Die Rechte-Kolumne Rainer Dresen über „Irdischen Streit um eine himmlische Scheibe“

Im Jahre 1999 wurde in Sachsen-Anhalt auf dem Mittelberg bei Nebra im Landkreis Merseburg-Querfurt eine schallplattengroße Scheibe gefunden. Die mit Goldauflagen versehene, 3.600 Jahre alte Bronzescheibe zeigt ein Schiff, Sterne, die Sonne und den Mond und gilt als die weltweit älteste Sternenabbildung.

Neben den Archäologen erfreuen sich zunehmend auch die Juristen an der Himmelsscheibe. Es begann damit, dass die Scheibe von sog. Raubgräbern aus dem ostdeutschen Erdreich gebuddelt wurde. Bei einer fingierten Kaufaktion wurden Scheibe und Raubgräber schließlich 2002 in Basel dingfest gemacht und letztere mit den unschönen Vorwürfen der Fundunterschlagung und Hehlerei konfrontiert. Nach juristischer Beratung wünschten die Sachsen-Anhaltiner, sie hätten in Bayern gegraben.

Dort nämlich hätte ihnen nach den bayrischen Gesetzen zum Schatzfund nicht der Strafrichter, sondern sogar eine hälftige Beteiligung am Schatzerlös gewunken. Also mühten sich die Verteidiger der Angeklagten, darzulegen, dass es in Sachsen-Anhalt zu keiner Zeit eine Hochkultur gegeben habe, die zu Leistungen wie der Fertigung einer Himmelsscheibe fähig gewesen sei. Die Zentren dieser frühen Gesellschaft haben vielmehr, das freut den Autor, in Bayern gelegen. Leider waren die Sachsen-Anhaltinischen Richter nicht bereit, auf den Nachweis der eigenen frühen Hochkultur zu verzichten und verurteilten die bedauernswerten Landeskinder.

Der Streit hatte nun aber auch weitere Begehrlichkeiten geweckt. Der Bürgermeister der nahe dem Fundort Nebra gelegenen Stadt Querfurt ließ sich den Begriff „Himmelsscheibe von Nebra“ und deren Abbildung als Marke beim Deutschen Patent- und Markenamt registrieren. Danach wollten die cleveren Querfurter die alleinigen Vermarktungsrechte für Uhren, Schmuck oder Glas nutzen. Das wiederum rief den nunmehrigen Eigentümer der Himmelsscheibe, das Land Sachsen-Anhalt auf den Plan. Sie klagten gegen die Stadt Querfurt auf Löschung der Marke, weil sie selbst nach § 71 Urheberrechtsgesetz die ausschließlichen Verwertungsrechte an der Himmelsscheibe besäßen.

Nach dieser Vorschrift steht demjenigen das ausschließliche Verwertungsrecht zu, der ein nicht erschienenes Werk, das im Geltungsbereich des deutschen Urheberrechtsgesetzes niemals geschützt war und dessen Urheber länger als siebzig Jahre tot ist, erstmals erscheinen lässt. Keine Zweifel hatte das Gericht daran, dass der Urheber der 3.600 Jahre alten Himmelsscheibe längst dem Himmel näher als der Scheibe ist. Entscheidungserhebliche Frage war deshalb, ob die Scheibe damals gleich nach Herstellung in den anhaltinischen Ackerboden gefallen war, ohne vorher jemals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden zu sein. Dann wäre sie tatsächlich erst im Jahre 2002 „erstmals erschienen“, und dem Land stünden Urheber- und Markenrechte daran zu.

Da das Gericht die Frage des erstmaligen Erscheinens mangels präsenter Zeugen oder anderer Beweismittel nicht abschließend klären konnte, stellte es den Erfahrungssatz auf, dass dann, wenn ein Werk über längere Zeit nicht der Öffentlichkeit zugänglich war und keine Anhaltspunkte für die Annahme des Gegenteils vorliegen, davon auszugehen ist, dass das betreffende Werk in der Vergangenheit nie erschienen war. Deshalb gab das Landgericht Magdeburg der Klage des Landes Sachsen-Anhalt statt, das mittlerweile selbst eine Marke eingetragen hatte.

Nun hat der Rechtsfall nach 3.600 Jahren endlich auch die Buchbranche erreicht. Zahlreiche Verlage haben aktuell Titel im Programm, die sich des Motivs der Himmelsscheibe als Cover- oder sonstiges Fotomotiv bedienen. Die Fotorechte wurden ordnungsgemäß bei den jeweiligen Fotografen eingeholt. Einige der Verlage haben gleichwohl unerfreuliche Post einer vom Land Sachsen-Anhalt mandatierten Anwaltskanzlei erhalten. Ihnen wird mitgeteilt, dem Land als Eigentümer der Himmelsscheibe stünden die ausschließlichen Verwertungsrechte an der Scheibe noch bis zum Jahre 2027 zu, weshalb die Nutzung durch die Verlage widerrechtlich erfolgt sei und zu unterbleiben habe.

Wie die sich anbahnenden Streitigkeiten ausgehen werden, ist offen. Fieberhaft suchen die Verlage mittlerweile nach Anhaltspunkten, dass die Scheibe schon in grauer Vorzeit der stolzen ostdeutschen Bevölkerung präsentiert wurde. Sachdienliche Hinweise bitte an die Redaktion BuchMarkt.

Rainer Dresen, 40, arbeitet als Rechtsanwalt und Verlagsjustitiar in München auf dem Gebiet des Urheber- und Medienrechts. Mail: Dresen-Kolumne@freenet.de

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