Die Diskussion um frei verfügbare Inhalte im Internet ist nicht zuletzt durch die Idee einer „Kulturflatrate“ in vollem Gange. Der Kölner Autor Mario Giordano wird deutlich: „Die Annahme, dass sämtliche digitalen Inhalte umsonst verfügbar sein müssten („sharing is caring“) ist respektlos, lächerlich, kurzsichtig, führt zu einem Versagen des Buchmarktes!“
Über die Kostenlosmentalität im Netz spricht er mit uns im heutigen Sonntagsgespräch:
BuchMarkt: Was ärgert Sie an der Möglichkeit digitale Inhalte frei verfügbar zu machen am Meisten?
Mario Giordano: Zunächst finde ich es erst mal großartig, dass eBooks legal und überall auf der Welt verfügbar sind. Für deutsche Autoren und ihre Verlage besteht damit z.B. die Möglichkeit, ihre Bücher weltweit zu vertreiben. Was für eine Chance!
Aber die ungeregelte, illegale Distribution von digitalen Inhalten über Filesharing-Portale ist eben nur eines: Diebstahl. Hier werden Einzeltitel kostenlos zehntausendfach pro Monat heruntergeladen. Ein immenser wirtschaftlicher Schaden für Verlage und Autoren.
Für diese eBooks haben Autoren monatelang recherchiert und geschrieben, haben sich über Jahre ausgebildet und weiterentwickelt, sind hohe wirtschaftliche Risiken eingegangen, und das in einem Markt in dem allgemein ohnehin nicht viel verdient wird.
Warum ärgert Sie das?
Die Argumentation der eBook-Piraten ist zynisch: Filesharing sei kein Diebstahl, denn die Dateien würden ja verdoppelt, es sei außerdem Werbung für die Autoren, und überhaupt, richte sich das Sharing nur gegen die Verlage, die ‚Content-Mafia‘, die die Preise künstlich hochhalte und Autoren ausbeute. Daraus wird dann flugs die Forderung abgeleitet, sämtliche digitalen Inhalte sollten ohnehin kostenlos im Internet verfügbar sein.
Dabei wird gerne ignoriert, dass diese Piraterieportale Wirtschaftsunternehmen sind, die Millionenbeträge umsetzen, von denen die Autoren und Urheber keinen Cent sehen.
Die Kollegin Nina George hat vor kurzem in einem Blogbeitrag sehr schön die verschiedenen Gründe der eBook-Piraten analysiert: http://blog.buecherfrauen.de/epiraten-sind-auch-nur-menschen/
In den Kommentaren zu dem Blog liest man oft: legal seien digitale Inhalte im Verhältnis einfach zu teuer, da die Nutzung eingeschränkt ist. Wie sehen Sie das?
Autoren und Verlage leben vom Verkauf von Büchern. So einfach ist das. Selbst literarische Autoren, deren Titel es leider oft schwerer im Markt haben, profitieren durch die Mischkalkulation der Verlage von den besser verkäuflichen Unterhaltungstiteln.
Die Tatsache, dass wir unseren Beruf lieben, bedeutet nicht, dass unsere Erzeugnisse keinen Wert hätte. Aber wenn Bücher einen Wert haben, haben sie auch einen Preis. Ich kann nicht erkennen, warum digitale Werke weniger wert und weniger schützenswert sein sollen, als materielle Güter.
Wir sind Teilnehmer in einem Markt. Unsere Leser entscheiden durch ihren Kauf über unseren wirtschaftlichen Erfolg. Finde ich gut. Wird ja niemand gezwungen, sich auf diesen Marktplatz zu begeben. Aber wenn wir dieses Risiko wagen, undwenn unsere Bücher dann auch bei den Lesern ankommen, dann wollen wir doch auch die Chance haben, von unserer Arbeit leben zu können.
Welche Konsequenzen sind zu erwarten?
Wenn eBooks unkontrolliert und massenhaft illegal geteilt werden, wenn eine breite Mehrheit das auch noch ganz in Ordnung findet und nicht mehr einsieht, warum man für Bücher überhaupt noch etwas bezahlen sollte, und wenn die Politik diesen populistischen Forderungen dann auch noch folgt, dann wird das über kurz oder lang zu einem Kollaps im Buchmarkt führen.
Ein Marktversagen durch ungebremste Piraterie und eine Kostenloskultur im Netz würde die meisten Verlage und vor allem Unterhaltungsautoren wie mich treffen, die in der Regel nicht durchStipendien oder Literaturpreiseunterstützt werden, sondern allein vom Verkauf ihrer Bücher leben. Populäre Unterhaltungstitel werden ja auch am häufigsten illegal geteilt.
Ein kollabierender Markt wird bestimmt nicht zu mehr oder gar besseren Büchern führen, sondern zu einer Verödung der Buchlandschaft.
Was sollte man Ihrer Meinung nach tun, um dem entgegenzuwirken?
Zunächst muss öffentlich weiterhin konsequent und mit Nachdruck der Haltung widersprochen werden, Filesharing sei ein Kavaliersdelikt oder gar ein natürliches Recht jedes Internetnutzers. Es ist Diebstahl! Daher muss konsequent und nachdrücklich gegen Internetpiraterie vorgegangen werden. Und da ist auch der Gesetzgeber gefordert, Urheber besser zu schützen. Piraterieportale müssen verfolgt und geschlossen werden. Geistiges Eigentum muss besser geschützt werden.
Was kann der Buchmarkt selbst dafür tun?
Im deutschen Buchmarkt garantiert die Buchpreisbindung seit Jahrzehnten eine lebendige Buchlandschaft mit ziemlich niedrigen Preisen. Diese Preisbindung muss auch für eBooks gelten. Und dazu müssen eBooks endlich europaweit als Bücher und nicht bloß als Lizenzen betrachtet werden.
Die kommerziellen Portale für eBooks müssen besser und komfortabler werden um in der Konkurrenz zu Piraterieportalen und zu Amazon bestehen zu können. Da ist auch der stationäre Buchhandel gefordert.
Warum ist für Sie die Idee der „Kulturflatrate“ nicht tragbar?
Vergütungsmodelle wie die Kulturflatrate, die vorgeblich nur die ‚Zweitverwertung‘ von digitalen Kulturerzeugnissen regeln wollen, sind reine Augenwischerei und eine Aushebelung des Marktes. Wer würde denn noch Bücher kaufen, wenn er sich durch eine monatliche Pauschale auf seinen Internetzugang ohnehindas Recht erwirbt, alles kostenlos herunterzuladen?
Schon über die Höhe dieser Kulturflatrate oder den Verteilungsschlüssel bleiben uns die Grünen eine Antwort schuldig.
Kulturflatrate, Kulturwertmarkt oder die Forderung nach einem staatlichen Grundeinkommen für Künstler führen direkt ins Marktversagen und in die staatliche Alimentierung und Kontrolle von Künstlern. Dagegen wehre ich mich. Ich will, dass weiterhin meine Leser über meinen wirtschaftlichenErfolg entscheiden und nicht anteilig jeder Internetnutzer oder Steuerzahler. Genau wie ich als Leser ja auch nicht pauschal für Bücher zahlen will, die ich gar nicht lese.
Was verstehen Sie unter der Content-Mafia und warum greifen die Ihrer Meinung nach die Branche und Autoren an?
‚Content-Mafia‘ ist inzwischen zum Kampfbegriff der Filesharer, Internetpiraten, selbsternannten ‚Kulturbefreier‘ und Netzaktivisten geworden und suggeriert, dass es eine monopolistische Kulturindustrie gäbe, die alle Urheber ausbeute.
Aber bitte – bei allen Konflikten und Reibungspunkten zwischen Autoren und Verlagen – die deutsche Buchbranche sieht doch völlig anders aus. Da haben wir es mit sehr unterschiedlichen mittelständischen Unternehmen und Kleinstverlagen zu tun, die grundsätzlich mit viel Leidenschaft und Engagement ihrer Mitarbeiter Bücher machen, und dabei mitunter schon froh sind, wenn sie am Ende des Jahres eine schwarze Null schreiben.
Fassungslos macht mich immer wieder, dass die Netzaktivisten mit Kampfbegriffen wie ‚Content-Mafia‘ den wahren Internetgiganten und globalen Monopolisten das Wort reden. Aber Google, Amazon und Co. haben nun wirklich kein Interesse an einer angemessen Vergütung von Autoren und Urhebern. Da geht es nur um Nutzerprofile für die Werbewirtschaft. Der Nutzer ist die Ware. Und in dieser Logik müssen Musik, Filme und Bücher eben kostenlos verfügbar sein. Wer sich dem verweigert, wird als ‚Content-Mafia‘ diffamiert.
Vor kurzem wurde beschlossen, das es bald auch ein Widerrufsrecht für Ebooks geben soll. Welche Gefahren sehen Sie dabei für Autoren, Verlage und den Buchhandel?
Wenn ich ab Juni den Kauf eines eBooks ohne Angabe von Gründen innerhalb von 14 Tagen widerrufen kann, könnte ich jedes eBook innerhalb von zwei Wochen lesen ohne es bezahlen zu müssen. Ganz legal. EineBook hat keine Folie, man sieht ihm nicht an, ob es schon genutzt wurde. Ich könnte womöglich sogar noch Kopien der epubs machen um die Bücher später weiterzulesen und beliebig weiterreichen.
Was für neue Geschäftsmodelle stellen Sie sich vor, um nicht den gleichen Fehler wie damals die Musikindustrie zu begehen?
Die Buchbranche hat, anders als oft behauptet, nicht die gleichen Fehler wie die Musikindustrie gemacht, und im Gegenteil schon früh legale Downloadangebote gemacht.
Ich höre oft die Forderung, dass eBooks billiger werden müssten. Das sind sie aber schon! Die Herstellung von Büchern, das Schreiben, Lektorieren, Setzen, Bewerben, Pressearbeit, Marketing – bringt Kosten mit sich, die auch wieder erwirtschaftet werden müssen.
Möglicherweise lassen sich die Preise z.B. über höhere Absatzerwartungen noch ein wenig mehr senken, aber eben nur, wenn der Markt auch funktioniert.
Ein mögliches neues Geschäftsmodell könnte z.B. die Kooperation mit Internet-Providern und Anbietern von Tablets und eReadern sein, auf denen ausgewählte Titeln dann exklusiv vorinstalliert sind.
Ich glaube auch, dass Buchserien zukünftig erfolgreicher sein können. Da können wir einiges von der Filmindustrie lernen. Wir werden zukünftig auch neue Erzählformen sehen, die die Grenzen zu Games überschreiten. Das finde ich hochspannend.
Was würden Sie sich für die Zukunft persönlich wünschen?
Einen funktionierenden, innovativen Buchmarkt, digital wie Print, mit stabilen Preisen, der nicht von einem Monopolisten beherrscht sondern von vielen Verlagen bedient wird, auf dem alle die Chance haben, noch mehr Leser zu erreichen und wirtschaftlich erfolgreich zu sein.
Eine Politik, die Urheber besser vor Piraterie und die Branche vor einem Marktversagen schützt.
Komfortable Portale für eBooks ohne Bindung an ein bestimmtes Lesegerät.
Und natürlich: diesen Beruf, den ich liebe, den ich frei gewählt habe und in dem ich ganz gut bin, noch viele Jahre ausüben zu können. Über meinem Schreibtisch hängt ein Puschkin-Zitat: „Ich schreibe für mich, ich drucke für Geld.“ Ich wünsche mir, dass das noch lange so bleibt.
MARIO GIORDANO gehört zu den deutschen Unterhaltungsautoren. Mit seinem Vatikan-Thriller Apocalypsis (Bastei Lübbe) stand er mehrere Wochen auf den Bestsellerlisten. Er schrieb den Roman und das Drehbuch zu „Das Experiment“, für das er den Bayerischen Filmpreis erhielt.
Er schreibt für verschiedene „Tatorte“, Bilder- und Jugendbücher, sowie fürs Kinderfernsehen.
Außerdem ist er regelmäßiger Gastdozent an der Filmhochschule in Ludwigsburg, und beschäftigt sich seit 2005 intensiv mit digitalen, interaktiven Erzählformen.Seit 2012 entwickelt er für Bastei Lübbe neue digitale Unterhaltungsformate.
Zuletzt erschien sein Listenbuch 1000 Gefühle für die es keinen Namen gibt (Berlin Verlag).