Die Rechte-Kolumne Rainer Dresen zum Tannöd-Prozess: Von Mördern und Menschenräubern Oder: Wie viel Hinterkaifeck ist in Tannöd enthalten?

Das Münchener Landgericht verhandelte kürzlich über die Plagiatsklage (lat. Plagiarius=Menschenräuber) gegen den Krimi-Bestseller „Tannöd“. Die Kammer legte sich nach einstündiger Verhandlung und schon vor Erlass des Urteils am 21. Mai 2008 darauf fest, dass es sämtliche Urheberrechtsansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz ablehnen wird: „Keine Chance auf Erfolg“, so das klare Diktum [mehr…].

Bekanntlich ging es um die Frage, ob die Autorin Andrea Maria Schenkel sich unzulässig von Werken eines bis zur Klage eher unbekannten Sachbuchautors hat inspirieren lassen. Der vor Gericht gleich von drei Anwälten vertretene Kläger Peter Leuschner, Journalist bei einer Münchner Zeitung, war der Meinung, dass Frau Schenkel bei ihrem jetzt mehr als eine halbe Million mal verkauften Roman unerlaubt relevante Passagen von seinen 1987 sowie 1997 erschienenen Büchern „Hinterkaifeck – Deutschlands geheimnisvollster Mordfall“ bzw. „Der Mordfall Hinterkaifeck“ übernommen hat. Seine Anwälte klagten deshalb wegen Urheberrechtsverstoß auf Schadensersatz, Vertriebsverbot sowie Makulatur aller noch verfügbaren Exemplare von „Tannöd“.

Leuschners Bücher und Schenkels Bestseller beschäftigen sich mit bis heute nicht aufgeklärten Verbrechen aus dem Jahr 1922. Sechs Menschen aus drei Generationen wurden damals auf einem einsam gelegenen bayerischen Bauernhof brutal mit einer Spitzhacke ermordet.

Der Kläger warf Frau Schenkel vor, sie habe bestimmte Charaktereigenschaften ihrer Figuren von ihm übernommen. Schenkel und ihr Verlag wiesen die Plagiatsvorwürfe als aus der Luft gegriffen zurück. Schenkel gab an, die betroffenen Passagen anhand zahlreicher öffentlich zugänglicher Quellen u.a. in den frei zugänglichen Akten im Augsburger Staatsarchiv selbst recherchiert zu haben.

Das Gericht erklärte, dass es entscheidend darauf ankomme, ob Frau Schenkel Elemente vom Kläger übernommen habe, die dieser in freier Schöpfung geschaffen habe und die er nicht schon selbst aus vorbestehenden, unabhängigen Quellen entnommen habe. Letztlich verneinte das Gericht dies.

Unbestritten sei, dass „Tannöd“ zwar teilweise gleiche Formulierungen wie „Hinterkaifeck“ enthalte, jedoch kein identischer Satzbau vorliege. Auch liege in dem Umstand, dass beide Bücher sich überwiegend auf dieselbe Auswahl an der Vielzahl der historischen Dokumente bedienten, keine Rechtsverletzung, da die vom Kläger getroffene und von Frau Schenkel teilweise ebenso gestaltete Auswahl für sich nicht schutzwürdig sei. Soviele bekannte Fakten gebe es nicht, alle für den Ablauf relevante Tatsachen haben beide verwendet. Dafür sei keine besondere schöpferische Auswahl nötig.

Allerdings gebe es 18 vom Kläger zur Klagebegründung vorgetragene Stellen in „Tannöd“, in denen Details aus „Hinterkaifeck“ aufscheinen, die sich nicht alle bereits aus den öffentlich zugänglichen Unterlagen ergeben:

Beispielsweise räume in beiden Büchern die kurz vor der Tat auf den Hof gekommene neue Magd zuerst ihre Sachen ein, setzt sich aufs Bett und denkt darüber nach, dass sie auf dem Hof nur solange bleiben will, bis sie etwas Besseres gefunden hat. Sie geht zeitig schlafen, damit sie am nächsten Tag früh aufstehen kann. Mit dem zweijährigen Bub spielt sie Hoppereiter. Sie bemerkt einen Luftzug, bevor sie erschlagen wird. Der alte Bauer spricht zu sich selbst. Er sieht sich die Magd an und denkt, dass die gut zupacken kann. Kurz vor der Tat hat er einen Schlüssel vermisst und einem Nachbarn dessen Größe mit der Hand beschrieben. Die alte Bäuerin steht schwerfällig vom Tisch auf. Kurz bevor sie erschlagen wird, läuft die Neunjährige in die Küche und hat Angst.

Das Gericht meinte aber, dass diese Übernahmen „Tannöds“ aus „Hinterkaifeck“ nicht ausreichten. Überwiegend handle es sich dabei um Atmosphärisches, und bloße Stimmungslinien, diese aber seien zwingend durch die Materie (Einödbauernhof, Inzestsituation) vorgegeben. Vor diesem Hintergrund stellten die zudem nicht wörtlichen Übereinstimmungen keine den Gesamteindruck bestimmenden Gestaltungselemente dar. Zwar spielten sie eine Rolle, seien aber nicht entscheidend. Auch sei die Übernahme von lediglich 18 Elementen innerhalb einer historisch feststehenden Abfolge quantitativ nicht erheblich. Wichtig sei hier auch der völlig unterschiedliche Aufbau beider Bücher: „Hinterkaifeck“ weist eine chronologische Schilderung auf, „Tannöd“ habe diese aufgebrochen.

Vielleicht sollte bedacht werden, „Hinterkaifeck“ und seine Rolle als Quelle für „Tannöd“ noch etwas stärker zu würdigen, eine rechtliche Verpflichtung selbst hierzu gebe es aber nicht, meinte der Vorsitzende.

So erfreulich das bisherige Ergebnis der richterlichen Befassung mit dem Fall für Autorin und Verlag und die Verlagsbranche insgesamt auch ist, stellt es doch einmal mehr klar, dass Romanschriftsteller sich an historischen Geschehnissen recht freizügig bedienen können, so überraschte es manchen Prozessbeobachter doch in seiner Eindeutigkeit. Denn nicht wenige der Zuhörer der langen richterlichen Ausführungen zu den 18 Übereinstimmungen waren erst einmal überrascht, wie ähnlich beide Bücher doch in manchen atmosphärischen Schilderungen sind, die sich nicht alle aus den Akten ergeben. Und wer das schmale Bändchen „Tannöd“ mit seinen knapp 120 Seiten schon einmal in der Hand hatte, war zumindest erstaunt über die Meinung des vorsitzenden Richters, der lediglich 18 Übereinstimmungen beider Bücher auch quantitativ für unerheblich ansah.

Alles in allem aber ist das zu erwartende Urteil ein Sieg der Kunstfreiheit, und das ist in den Zeiten von „Esra“ eine gute Nachricht.

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