn Sie etwas Lustiges am Stand haben (Kaffee, Sensationen, oder etwas zu essen z.B., egal wie falsch geschrieben), dann scheuen Sie sich nicht, mich anzumailen! ars Edition beispielsweise hat das letztes Jahr gemacht, mich mit Leckerli angelockt, und nun werden die mich nicht mehr los.
Ich wünsche Ihnen einen schönen ersten Messetag!
Ich melde mich wieder morgen früh!
Herzlichst,
Ihr
Mattias Mayer