Der Messe-Mayer Samstag: Zille, Sonnenschein und Dschungelcamp

Liebe Freunde,

was war das heute voll! Und eng! Heute war es so voll, dass die Mädchen freiwillig in die Herrentoilette gekommen sind. Und jetzt wisst Ihr: Ja, liebe Damen, das ist normal bei uns Männern, hier riecht es immer so.

Der jungen Dame wird schon ganz verschwommen

Irgendein Newsletterverteiler wird gewiss auch gesteigerte Besucherzahlen parat haben, die ich mir erst für die Endauswertung aufhebe. Was soll ich groß Leute zählen? Es gibt hier eigentlich immer nur eine Person zu viel, nämlich die, die vor mir läuft.

Nun belohnt und bestraft uns der Samstag gleichermaßen: Es ist arg voll, aber das Wetter ist auch arg schön. Na endlich! Einen Tag vor Schluss! Strahlend bläut der Himmel durch der Hallen gläsern Dach.

Ach.

Ein weiterer interessanter und mildernder Unterschied zu Frankfurt ist, dass die Freaks in Leipzig weitgehend in Halle 2 isoliert sind. In Frankfurt sind die Freaks immer überall, man fällt dauernd über sie und muss Pappmachésensen ausweichen. Aber darüber mehr im Sonntagsbericht.

Denn heute wird noch gearbeitet, und meine Themenwahl hat entsprechend erwachsen zu geraten. Deshalb mache ich gleich mal ein paar langweilige, aber beeindruckend stimmungsvolle Fotos vom Pressebereich, den Sie niemals betreten dürfen. Eine swingende Muckel-Lounge einerseits,…

Fehlt nur noch Vibraphonmusik

…andererseits ein geheimes Transitreich von Ruhe, Licht und Luft und fliegenden Gedanken.

Herr Boos, darf ich auch sowas haben?

Allerdings: Eine Journalistenhalle so groß wie Weltausstellung im Jahr 1900, aber nur sieben PC-Arbeitsplätze für Journalisten. Da sind Wartebacken angesagt.

Hier verstreichen die ödesten Viertelstunden meines Lebens

Das darf natürlich nicht sein. In Frankfurt bekommt zum Beispiel jeder akkreditierte Journalist einen Einweg-Laptop für die Messe geschenkt. Jeden Tag! Aber das ist freilich Jammern auf hohem Niveau. Bei einem so schönen Pressezentrum will ich mich gar nicht beklagen.
Auch wenn es etwas weit abseits ist. Man muss schon weit laufen, bis man da ist. In Frankfurt ist das Pressezentrum mitten in der Messe, sozusagen auf dem Dach von Halle 6.

Wenn die Messe da hinten ist, sind Sie im Pressezentrum

Aber nun ruft die Arbeit: Zum Einstand des Tages und zum Ausklang der Woche spreche ich mit niemand geringerem als dem Direktor der Leipziger Buchmesse, Oliver Zille. An dieser Stelle muss ich mich demütigst bei der Leipziger Buchmesse entschuldigen, dass ich sie fortgesetzt der gastronomischen Drückebergung bezichtig habe und Frankfurts Suppenservice in den Himmel lobte.

Natürlich schenkt die Leipziger Buchmesse ebenfalls in Frankfurt Suppe aus, und zwar an allen Fachtagen ab 12.00 Uhr mittags. Sorry, das war mir entgangen. Jeden Oktober wird die ganze Halle 4 mit Leipziger Suppe geflutet, und ich habe es noch nie mitbekommen. Ich krieche zu Kreuze und zu Löffel.

(Dass eigentlich die Frankfurter Suppe von einem Leipziger Caterer übernommen wird, während die Leipzigsuppen im Herbst logischerweise von einem Frankfurter Caterer stammen, verkompliziert die Sache noch.)

MM: Herr Zille, darf ich Oliver sagen?
OZ: Nein.
MM: Ah, das ist in Frankfurt ähnlich. Wann lesen Sie?
OZ: Ich versuche, in jeder freien Minute zu lesen. Wenn ich wegfahre, dann nehme ich nie meinen Laptop mit, sondern immer nur Bücher.
MM: Und welche?
OZ: Mich interessiert alles über Mittel- und Osteuropa, den Balkan; ich interessiere mich sehr für die Habsburger und – ich bin ein Mann – Sachbücher generell. Geschichte.
MM: Die Messe ist am Sonntag vorüber. Was machen Sie mit dem Rest des Jahres?
OZ: Wir legen uns dann wieder hin. Eine Woche vor der nächsten Messe kommt dann einer her und schmeißt das Licht wieder an.
MM: Nennen Sie mir doch mal einen guten und einen schlechten Unterschied zur Frankfurter Messe.
OZ: Ach, darüber reden wir doch gar nicht.
MM: Bitte? Ich rede pausenlos von nichts anderem.
OZ: Naja, das Offensichtlichste ist sicherlich auch das Meistgesagte: Hier ist es persönlicher, in Frankfurt ist es internationaler. Die Oberbürgermeisterin von Frankfurt ist eine faszinierende Persönlichkeit, die immer zuhören und noch mehr lernen will.
MM: Wieso streut die Leipziger Messe ihre Schwerpunkte so vielfältig, anstatt sich auf ein Gastland zu konzentrieren?
OZ: Wir wollen ja nicht in direkte Frankfurtkonkurrenz treten, sondern eben das bieten, was Frankfurt nicht bietet. Vor allem habe ich ein großes Faible für schwierige Märkte. Oft gibt es noch gar keine Übersetzungen oder den Ländern fehlen schlicht die Mittel für derlei Auftritte, aber das Interesse z.B. der Balkanländer an unserer Messe ist riesengroß!
MM: Haben sie einen Wunsch-Schwerpunkt? Ein Gastland, das sie sehr reizen würde?
OZ: Auch hier achten wir darauf, dass wir nicht mit Frankfurter Plänen kollidieren, aber Tschechien wäre schön, oder Polen hätte ich sehr gerne wieder da. Das Baltikum wäre eine besondere Herausforderung, weil die sich in diesem Sammelbegriff gar nicht gefallen. Das würden intensive Gespräche werden…
MM: Gibt es schon Anekdoten aus der Westentasche des Messechefs für dieses Jahr?
OZ: Gerade erst hatte eine Autorin eine Lesung im Randgebiet der Stadt und hat die Straßenbahn genommen. Nachdem Sie unwissentlich das Tarifgebiet verlassen hat, hatte sie so viel Nachzahlung am Hacken, dass die Messe einspringen musste und das natürlich beglichen hat.
MM: Herr Zille, BuchMarkt dankt sehr für das Gespräch! Bitte grüßen Sie alle, die mit der Suppe zu tun haben.

Faible für schwierige Märkte und schlechte Journalisten: Oliver Zille

Apropos Suppe. Heute gab es, als letzte Spende der Frankfurter Messe, eine kräftige Kartoffelsuppe mit Frankfurter Würstchen. Vom Leipziger Caterer, aber das wollte ich ja schon zu Anfang hintanstellen.

Es bildete sich eine samstagsheitere Mittagsrunde, bestehend aus v.l.n.r. Collection Rolf Heynes Marketing-Offizier Christian Pflug, der Frankfurter Messeabgeordneten Maren Ongsiek und einer liebreizenden Shōjo, die ein Ohrenproblem mitbringt, aber Mangathemen hebe ich mir ja für den Sonntag auf.

Da wir schon bei Katzenohren sind, bleiben wir im feliden Bereich. Bei Volandt & Quist hat der junge Autor Julius Fischer einen poetischen, rhythmischen, starken und sprudelnden Textband veröffentlicht, dessen bloßer Titel mich zur Lesung lockte. Ich will wie meine Katze riechen geht ins Gericht mit allem; ein flammendes Aufbegehren, das Herr Fischer noch besser vorträgt, als er es ohnehin schon geschrieben hat.

Tipp: Autor im Stehen ist immer schon mal ein Indiz für eine gelungene Lesung!

Zum Chill-Out am BuchMarkt-Stand gehört immer, dass man die anderen Leute trifft, die gerade ebenfalls nichts zu tun haben. Bei Nadine Lettke vom Vertrieb ist es pure Professionalität, unbeschäftigt zu wirken, damit Kunden eher die Hemmschwelle überschreiten und nach einem Abo fragen; und bei Holger Ehling weiß ich gar nicht, ob der sich das überhaupt aussuchen kann, anders als unbeschäftigt zu gucken.

Frohsinn noch auf dem letzten Messequadratmeter:
Meerbusch und die Schweiz.

Peinlich ist mir natürlich, dass ich Herrn Ehling erst Herrn Wehling genannt habe. Gerd Wehling und Holger Ehling sollten gefälligst immer zu zweit auftreten, das macht es vielleicht einfacher. Oder entschuldbarer.
(Bei Collection Rolf Heyne lacht man bar jeglicher anderer Lebensinhalte noch heute darüber, dass ich Jürgen Welte und Alexander Stauch versehentlich ein einziges Mal gemixt habe.)(Und das ist schon Jahrzehnte her.)

Jedenfalls, apropos entschuldbare Verwechslung: Zuerst denke ich noch „Oje, das ist aber ein ausgemergelter, verhärmter, schlecht frisierter und insgesamt irgendwie verlotterter und zerstreuter Buchhändler“, und dann erkenne ich erst, dass es Mathieu Carrière ist, der attraktive Dschungelphilosoph und Kleistianer, der mit dem Redakteur Mathieu Koefflère schnell mal sein neues Buch durchgeht. Im Innern der Seifenblase, so der Titel.

Ich dränge mich gleich selber auf, weil ich auch ein Foto mit einem echten Dschungelstar haben will, einer erhöhten Wesenheit, die sich in der Wildnis selber neu geschaffen hat.

Nach einer Nacht in der Moritzbastei trifft diese Beschreibung übrigens genausogut auf Chefredakteur von Zittwitz zu, der gerade leise in einem Stuhl zu sterben versucht, als habe er die ganze Moritzbastei ausgetrunken.

Und so fühlte sich der ganze Samstag immer an, weil Freitags die ganzen Messepartys sind: Schön, dass die Sonne endlich scheint, aber doch bitte nicht so hell.

Um einen Kreis zu schließen, verlasse ich Sie auf dem gleichen Wege, den ich hergekommen bin – durch die Herrentoilette:

Die Webpräsenz vorablesen.de hat auf allen Waschraumspiegeln Werbung für sich anbringen lassen:

Ein Ort, den letztlich jeder Besucher einmal aufsuchen wird.

Nicht jeder findet die Aussicht, Bücher vor der Zeit lesen zu dürfen, hinreichend verlockend. Aber bereits eine geringfügige Umgestaltung dieser Werbung schafft es, eine neuformulierte, literarisch nur noch geringrelevante, aber dafür prophylaktische Befriedigungsleistung einzufordern:

Vandalismuswahl: Lieber Kreativität als Zerstörung.

Ich denke, dass der Sonntag halb gemütlich und halb verrückt wird. Das hätte er dann immerhin mit dem Kollegen Faure gemeinsam.

So oder so: Ich hoffe sehr, dass es ein schöner Abschluss wird für Sie und für Ihren

Matthias Mayer

herrmayer@hotmail.com
www.herrmayer.com

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