Die Rechte-Kolumne Rainer Dresen kommentiert die EV gegen die Kinski-Biographie bei Aufbau

Es ist immer derselbe Ablauf, zuletzt vorexerziert an der im Aufbau Verlag erschienenen Kinski-Biographie [mehr…]: Eine Biographie (oder ein Sachbuch oder ein realitätsnaher Roman) handelt üblicherweise nicht nur von einer einzig vorkommenden Person und deren Gedankenwelt sondern von realen Erlebnissen, die der oder die Beschriebene im Austausch mit Mitmenschen hatte. Oft sind, so ist das Leben, diese Erfahrungen privater oder sogar intimer Natur. Das aber beschwört die Gefahr herauf, dass die ungefragt ebenfalls vorkommenden Zeitgenossen, mit denen die privaten oder intimen Momente geteilt wurden, eine Verletzung ihres Rechts rügen, nicht ohne Zustimmung erkennbar in Büchern anderer beschrieben zu werden.

Dieser Rechtsanspruch kann naturgemäß erst dann geltend gemacht werden, wenn man konkret davon erfährt. Meist wird dies erst nach der Buchveröffentlichung sein, zu einem Zeitpunkt also, in dem das Buch bereits gedruckt und ausgeliefert ist. Deshalb besteht eine ja von den Verlagen meist bereitwillig eingeräumte Änderungsmöglichkeit erst ab der nächsten Auflage.

Betroffene aber sind nicht mehr wie früher, als die Buchbranche noch ohne Medienanwälte und Verlagsjustitiare auskommen musste, bereit, auf die Änderungsauflage zu warten. Oft wollen sie jegliche Verbreitung der kritisierten Passagen verhindern. Deshalb setzen sie zunehmend Anwälte in Marsch, die oft auch die vertreibenden Barsortimenter und Buchhändler, in Extremfällen sogar Druckereien und Auslieferungsunternehmen, mit Unterlassungsaufforderungen konfrontieren. Regelmäßig werden die so angegangenen Vertriebspartner zur Vermeidung weiteren Streits auch bereit sein, die Vertriebshandlungen einzustellen, da sie im Regelfall ohnehin auf eine geänderte, beanstandungsfrei zu vertreibende geänderte Auflage des Verlages hoffen können, wie dies soeben mustergültig von Aufbau angekündigt wurde. [mehr…]

Was derartige Fälle aber zunehmend ärgerlich und teuer für alle Beteiligten – mit Ausnahme der Anspruchsteller und ihrer Anwälte natürlich – macht, ist die Tatsache, dass Abmahnungen mit Unterlassungsaufforderungen meist Kostenrechnungen beiliegen, die sich auf Beträge zwischen 500 und 1000 Euro belaufen können. Diese Kostenforderungen präsentieren die Vertriebspartner nach Zahlung meist den Verlagen, die ihre Abnehmer nicht verärgern wollen und meist zähneknirschend die Zahlungen erstatten.

Schon lange fragen sich Verlage, wie man mit derartigen, oft massenweise verschickten Abmahnungen umzugehen hat. Selten nehmen die Abmahnungen derartige Ausmaße an, dass man von einem Missbrauchsfall auszugehen hat, der jegliche Kostentragungspflicht entfallen lässt.

Aber auch abseits von Missbrauchsfällen könnte Hoffnung für Verlage und deren Geschäftspartner bestehen. So hat das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) kürzlich in einem Fall zu entscheiden gehabt, in dem es um einen Unterlassungsanspruch gegen den Betreiber eines Internetforums und dessen Verantwortlichkeit ging. Bislang waren sich die Gerichte meist einig, dass schon jeder Adressat von Unterlassungsansprüchen sein kann, der willentlich und kausal einen nicht nur völlig untergeordneten Beitrag zu einer Verletzungshandlung geleistet hat. Buchhandlungen etwa sind demnach taugliche Adressaten, bieten sie doch ggf. rechtsverletzende Bücher willentlich an, also sind sie nach bisheriger Rechtsprechung auch Unterlassungsverpflichtete.

In dem neuen Urteil aber stellt das OLG den Grundsatz auf, dass unterlassungsverpflichtet nur sein kann, wem eine eigene Prüfungspflicht hinsichtlich möglicher Rechtsverstöße zugemutet werden kann. Auf ein Internetforum bezogen führt das Gericht aus, dass ansonsten, bei Überspannung der Überwachungspflichten, die Existenz derartiger Foren gefährdet wäre. Überwachungspflichten bestehen demnach nur noch dann, wenn es einen konkreten Anlass zur Überwachung der Forenbeiträge gegeben hätte (was dann aber im Weiteren angenommen wird).

Dieser Grundsatz sachgerecht auf Buchhandlungen angewendet kann aber nur bedeuten, dass man keinem Sortimenter zumuten kann, jedes von ihm angebotene oder bestellbar gehaltene Buch vorher juristisch prüfen zu lassen. Denn das wäre schon aus Kostengründen zwar ein Traum für die Anwaltsbranche, aber das Ende des Buchhandels. Etwas anderes und damit eine Unterlassungspflicht kann danach nur gelten, wenn die Buchhandlungen bei Erhalt von kostenpflichtigen Abmahnungen bereits einen Verdacht hatten, also irgendeinen Grund zur Annahme, ein Buch könnte verboten werden. Einen solchen Verdacht begründen könnte der Erhalt von (dann aber kostenlosen) Warnschreiben oder die nachweisbare Lektüre von Presseberichten über zu erwartende Streitigkeiten.

Sollte sich dieses Mut machende Urteil auch auf die Buchbranche übertragen lassen, und diesbezügliche Versuche von Verlagen gibt es bereits, wären Buchhandlungen nicht mehr taugliche Adressaten von gerichtlichen oder außergerichtlichen Unterlassungsaufforderungen mit Kostenfolge. Sie würden entsprechende kostenlose Aufforderungen gleichwohl beachten, aber abmahnende Anwälte hätten ein florierendes Geschäftsmodell verloren.

Rainer Dresen arbeitet als Rechtsanwalt und Verlagsjustitiar in München auf dem Gebiet des Urheber- und Medienrechts. Mail: Dresen-Kolumne@freenet.de

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