Beckmann kommtiert Warum nur verschweigen die Verlage (fast) durchgehend die üblen aggressiven Sitten und Bräuche von Amazon – als wären sie stille Komplizen des Online-Giganten?

Hiesige Verleger und Lektoren haben auf Besuch in New York in den letzten Wochen und Monaten wenig Sympathie und Verständnis gezeigt, wenn amerikanische Kollegen über erpresserische Drangsalierungen klagten, mit denen Amazon erzwingen will, dass er für E-Books um zehn und mehr Prozent bessere Konditionen kriegt. Unsere Landsleute haben da wohl weggehört, verlegen gelächelt oder hinter vorgehaltener Hand über „die Hysterie der Amerikaner“ gespottet. Die New Yorker aber haben ihrerseits gestaunt über die Blauäugigkeit dieser Besucher, die solche Geschichten um Amazon sozusagen als amerikanische Lokalquerelen abtaten – ganz als ob’s dem Online-Giganten aus Seattle nie einfallen könnte, es mit dergleichen üblen Machenschaften auch in „good old Germany“ zu versuchen. Das hat meine Tochter, die jetzt in New York lebt und arbeitet, mir noch vor etwa drei Wochen berichtet.

Ist das nicht schon sehr merkwürdig? In dem Zusammenhang sind allerdings weitere kuriose Dinge zu erwähnen, über die ernsthaft nachgedacht werden muss.

Da ist beispielsweise Folgendes: Die deutsche Öffentlichkeit ist vor zehn Tagen dann über den E-Book-Konflikt in den USA informiert worden. Freilich nicht, wie es doch wohl zu erwarten gewesen wäre, nach Hinweisen aus Verlagskreisen oder Berichten der Branchenpresse. Nein, die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat dafür Aufmerksamkeit geweckt, mit einem Artikel ihres New Yorker Kulturkorrespondenten Jordan Mejias. Ist da nicht etwas ungewöhnlich? Bei einem für die Buchbranche so aktuellen Thema?

Doch nicht genug damit: Denn in den USA bekam Mejias ja ebenfalls nicht durch Winke aus der Buchbranche Wind von der Sache. Seine Primärquelle war ein Artikel in der New York Times. Auch in Amerika ist die infame neue Großoffensive Amazons gegen Verlage als Pilot-Attacke auf die Hachette-Gruppe also durch eine Tageszeitung öffentlich geworden. Die Enthüllung – am 9. Mai – ist das Verdienst des NYT-Buchmarkt-Experten David Streithorst. Die dazu notwendigen Fingerzeige waren wiederum nicht aus der Verlagswelt erfolgt. Ans Licht gekommen ist nämlich alles durch Schriftsteller. Sie haben David Streithorst benachrichtigt, als sie merkten, dass Amazon den Online-Verkauf ihrer bei Hachette verlegten Titel massiv benachteiligte. (Zur zentralen Rolle von Autoren in diesem Erpressungsdrama später mehr.) Am 15. Mai erschien also in der F.A.Z. der Artikel von Jordan Mejias pag(58538), in dem besagter Konflikt freilich noch gänzlich als binnenamerikanisches Problem dargestellt wurde. Doch nur einen Tag später, am 16. Mai, kam der Hammer [mehr…]: Und wieder war es nicht die Branchenpresse, sondern eine Tageszeitung, der die Enthüllung zu danken ist, dass Amazon auch deutsche Verlage böse unter Druck setzte. Verfasst hat zu Recht Aufsehen erregenden F.A.Z.-Artikel der Feuilletonredakteur Andreas Platthaus. Und auch diesmal kam der entscheidende erste Wink, dass Amazon ganz konkret die Häuser der Bonnier-Gruppe (Piper, Ullstein, Berlin, Carlsen u.a.) unter Beschuss genommen hat, anscheinend nicht vom betroffenen Buchkonzern selbst, sondern von außen.

Amazon will „höhere Rabatte bei E-Books durchsetzen; es geht um einen Nachlass von vierzig bis fünfzig Prozent auf den Verkaufspreis, während bislang seitens Bonniers nur dreißig Prozent eingeräumt wurden.“ Und Amazon versucht Bonnier dadurch weich zu klopfen, „dass etliche Titel aus den Backlists nur noch mit langen Lieferfristen an die Kunden angeboten werden“. Es ist der Ullstein- Verlegerin Siv Bublitz hoch anzurechnen, dass sie sich auf die Anfrage der F.A.Z. konkret und präzis geäußert hat. Es ist ebenso erfreulich, dass der Literaturagent Matthias Landwehr zu einer klaren, eindeutigen Stellungnahme bereit war und damit den Kontext und die Dimensionen des Amazon’schen Erpressungsversuchs skizziert: „Wenn Bonnier fällt, dann fallen auch die anderen Verlage, große wie kleine… Der Streit um die Rabatte in diesem Segment die E-Books ist nur vordergründig. Im Hintergrund steht das Ziel, das E-Book-Geschäft der Buchverlage zu zerstören, es allein zu betreiben und dann den Autoren die Bedingungen zu diktieren.“ Es geht darum – so sieht es Andreas Platthaus – dass Amazon damit auf dem Weg in „die totalitäre E-Welt“ voranschreitet. Das alles hat – und dafür gebührt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unser aller Dank – nun auch die hiesige Buchbranche gehörig aufgeschreckt: die heftigen Reaktionen des Börsenvereins [mehr…], [mehr…] etc. sind bekannt.

Trotz alldem erklärt Siv Bublitz: „Wir bei Bonniers fahren derzeit betreffs unserer Auseinandersetzung mit Amazon keine offensive Strategie in der Öffentlichkeit.“

Damit wird leider die in den USA wie in Deutschland bisher übliche Taktik fortgeführt. Amazon gewinnt mit einer Offensive nach der andern immer neues Terrain – und die Verlage schweigen, fast ausnahmslos, wie Lämmer im Walde, als ob der immer näher kommende Wolf auch ein Schaf wäre. So ist einer Journalistin in den Vereinigten Staaten aufgefallen, dass bei allen kritischen Recherchen zu Amazon und dessen permanenten Grenzüberschreitungen immer nur das gleiche kleine Häuflein von Buchmenschen zu mutigen offenen Worten über den Online-Riesen bereit ist. Weil Verlagshäuser sich über ihre Konflikte mit Amazon ausschweigen, waren natürlich auch die Branchenorgane zu solch fast komplizenhaften Stillschweigen verurteilt – es hat sie ja keiner etwas wissen lassen. Warum das grundfalsch ist und in der Tradition einer dummen Kommunikations-Strategie steht, die der Buchbranche schon in der Vergangenheit Schlimmes eingebrockt hat, soll in bald folgenden Kommentaren erklärt werden.

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert