Die Rechte-Kolumne Schutz der Persönlichkeits- rechte schränkt Kunstfreiheit immer mehr ein

Der Computerfachmann M. hatte bekanntlich im März 2001 über das Internet einen jungen Mann kennen gelernt und im Anschluss an das persönliche Zusammentreffen diesen getötet und teilweise verspeist. Sein Opfer, der Ingenieur B., hatte sich deshalb freiwillig in die Hände von M. gegeben, weil er auf die Erfüllung seiner eigenen größten bizarren Phantasie hoffte, der Amputation und des Eigenverzehrs seines Geschlechtsteils. Für dieses Ziel war B. nach der Feststellung des Landgerichts Kassel bereit, den eigenen Tod in Kauf zu nehmen.

Das Landgericht Kassel hatte deshalb gegen M. im Januar 2004 nur auf Totschlag und nicht auf Mord erkannt, da Ansicht des Gerichts keines der für einen Mord erforderlichen Merkmale wie „Heimtücke“ oder „Befriedigung des Geschlechtstriebs“ erfüllt war. Ersteres deshalb nicht, weil B. wusste, was M. mit ihm vorhatte, Letzteres deshalb nicht, weil M. darlegte, dass er nicht aus der Tat selbst sondern allenfalls aus deren späterer Betrachtung auf einem selbstgedrehten Videomitschnitt Befriedigung erzielt habe. Die Strafe betrug deshalb nur achteinhalb Jahre Haft wegen Totschlags statt lebenslänglich für Mord.

Hiergegen legten Staatsanwaltschaft als auch M. selbst Revision ein. Die Staatsanwälte waren der Meinung, die Mordmerkmale „zur Befriedigung des Geschlechtstriebs“ und „zur Ermöglichung einer anderen Straftat (u.a. Störung der Totenruhe)“ seien erfüllt, weshalb eine höhere Strafe auszusprechen sei. M. hingegen war der Ansicht, es liege nicht einmal Totschlag sondern Tötung auf Verlangen vor, weshalb eine niedrigere Strafe als achteinhalb Jahre angemessen seien.

Der Bundesgerichtshof folgte der Revision der Staatsanwaltschaft, hob das Urteil auf und verwies den Fall mit dem Hinweis, doch das Vorhandensein von diversen Mordmerkmalen und nicht etwa nur das Vorliegen von Totschlag oder „Tötung auf Verlangen“ zu prüfen, an ein anderes Landgericht, von Kassel nach Frankfurt, wo das Verfahren derzeit noch läuft.

Man sollte deshalb meinen, M. habe derzeit anderes zu tun als zivilrechtliche Prozesse um seine Persönlichkeitsrechte zu führen. Weit gefehlt, er war auf diesem Gebiet sehr aktiv und erreichte es nun, dass der unmittelbar bevorstehende Kinostart des Films „Rohtenburg“ durch Einstweilige Verfügung unterbunden wurde. Nachdem er erstinstanzlich beim Landgericht wenig Erfolg hatte, überzeugte er nun die Richter des Oberlandesgerichts Frankfurt, dass seine Persönlichkeitsrechte deshalb verletzt seien, weil ohne seine Zustimmung Details aus seinem Leben zur Grundlage des Kinofilms gemacht wurden.

Auf den ersten Blick ist die Entscheidung nicht überraschend, auf den zweiten Blick verblüffen die Parallelen zum Fall „Esra“. Rechtlich gesehen kann bekanntlich jeder verlangen, dass er nicht ohne seine Zustimmung zum Gegenstand von Büchern oder Filmen gemacht wird. Ausnahmen gelten dann, wenn es sich bei den Beschriebenen um sog. relative Personen der Zeitgeschichte handelt. Typische Beispiele dafür sind Straftäter. Diese müssen aus Gründen der grundgesetzlich geschützten Informationsfreiheit Dritter üblicherweise – zumindest vor vollständiger Strafverbüßung – hinnehmen, dass man in Presse, Rundfunk und Fernsehen über sie berichtet.

Vorliegend wurde dieser Rechtfertigungsgrund der Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Verfilmung deshalb abgelehnt, weil der Film nach Ansicht des Gerichts mehr als nur Informationszwecken, sondern als Real-Horrorfilm allein der Unterhaltung der Zuschauer dienen sollte. Angesichts dieses Sachverhalts aber überwiegt nach Ansicht der Richter der Schutz des Persönlichkeitsrechts gegenüber der Informationsfreiheit.

Aber auch dann könnte die Persönlichkeitsrechtsverletzung von M. gerechtfertigt sein, wenn sich die Filmproduzenten auf die ebenfalls grundgesetzlich geschützte Kunstfreiheit berufen könnten. Die Richter des Oberlandesgerichts lehnten dies jedoch ab, da der Spielfilm „eine nahezu detailgetreue Wiedergabe seiner privaten Lebensgeschichte nebst darin enthaltener Auffälligkeiten seiner Familie, der Vorgeschichte und der Ausführung der Tat“ zeige. Von 88 angeblich identischen Übernahmen der Realität in den Kinofilm war in diesem Zusammenhang die Rede. Nach dem Urteil der OLG-Richter zeige „Rohtenburg“ ohne ausreichende Verfremdung Details aus Privatleben und Tat von M. und gebe der Öffentlichkeit „ein durch die Darstellungsweise des Horrorfilms geprägtes Persönlichkeitsbild“ von M. preis.

Diese Argumentation kommt einem teilweise seltsam vertraut vor: Auch im Fall „Esra“ urteilten die Richter, dass es sich deshalb nicht um einen Fall handle, in dem die Kunstfreiheit evtl. Persönlichkeitsrechtsverletzungen aufhebe, weil es an der hinreichenden künstlerischen Verfremdung fehle. Diese liege nur vor, wenn das im Roman (oder im Film) geschilderte Abbild der Realität gegenüber dem Urbild der Realität durch die künstlerische Gestaltung des Stoffes und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Werkes so verselbständigt erscheine, dass das Individuelle, das Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der Figur objektiviert ist. Oder kurz gefasst: Wenn also der Autor (oder Filmproduzent) mehr getan hat als einfach nur reale Erlebnisse und Personen wiederzugeben, sondern etwas über sie Hinausgehendes beschrieben hat.

Der Verlag von „Esra“, Kiepenheuer & Witsch, hat Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs eingelegt, da sie eine nicht mehr zeitgemäße Vorstellung von „Kunst“ aufweise. Die Produzenten von „Rohtenburg“ kündigen das selbe Vorgehen an.

Eine Verfilmung des Lebens des „Kannibalen von Rotenburg“, wie M. in der Presse genannt wurde, wird es gleichwohl geben: Die Rechte daran hat M., der offenbar auch geschäftlich genau weiß, was er will, längst an die Produktionsgesellschaft „Stampfwerk“ vergeben. Diese dürfte über die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht traurig sein, plant sie doch, in Form einer Fernsehdokumentation eine angeblich „wahrheitsgemäße, journalistische Darstellung des Falls und seiner Hintergründe, insbesondere den Kannibalismus-Foren im Internet“, zu produzieren.

Rainer Dresen, 40, arbeitet als Rechtsanwalt und Verlagsjustitiar in München auf dem Gebiet des Urheber- und Medienrechts. Mail: Dresen-Kolumne@freenet.de

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