Die Rechte-Kolumne Rainer Dresen: Nichts wirklich Neues über „Esra“ aber viel Erhellendes über die wirklichen Probleme der Verlage

Anfang Februar fand in der evangelischen Akademie in Tutzing eine Tagung statt zum Thema „Freiheit für die Literatur?“ Ein ganzes Wochenende lang wurde dort über die Frage diskutiert, ob die Literaturfreiheit dadurch in Gefahr ist, dass Gerichte Romane verboten haben, die persönlichkeitsrechtlich bedenkliche Anleihen an der Realität aufweisen.

Obwohl der Autor – wohl zu Versachlichung der Debatte – gar nicht erst eingeladen war, standen Maxim Biller und sein Roman Esra in Tutzing im Mittelpunkt. Billers Interessen wurden trotz seiner Abwesenheit mit Verve und Eloquenz vertreten durch seinen Verleger Helge Malchow und den WELT-Redakteur Uwe Wittstock. Beide wiederholten ihre auch schon vor Tutzing wiederholt geäußerten Thesen, dass dieses Buch eine beeindruckende Literatizität aufweise und deshalb das gerichtlich verfügte Verbot unerhört sei, weshalb ja auch Verfassungsbeschwerde gegen das Verbot eingelegt worden sei.

Schützenhilfe bekamen Malchow und Wittstock nun durch den Vortrag des Literaturwissenschaftlers Dr. Michael Ansel. Er attestierte dem Roman eine selbstreflexive Medialität und entdeckte eine den Romanfiguren immanente Poetologie und wies dadurch nach, was im Falle Esra kein Gericht je bestritt, nämlich dass es sich bei „Esra“ – insgesamt gesehen – um Literatur und damit um Kunst im Sinne des Grundgesetzes handle. Spätestens die Bezugnahme des inoffiziellen Haus- und Hofheiligen der Tutzinger Veranstaltung, Thomas Mann, im Roman selbst machte „Esra“ aus Dr. Ansels Sicht vollends zum Kunstwerk und damit für Juristen unangreifbar.

Leider ging Dr. Ansel mit keinem Satz darauf ein, ob die in den Prozessen konkret dargelegten Persönlichkeitsrechtsverletzungen der Freundin Billers und deren Mutter durch die Kunstfreiheit gedeckt sind, ob also in deren zum großen Teil realitätsnahen Schilderungen ausreichende künstlerische Verfremdungen zu erkennen sind. Diese Fragen, und nur diese, hatten sich die befassten Gerichte bei ihrer Abwägung der Persönlichkeitsrechte mit der Kunstfreiheit zu stellen, wobei sie alle nach zugegebenermaßen nicht literaturwissenschaftlich durchgeführter Prüfung zum Ergebnis kamen, dass hier die Anforderungen an das Überwiegen der Kunstfreiheit nicht erfüllt seien, die seit dem „Mephisto-Urteil“ unverändert fragen: Ist das reale Umfeld der betreffenden Personen nicht nur abgebildet sondern künstlerisch hinreichend verfremdet.

Die vorsichtig gestellte Frage an den Verleger, warum denn nicht, was einer der Hauptvorwürfe der Gerichte war, der Schauplatz von „Esra“, München-Schwabing, angesichts der präzisen Personenschilderungen geändert worden war und dadurch die Erkennbarkeit der Kläger hätte vermieden werden können, wurde eher verständnislos entgegengenommen und mit dem Verweis abgetan, dass – Thomas Mann erklärt offenbar vieles – ja auch die „Buddenbrooks“ nicht einfach in eine andere Stadt als Lübeck hätten verpflanzt werden können.

Erfrischend waren deshalb angesichts der altbekannten Argumente die Wortmeldungen des neben Biller weiteren Opfers des Herbstes der verbotenen Bücher vor nunmehr dreieinhalb Jahren, Alban Nikolai Herbst, Autor von „Meere“. Er vertrat die Auffassung, dass dann, wenn ein Autor eine bestimmte Sicht der Dinge einfach niederschreiben müsse und er dabei Grenzen verletze, er gefälligst dazu stehen und nicht hinterher jammern solle.

Aus Sicht der Verlage wirklich interessant aber war der Vortrag des kaufmännischen Leiters des Rowohlt Verlages Eckhard Kloos, der ausführte, wie stark die Vermeidung von Gerichtsverfahren weniger um Romane als vor allem um Sachbücher mittlerweile den Verlagsalltag prägt. Am Beispiel der jüngst verbotenen Biographie von Joachim Fest „Ich nicht“ schilderte er, wie das überraschende Verbot eines sorgsam lektorierten Sachbuchs mitten im so wichtigen Weihnachtsgeschäft einen Verlag treffen kann, welche Sofortmaßnahmen eingeleitet werden müssen und wie teuer das einen Verlag mittlerweile kommt. Denn Adressaten von Anwaltsschreiben sind längst nicht mehr nur die Verlage sondern alle wesentlichen Vertriebspartner, die dann ihnen von den Abmahnenden auferlegte Anwaltskosten wiederum dem Verlag in Rechnung stellen.

Rainer Dresen arbeitet als Rechtsanwalt und Verlagsjustitiar in München auf dem Gebiet des Urheber- und Medienrechts. Mail: Dresen-Kolumne@freenet.de

BuchMarkt bietet während der Leipziger Buchmesse Verlagsmitarbeitern die Gelegenheit, in einem Seminar zum Thema „Vermeidung von Bücherverboten“ das nötige Grundlagenwissen zu erwerben, um Rechtsstreitigkeiten um Romane und Sachbücher schon im Vorfeld zu vermeiden.

Teil des Seminars wird eine Einführung in die rechtliche Situation sein, nämlich Herleitung und Ausprägung sowie Umfang und Dauer des Persönlichkeitsrechtsschutzes. Begleitet werden diese theoretischen Ausführungen durch Schilderungen aktueller Praxisfälle sowie konkreter Tips anhand tatsächlicher Manuskripte. Teilnehmer lernen so, Risiken zu erkennen und erfahren, wie man durch unkomplizierte Umarbeitungen aus risikobehafteten Passagen rechtssichere Inhalte machen kann.

Bisher führen viele Verlage entweder mangels Basiswissen schon gar kein juristisches Lektorat durch oder aber geben dieses in die Hände teurer externer Anwälte. Nach dem Besuch dieses Seminars wissen Verlage, wo die Stolpersteine eines Textes liegen können. Sie können diese dann entweder selbst beiseite räumen oder aber gezielt externe Anwälte darauf hinweisen und so durch zumindest punktuelle Rechtsberatung Risiken und Kosten vermeiden.

Aus dem Seminarinhalt: Tips anhand aktueller Rechtsfälle der letzten Monate wie zB:

· Unautorisierte Interviews vermeiden: dtv Verlag und das Horst Herold Interview in der Baader-Biographie

· Spekulationen über das Intimleben vermeiden: Aufbau Verlag und die Beschreibung der Ehefrau in der Klaus Kinski-Biographie

· Spekulationen über Mord-Beteiligung vermeiden: Herbig Verlag und die Spekulationen um eine mögliche Beteiligung eines Geheimagenten am Tod Uwe Barschels im Buch „Der Doppelmord an Uwe Barschel“

· Namensnennungen nur bei Personen der Zeitgeschichte: Siedler Verlag und die namentliche Nennung eines Politoffiziers in Zusammenhang mit Mauerschützenprozessen

· Straftäter anonymisieren: zahlreiche Verlage die Sammlungen spektakulärer Mordfälle veröffentlichen und dort die Sedlmayr-Mörder namentlich nannten

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