Die Rechte-Kolumne Rainer Dresen: Und täglich klagt das Murmeltier

Wenn man die letzten Tage mit verlagsrechtlichem Interesse die Zeitungen las, konnte man den Eindruck gewinnen, dass irgendwie alles schon mal dagewesen ist:

Kaum sind die Plagiatsvorwürfe gegen Dan Brown und gegen Frank Schätzing als haltlos zurückgewiesen worden, dringt ein neuer Vorgang in die Öffentlichkeit. Bereits 1992 erschien bei Kiepenheuer & Witsch der autobiografisch gefärbte Roman „Das Leben ist eine Karawanserei“ der Schauspielerin und Autorin Emine Sevgi Özdamar. Sie schildert darin das Aufwachsen eines Mädchens in der Türkei bis zu ihrem Weggang nach Berlin. Nun ist ebenfalls bei KiWi im Roman „Leyla“ von Feridun Zaimoglu ein Buch zur Thematik einer Jugend als Türkin erschienen, der eine Germanistin veranlasste, zahlreiche Parallelstellen zwischen den Romanen aufzulisten. ***************** ********************* *************************************** *********** ******************* ********************* ************* ********************** ******** (Auf anwaltlichen Wunsch wurden zwei Sätze entfernt. [mehr…]) [mehr…]

Hier dürfte vermutlich wie bei Dan Brown und Frank Schätzing wenig Greifbares übrig bleiben, wenn sich erst einmal die Juristen über den Fall gebeugt haben, denn die Übernahme von Fakten aus dem Leben einer dritten Person durch einen Schriftsteller ist selbst dann rechtlich zulässig, wenn der Dritte dies nicht will, solange nur die konkrete sprachliche Ausgestaltung mit eigenen Worten erfolgte.

Auch von Eichborn und dem Altkanzler gibt es wenig Neues: es ist dort schöne Tradition, dass der Verlag nach Buchveröffentlichungen immer mal wieder Post vom Altkanzleranwalt erhält, in der freundlich aber bestimmt Änderungen am Text von frisch veröffentlichten Enthüllungsbüchern angemahnt werden. Vor wenigen Monaten hatte das Landgericht Hamburg gegen das VW-Schwarzbuches von Hans-Joachim Selenz eine einstweilige Verfügung ausgesprochen, da dort unlautere Spekulationen in Zusammenhang mit einem Flug Gerhard Schröders von Braunschweig nach Verona im Jahre 1994 angestellt worden waren. Nun hat Jürgen Roths Buch „Der Deutschland-Clan. Das skrupellose Netzwerk aus Politikern, Top-Managern und Justiz“ den Schröder-Anwalt zu einer Abmahnung veranlasst. Schröder habe zwei Sätze beanstandet, in denen es um seine Berufung in den Aufsichtsrat des russischen Energiekonzerns Gazprom gehe. Eichborn, so hieß es, werde auf eine gerichtliche Auseinandersetzung verzichten und die beanstandeten Textpassagen freiwillig schwärzen.

Im juristischen Dauerbrenner, dem Streit um „Esra“ wird, wie könnte es anders sein, ebenfalls weiterhin eifrig geklagt. Nachdem die Unterlassungsklage der angeblich identifizierbar geschilderten Freundin und der Mutter des Autors Biller (BGH: „Die Klägerin zu 1 ist die einzige Türkin, die als Siebzehnjährige für die Darstellung eines türkischen Mädchens, das sich in einen deutschen Jungen verliebt, den Bundesfilmpreis erhalten hat. Die Klägerin zu 2 ist die einzige Türkin, der für ihren Einsatz in der Türkei gegen den Goldabbau mittels Zyanid der alternative Nobelpreis verliehen wurde.“) durch alle Instanzen einschließlich des Bundesgerichtshofs (BGH) betrieben wurde und nun beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist, wurde jetzt vor dem Landgericht München eine Schmerzensgeldklage über 100.000 Euro eingereicht.

In den diversen Unterlassungsurteilen wurde festgestellt, dass die beiden Damen in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt wurden. Wörtlich sagte der BGH im veröffentlichten Urteil: „Das Buch greift daher unabhängig davon, ob die vom Autor geschilderten zahlreichen Einzelheiten des Sexuallebens und des Abtreibungsversuchs der Romanfigur Esra eine Entsprechung im Leben der Klägerin zu 1 haben, in unzulässiger Weise in deren Intim- bzw. Privatsphäre ein. …Die Klägerin zu 2 wird in der Figur der Lale als eine depressive, psychisch kranke Alkoholikerin geschildert, als eine Frau, die ihre Tochter und ihre Familie tyrannisiert, herrisch und streitsüchtig ist, ihre Kinder vernachlässigt hat, das Preisgeld in ihr bankrottes Hotel gesteckt hat, ihren Eltern Land gestohlen und die Mafia auf sie gehetzt hat, gegen den Goldabbau nur gekämpft hat, weil auf ihrem eigenen ergaunerten Grundstück kein Gold zu finden war, eine hohe Brandschutzversicherung abgeschlossen hat, bevor ihr Hotel in Flammen aufging, ihre Tochter zur Abtreibung gedrängt hat, von ihrem ersten Mann betrogen und von ihrem ebenfalls alkoholsüchtigen zweiten Mann geschlagen worden ist.“

Die Klägerinnen der bisherigen Verfahren fühlen sich offenbar vom Bundesgerichtshof darin bestätigt, dass die Schilderung zahlreicher privater und intimer Details im Buch nicht nur eine „einfache“ Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt, sondern sogar eine „gravierende“. Denn dann besteht neben einem Unterlassungsanspruch auch Anspruch auf Schmerzensgeld.

Der BGH hat tatsächlich in seiner die Unterlassung bestätigenden Entscheidung eine „schwere Verletzung“ festgestellt, die anders als die nur „einfache“ gegenüber der Kunstfreiheit überwiege und zu einem Verbot führe. Die interessante Frage in dem in Kürze zu verhandelnden Schmerzensgeldprozess wird aber sein, ob die Feststellung der Schwere der Verletzung beim Schmerzensgeld denselben Regeln wie die Feststellung der Schwere bei der Frage der Unterlassung folgt. Manches spricht dafür, dass hier der Maßstab ein anderer sein könnte:

Beim Schmerzensgeld geht es nämlich anders als bei der Unterlassung nicht nur um Art und Intensität des Eingriffs durch Publikation sowie der Nachhaltigkeit der daraus resultierenden Rufschädigung, sondern auch um Anlass und Beweggründe der Veröffentlichung. Und hier endlich kann man dem gemeinsam verklagten Verlag und seinem Autor Hoffnung machen. Es ist ihnen sicherlich nicht darum gegangen, jemanden bloßzustellen, auch wollten sie wohl nicht um jeden Preis Auflage erzielen, jedenfalls hat das nachweisbar nicht funktioniert, angesichts von kolportierter insgesamt allenfalls 5.000 verkaufter Exemplare in geschwärzter und ungeschwärzter Fassung. Autor und Verlag ging es wohl einzig und allein um literarische Ziele und Beweggründe bei ihrer Veröffentlichung.

Angesichts der Motive der Veröffentlichung ist somit nicht auszuschließen, dass das Landgericht eine schwere Persönlichkeitsverletzung im schmerzensgeldrechtlichen Sinne schon verneint. Jedenfalls wird es aber – zumindest unter Beibehaltung bisheriger Grundsätze zur Bemessung des Schmerzensgeldes – keinesfalls einen Anspruch in eingeklagter Höhe von 100.000 Euro zuerkennen. Denn bei der Höhe des Schmerzensgeldes wird das Gericht sich an Erfahrungswerten aus vergleichbaren Prozessen orientieren müssen. Und hier zeigt sich, dass Gerichte sehr zurückhaltend damit sind, zusätzlich zu Unterlassungsansprüchen auch Schmerzensgeldansprüche zu bejahen.

So gab es etwa in einem Fall, in dem über einen Künstler irrtümlich berichtet wurde, er stünde mit der Mafia in Kontakt, ein Urteil über lediglich 5.000 Euro. Immerhin 10.000 Euro erhielt ein Pfarrer, der mit Foto in einem Bericht über Verfehlungen gegenüber Minderjährigen abgebildet wurde und 15.000 Euro erhielt ein Polizeirat, der der Wahrheit zuwider als Mitarbeiter eines Bordellbesitzers genannt wurde.

Warum angesichts dieser nachgewiesenermaßen in anderen Fällen praktizierten Zurückhaltung der Gerichte die Klägerinnen bei „Esra“ meinen, 100.000 Euro verlangen zu können, bleibt bis auf Weiteres offen.

Rainer Dresen arbeitet als Rechtsanwalt und Verlagsjustitiar in München auf dem Gebiet des Urheber- und Medienrechts. Mail: Dresen-Kolumne@freenet.de

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