Geheimnisse eines Agenten Teil 5: „Der dritte Mann“

An dieser Stelle schreibt Literaturagent und Autor Thomas Montasser regelmäßig über die Absonderlichkeiten des Literaturbetriebs – heute bricht er eine Lanze für die Ghostwriter.

 

Thomas Montasser

Vielleicht geht es Ihnen ja ähnlich: Da unterhalten Sie sich mit einer Autorin und plötzlich sagt sie: „Die Trudi Röbel hat ja jetzt mit ihrem neuen Roman einen echten Überraschungserfolg gelandet.“

„Die Trudi Röbel? Die hat doch schon seit Jahren nichts mehr veröffentlicht.“

„Wieso? Letztes Jahr als Annalisa Touché die große Worpswede-Saga und jetzt als Queeny Fisher diese wahnsinnig angesagte New Adult-Geschichte. Küss mich härter, Süßer.“

Wusste ich nicht, dass Frau Röbel jetzt auch als Madame Touché und als Miss Fisher schreibt. Hat es mich überrascht? Kein bisschen!

Die Wahrheit ist: Auch der Autor dieser Zeilen hat schon diverse Pseudonyme benutzt. Im Kinder- und Jugendbuch hat er sich mal als Fortunato die Ehre gegeben, im Krimi- und Thrillersegment hatte er Auftritte als Tim Erzberg.

Unbeteiligte Dritte mögen sich natürlich die Frage stellen, warum sich so viele Autorinnen und Autoren Kunstnamen geben (die Auswüchse sind legendär, ich weiß, wovon ich spreche). Falls diese unbeteiligten Dritten zufällig über meine Kolumne zum Thema Algorithmus stolpern sollten, könnten sie den – völlig richtigen! – Schluss ziehen, dass die Urheber hoffen, durch ein Pseudonym eine ganz neue Chance zu bekommen. Eine Rechnung, die übrigens immer öfter aufgeht! Denn auch der Buchhandel weiß, dass begabte Schreiberlinge nicht auf Bäumen wachsen, sondern eine seltene Spezies sind. Sie nach einem Misserfolg einfach über die Klippe des ewigen Vergessens zu schubsen, schadet am Ende auch dem Buchhandel. Also lässt man Lisa Meier als Nick Naumann schreiben und Nick Naumann als Lisa Meier. Wenn’s gut läuft, also spätestens dann, wird verlagsseitig das Pseudonym gelüftet und man kann die Autorin oder den Autor auf Lesereise schicken (wenn’s nicht gut läuft, fragt sowieso keiner an). Eine Win-win-Strategie also.

Der andere Grund für die zunehmende Pseudonymeritis liegt allerdings nicht im Handel, sondern auf Seiten der Leserschaft. Die tut sich nämlich schwer mit dem Umgewöhnen. Während man der filmischen Zunft jeden Ausflug in ein anderes Genre gönnt und einen Francis Ford Coppola dafür bewundert, dass er ebenso ein Mafia-Epos, wie einen Antikriegsfilm oder eine Vampirschnulze drehen kann, hat Lisa Meier, die berühmte Autorin von Liebesromanen, bei den Thrillern nichts zu suchen. Was wird sie also tun? Sie nennt sich Nick Naumann. Und wenn der erste Thriller floppt und die Warenwirtschaftssysteme daraufhin Nick Naumann als Kassengift aus der Riege der zu bestellenden Autoren verbannen, muss eben ein neuer Name her. Für den nächsten Thriller. Der dritte Mann sozusagen. Honi soit qui mal y pense.

Aber wer sich nun ernsthaft darüber echauffiert, dass Autorinnen und Autoren solche Fluchtstrategien aus der Schublade wählen, fasse sich hier und jetzt an die eigene Nase. Was, wenn Ihr Lieblingsautor Haruki Murakami in Wirklichkeit Elke Schmitz hieße und in Flensburg lebte? Was, wenn Sie es durch diese Kolumne erführen? Würden Sie dieselben Romane auch von der bis heute unbekannten Elke Schmitz aus Flensburg kaufen?

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