Warum erreichen gegenwärtig so viele Krimis und Thriller nicht einmal mehr die Qualität von billigem Dosenfisch? Ein Plädoyer an unsere Verlage, endlich originelle deutschsprachige Autoren aufzubauen und zu pflegen

Die Krimis unter den Lese-Exemplaren für die eben anlaufende Saison haben schöne Lektüre gebracht, aber auch so manches Gähnen verursacht. Letzteres hat mich immer wieder, auch wenn’s bei Gedrucktem so arg nicht ist wie dort, an die deutschen Fernsehkrimis erinnert, gegen die Wolfram Knorr in der letzten Ausgabe der Weltwoche wettert.

Warum “klammert sich die deutsche Fernsehunterhaltung rammdösig an die Kommissare, ihre Büros, ihre komischen Verhältnisse und obligaten Kneipenbesuche. Stories und vor allem Dialoge“, sagt Knorr, sind Mangelware: „Unter Vermeidung von Logik, Psychologie, sozialer Situierung, Spannung und Ironie wird irgendetwas herbehauptet, was Flair und Esprit herstellen soll, aber nur reiner Stuss ist. Das wohl auffälligste Merkmal aller Krimis ist der rasche Szenenabbruch (um vertiefende Gespräche zu vermeiden). Es geht nur um ständige Schauplatzwechsel, welche die Spannung nicht steigern, aber für visuelle Abwechslung sorgen. Zunehmend geht es weniger um Täter- und Motivationsfragen, sondern um aktuelle, skandalöse Fälle, gesellschaftliche Probleme. Statt innovativ zu sein, muss die Konkurrenz überboten werden.“ Man tut auf „Realitätsnähe“, doch Realitätsnähe ist selten; inszeniert werden alte Muster.

Muss der Krimi, angeblich das „moderne Märchen“, fragt Knorr ganz verzweifelt, gleich fließbandartig produziert werden und das kreative Potential sich ausschließlich in neuen Kommissarköpfen erschöpfen?“ In endlosen Serienhelden und -heldinnen, denen, damit der Zuschauer sie sich merken kann, „Macken angedichtet“ werden?

Knorr nimmt die deutschen TV-Serienkrimis aufs Korn. Bei der Lektüre neuer Kriminalromane und Thriller haben mich vor allem amerikanische und englische Titel zum Gähnen gebracht – und deutschsprachige Autoren, die meinen, sie könnten deren Formeln und Methoden irgendwie übernehmen oder kopieren.

Nichts gegen Anwälte, Cops, Ermittler, Pathologen und Jungpolitiker im Kampf gegen Korruption und Verbrechen im Altestablishment – doch es wird zu oft und viel zu viel aus deren Perspektive und Feldstechern berichtet, also von einem Berufsfluchtpunkt aus, im Sinne von deren Funktionen. (Wovon so mancher Schriftsteller im übrigen eher noch weniger versteht als ein BWLer oder ein Harvard-MBA vom echten Wirtschaftsleben; dazu nur etwa das aufregende neueste Buch von Henry Mintzberg).

So werden denn irgendwelche mehr oder weniger „tolle“ Szenarien abgehaspelt. Was so oft fehlt, ist das, worauf es eigentlich ankäme – diese Romane haben keinen Ton, keinen tragenden Stil, keine Charaktere. Da wird nicht erzählt.

Versuchen Sie mal, solche Krimis und Thriller in Serie laut, live, in ihrem Freundeskreis vorzulesen. Ich hab’s dreimal probiert: Nach spätestens zehn Minuten verlassen die ersten das Zimmer, nach einer Viertelstunde sind Sie allein. Nebenbei bemerkt: Das „Niveau“ des Titels, ob er eher „literarisch“ oder eher „Unterhaltung“ ist, spielt dabei kaum Rolle.
r keine Rolle.

Ich kann Buchhandlungen nur empfehlen, solche Lese-Tests, vor Saisonbeginn, im Kreis aller SortimenterInnen inklusive Azubis mit einigen Krimi/Thriller-Aficionados ihrer Stammkundschaft sowie möglicherweise gar interessierten RedakteurInnen der lokalen bzw. regionalen Medien durchzuführen.

Und den Verlagslektoraten erlaube ich mir, por favor, dringend anzuraten, etwas in dieser Art – vielleicht in Mittagsgesprächen, bei einem frugalen Lunch und einem Glas Wein – mit den Kollegen ihrer Presse- Vertriebs- und Werbeabteilungen einzuführen, zumindest bevor sie die Rechte am Titel eines neuen Autors erwerben.

Und ein zweites Mal, wenn die – noch unredigierte – Übersetzung des angenommenen Krimis oder Thrillers vorliegt: Nichts gegen Übersetzer. Sie leisten, gerade in Deutschland, wo so viele Bücher übersetzt werden, eine hoch verdienstvolle Arbeit. Aber haben Sie im Einzelfall die Überzeugungskraft des Originals wirklich ins Deutsche zu übertragen vermocht?

Und ein drittes Mal, notfalls, wenn – bevor sie in Druck geht – die endredigierte Fassung vorliegt. Verlage sind – das scheinen etliche Häuser inzwischen doch vergessen zu haben – als Mittler zwischen Autoren und Lesern die verantwortliche Instanz.

In diesem Zusammenhang machen es sich leider allzu viele Programmleiter zu leicht, wenn sie glauben, ein im Ausland medial gehypter oder erfolgreicher Roman sei allein deshalb für Leser in Deutschland, Österreich und der Schweiz interessant.

Sie mögen meinen, ein in Amerika oder Großbritannien erfolgreiches Buch sei eine Garantie für einen Hit hier zu Lande.

Das ist, im Hinblick auf die hiesige Leserschaft, nicht immer der Fall.

Sie scheinen überzeugt zu sein, es sei kostengünstiger, einen ausländischen Krimi oder Thriller übersetzen zu lassen, als es mit neuen deutschsprachigen AutorInnen zu versuchen

Das ist – insbesondere angesichts der oft immensen Vorschüsse für international gehypte „Bestseller“ – betriebswirtschaftlich etwas fragwürdig.

Sie denken, ein von amerikanischen oder englischen Autoren auf die Voraussetzungen des Publikums in den USA oder Großbritannien zugeschnittener Krimi oder Thriller müsse auch bei der hiesigen Leserschaft einschlagen.

Könnten Sie Tuchfühlung mit dem hiesigen lesenden Publikum verloren haben?

Sind sie zu geneigt, deutsche, österreichische und schweizerische Autoren an ausländischer Konkurrenz zu messen?

Aus den USA, aus Großbritannien erhalten sie in der Regel fertige Bücher, an denen dort Top-Agenten und Lektoren manchmal bis zu einem Jahr hart zusammenarbeiten, bis das Manuskript eines neuen, vielversprechenden Autors eine alles in allem überzeugende Endgestalt gefunden hat.

Es gibt – in Deutschland, Österreich und der Schweiz – ebenso vielversprechende Autoren, die keinen Verlag finden, weil es hier vergleichsweise selten aufopfernde Literaturagenten und in den Verlagen Lektoren gibt, die etwas aus einem gut angelegten Manuskript machen – oder dürfen sie nicht, weil solche Arbeit in den Chefetagen als zu aufwändig und risikohaft gilt? Weil sie – in meist unterbesetzten Lektoraten – überlastet sind?

Zum Schaden der Verlage, der Buchhandlungen – vor allem aber der Leser, die sich und ihre Welt in all zu vielen Krimis und Thrillern nicht wiedererkennen; die der gängige literarische Massentourismus enttäuscht; die sich von Verlagen und Buchhandlungen, die nicht ganz hochwertige Importware in vielleicht zu fließbandartiger deutscher Bearbeitung als non plus ultra anpreisen, verhohnepipelt fühlen.

„Vom Krimi heißt es, er sei die ideale Form, Unterhaltung mit Aktualität, Moralität mit Legalität, Authentizität mit Fiktion zu verbinden“, schreibt Wolfram Knorr in der Weltwoche. „Allein der Krimi sei in der Lage, aus Spannung und Information soziale, psychologische und politische Zusammenhänge zeitgemäß darzustellen.“

Gerade das macht ihn ja, wenn’s rundum stimmt, für das breite Publikum so interessant.

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite den Button „Forum“ anklicken, einloggen und los geht‘s.

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert