Die Rechte-Kolumne Rainer Dresen: „Ende einer Nacht“ vor Gericht. Das Genre der Doku-Fiction in Film und Buch

Verlagsjuristen gehen stets mit einem gewissen pathologischen Interesse über die Frankfurter Buchmesse und suchen nach verbotenen Büchern. 2008 musste man erfreulich lange suchen und bis zum Stand des kleinen aber feinen Münchner Blumenbar Verlags gehen, um überhaupt fündig zu werden. Dort wurde der Roman Ende einer Nacht von Olaf Kraemer mit Schwärzungen und einem Aufkleber auf dem Cover präsentiert, der lautete „Collectors Edition 152 Wörter weniger“ [mehr…].

In dem Roman setzt sich eine Romanfigur Romy Schneider kurz vor ihrem Tod, teilweise fiktiv, aber mit Bezug auf reale Begebenheiten, mit entscheidenden Momenten ihres Lebens auseinander. Bei dieser Gelegenheit lässt Autor Kraemer die Romanfigur Romy Schneider auch über mögliche Kontakte ihrer Mutter Magda Schneider zur Führungselite des Dritten Reiches spekulieren.

Magda Schneiders Witwer wollte das so nicht akzeptieren und hat eine Einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt erwirkt, über die nach Widerspruch des Verlags nun diese Woche verhandelt wird.

Laut sueddeutsche.de hatte Kraemer bei der Niederschrift jener Passagen keine juristischen Bedenken, weil seit Jahren über die Vergangenheit von Romy Schneiders Eltern spekuliert werde. Ähnliches hätten auch schon die Romy-Biografen Alice Schwarzer und Jürgen Trimborn geschrieben. „Umso mehr erstaunt es mich, dass wir nun belangt werden.“ sagte Kraemer. In der Tat verwundert aus heutiger Sicht, wie weit sich etwa Alice Schwarzer noch vor wenigen Jahren in ihrem auch heute noch lieferbaren Sachbuch auf jenes nun im Roman von Kraemer verbotene Terrain wagte.

Bei Kraemers Buch dürfte es sich wohl aus rechtlicher Sicht um eine sog. „Doku-Fiction“ handeln, eine Gattung, die eher aus dem Filmbereich bekannt ist, und die reale mit fiktiven Elementen mischt. Je nachdem, wie der Leser bestimmte Passagen versteht, gelten dafür Sachbuch- oder Romangrundsätze. Romanpassagen können sich auf die Kunstfreiheit berufen und geschilderte Begebenheiten müssen nicht nachweisbar wahr sein. Sachbuchinhalte hingegen, soweit sie nicht von untergeordneter Bedeutung sind, müssen zutreffend sein.

Der Blumenbar Verlag selbst hat nach Bekanntwerden des Verbots in einer ersten Stellungnahme vorrangig den Sachbuchcharakter des Romans und noch nicht die Fiktionalität des Textes betont und darauf hingewiesen, dass anders als bei Maxim Billers Roman Esra die Romanfiguren in diesem Fall von vornherein erkennbar seien. Dies sei „ein wesentliches Element der literarischen Konstruktion“. Maßgeblich für das bevorstehende Urteil werde die Frage sein, wie schwer die sogenannten postmortalen Persönlichkeitsrechte der 1996 gestorbenen Schauspielerin Magda Schneider verletzt worden sein könnten und welche persönlichen Verbindungen, falls überhaupt, sie tatsächlich zum damaligen Regime gepflegt habe.

Ob die verbotenen Passagen auf den Leser eher fiktiv oder eher real wirken, lässt sich aufgrund der Schwärzungen nicht mehr beurteilen. Auf der U 4 ist auch nur ganz allgemein zu lesen, dass der Autor den ungeklärten letzten Stunden Romy Schneiders „nachspürt“. Der Leser versteht das wohl so, dass der Autor aufzeigen will, wie es gewesen sein könnte, nicht aber zwingend gewesen sein muss. Kein Leser wird deshalb alles für bare Münze nehmen, was er liest.

Eine ähnliche Überlegung war z.B. entscheidend dafür, dass der Doku-Fiction-Film „Baader-Meinhof-Komplex“ sich auch gegen den bislang letzten bekannt gewordenen Verbotsversuch durchsetzen konnte. So wies das Landgericht Köln kürzlich eine Klage gegen eine unzutreffende Darstellung des tödlich verlaufenen Entführungsversuchs des Bankiers Ponto mit der Begründung ab, dass für den Zuschauer deutlich erkennbar sei, dass der (durchaus als authentisch beworbene) Film keine reine Abbildung der Realität anstrebe, sondern diese aus einer bestimmten Perspektive zeigen wolle, um dem Zuschauer die Botschaft des Films nahe zu bringen. Demnach müssten nicht alle Schilderungen einer Doku-Fiction der Realität entsprechen.

Diese Überlegung des Gerichts „in dubio pro Fiction“ könnte vorliegend auch dem „Ende einer Nacht“ helfen. Ein Verteidigungsargument könnte deshalb die Fiktionaltät der inkrimierten Passagen sein.

Denn wenn bei deren rechtlicher Beurteilung nur die strengeren Sachbuchgrundsätze gelten würden, käme es entscheidend auf die Nachweisbarkeit der Behauptungen an. Die wirkliche Faktenlage aber dürfte nicht leicht zu eruieren sein, das Geschehen liegt Jahrzehnte zurück, viele der Zeitzeugen sind nicht mehr am Leben. Wenn der Nachweis des Wahrheitsgehalts der Passagen nicht gelänge, käme es darauf an, dass Magda Schneider 1996 gestorben ist und das sog. postmortale Persönlichkeitsrecht einen geringeren Umfang hat als das lebender Personen. Nur gegen eine grobe Entstellung des Lebensbildes kann vorgegangen werden.

Entscheidende Frage ist also, ob die Spekulationen um Magda Schneiders damalige Kontakte als Fiktion verstanden werden können. Falls ja, wäre die Verfügung schon deshalb aufzuheben. Falls nein, käme es darauf an, ob sie völlig aus der Luft gegriffen sind. Wenn es zumindest konkrete, nachweisbare Anhaltspunkte für ein ähnliches wie das beschriebene Verhalten gibt, wären eventuelle Übertreibungen in „Ende einer Nacht“ nicht ohne Weiteres als Entstellung des Lebensbildes einzustufen und damit nicht justiziabel.

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