Bericht von der Jahrestagung der Interessengruppe Belletristik und Sachbuch 18. Januar 2018 im Literaturhaus München „Buchkäufer – Quo vadis?“ – Ohne Buchkäufer ist alles nichts

Vorsteher Heinrich Riethmüller begrüßt die Teilnehmer

 

Mit 180 Teilnehmern gut besucht, konnten Annette Beetz (Verlagsgruppe Random House), Felicitas von Lovenberg (Piper) und Andreas Rötzer (Matthes & Seitz) die diesjährige Tagung eröffnen. „Lesen macht glücklich“ zitierte Börsenvereins-Vorsteher Heinrich Riethmüller einen Buchtitel aus dem Piper Verlag, „der Rückblick ins Jahr 2017 eher nicht.“

Annette Beetz
Felicitas von Lovenberg

Mit den vielfältigen Ursachen dieser Entwicklung, soweit sie über erkannte Phänomene wie die Konkurrenz durch andere Medien und die sinkenden Frequenzen der Innenstädte hinausgehen, beschäftige man sich intensiv. Entscheidend sei aber, nicht in einen Krisenmodus zu verfallen. Der Börsenverein kann helfen, Ineffizienzen abzubauen (Stichwort VLB-TIX), aber im Sortiment müsse sich jeder fragen, „ob er ein guter Verkäufer oder nur ein guter Buchhändler“ sei – starke Wort eines Buchhändlers (einer der ganz wenigen anwesenden). In den Läden müsse der Einkauf Spaß machen, und das Online-Geschäft müsse „einfach klappen“, sonst kaufen die Leute bei Amazon.

Wie immer präzise und engagiert: Alexander Skipis

 

Börsenverein-Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis pflügte energisch durch die Themen der Branche und räumte mit der Vorstellung auf, 2017 sei das Ergebnis der üblichen konjunkturellen Schwankungen. Nein, wir haben seit 2012 etwa 6 Millionen Buchkäufer verloren und im I. Halbjahr 2017 noch einmal 600.000. Deshalb habe man sich intensiv mit den Buchkäufern, aber auch mit den „Abwanderern“ beschäftigt. Der Kampf für die gesetzlichen Rahmenbedingungen und für die Meinungsfreiheit müsse permanent weitergeführt werden. Die opportunistische Anbiederung des damaligen Börsenvereins an das NS-System verpflichte uns heute dazu, deren Missbrauch durch rechte Hetzer entgegenzutreten.

Jana Lippmann

 

„Buchkäufer – Quo vadis?“ – ohne Buchkäufer ist alles nichts. Jana Lippmann, Leiterin der BöV-Marktforschung, ging dieser Frage nach. Große Verluste sind bei den mittleren Altersgruppen zu verzeichnen. Typische Äußerung im Gruppengespräch: „Immer mehr Zeugs – immer weniger Zeit.“ Die jungen Erwachsenen sowie die beruflich und familiär am meisten eingespannten Menschen (Altersgruppen 14 bis 49 Jahre) folgen dem größten Zeitfresser: den sozialen Medien. Deshalb sind sie dann oft so erschöpft, dass sie nur noch zum Konsum von Leichtgewichtigem wie Netflix-Serien fähig sind. Das Gute ist: Viele leiden darunter, denn sie sprechen ganz verklärt von der Zeit, in der sie noch Bücher gelesen haben. Wenn es uns gelingt klarzumachen, was das Buch besser kann als andere Medien, haben wir eine Chance, diese Gruppe zurückzugewinnen. Nicht wirklich überzeugen konnte der Vergleich mit der Wiederkehr von Retro-Phänomenen wie Vinyl und Polaroid (weil sie ökonomisch vergleichsweise unerheblich sind). Überzeugender klingt Alexander Skipis´ schöne Formel von „Büchern als Brücke aus der Hektik des Alltags in die Oase des Lesens“.

Die Melkkuh von Facebook sind wir – erklärt Schlecky Silberstein

 

Hätten Sie vor Jahren gedacht, dass ein Referent namens Schlecky Silberstein eine Keynote bei dieser Versammlung hält? Als solcher hat der Mann 600.000 Follower. Sein launiger Beitrag war durchaus erhellend, indem er (getreu der alten Mafia-Regel „Follow the Money“) untersuchte, womit eigentlich Facebook sein Geld macht. Die Kunden von Facebook sind nicht etwa wir Nutzer, sondern die Werbewirtschaft bzw. die Produzenten, die treffergenau erfahren, was bestimmte Konsumenten interessiert und was sie deshalb höchstwahrscheinlich kaufen. Verblüffend, dass schon mit der Auswertung von nur 68 Facebook-Likes mit 90% Sicherheit auf bestimmte Daten über Individuen geschlossen werden kann. Nichts ist sozial an Facebook – es bringt nur so viele Menschen wie möglich zur permanenten Interaktion und macht das zu Geld. Silbersteins Empfehlung an die Verlage heißt „Shareability“: Sie sollten ihren Content so aufbereiten, dass man ihm „eine Aussage über sich selbst“ abgewinnen kann.

Heiterkeit Andreas Rötzer, Annette Beetz, Alexander Skipis, Heinrich Riethmüller

Beate Junginger von inside-out Leadership Transformation hat in ihrem Vortrag „Führen in digitalen Zeiten“ die einst von Helmut Schmidt so geschmähte Bedeutung der Vision rehabilitiert: „Wer keine Vision hat, sollte zum Arzt gehen“. Denn sonst passiert angesichts der digitalen Herausforderung das, was eben allzu oft passiert: Man bringt die Website auf Vordermann und bietet eine neue App an, weil „wir irgendwas machen müssen“; es reicht eben bei weitem nicht, alte Geschäftsmodelle auf digitale Plattformen zu setzen. Visionen sind mehr als Ziele, denn sie sind mit Emotion verbunden. „Seien Sie die Leute, die mit den Emotionen der Menschen auf gute Weise spielen!“

„Die Emotion, die ich mitbringen kann, ist eine Viertelstunde Weinen.“ So schloss BöV-Justiziar Prof. Dr. Christian Sprang seinen unvermeidlichen Bericht über die „aktuellen rechtlichen Entwicklungen“ der Buchbranche an. Auch wenn angesichts der VG Wort-Ausschüttungen ohne Verlage, des blockierten europäischen Urheberrechts, der bedrohlichen Wissenschaftsschranken und der ins Stocken geratenen EU-Freigabe für den reduzierten Mehrwertsteuersatz bei E-Books eigentlich keine Heiterkeit aufkommen kann – Sprang schafft es auch bei den strohtrockensten Themen und haarsträubendsten Vorhaben, den Humor zu bewahren, der ja bekanntlich festgefahrene Denkmuster eher aufzulösen vermag als Rechthaberei.

Vor dem erwarteten Höhepunkt der Tagung, der Einlassung von Meinolf Meyer (Google, Hamburg) über die Strategie des Unternehmens, gab es – wie es sich eigentlich für eine Verlegertagung gehört, eine Geschichte. Der niederländische Cossee-Verleger Christoph Buchwald (lange Zeit als Lektor bei Hanser) erzählte, „Warum Herr Unseld den Amsterdamer Boekenbal vorzeitig verließ“. Er schilderte die niederländische Buchwoche als bewährtes und landesweit geschätztes gesellschaftliches Großereignis, organisiert von einer Stiftung, die von den Verbänden der Buchhändler, Verlage und Bibliotheken getragen wird, finanziert zu großen Teilen von Sponsoren, nicht nur aus der Buchbranche. Vom niederländischen „Prinzip des Polderns“ kann man eine Menge lernen: Auch wenn das Land allein 104 protestantische Kirchen kennt – gegen das Meer stehen alle Niederländer zusammen. Buchwald präsentierte seinen „Traum von der Deutschen Buchwoche 2021“, durchgeführt von einer Stiftung, die getragen werden soll von Börsenverein, Verlegerverband, Deutsche Bibliothek, Stiftung Lesen. Alles klar? Heiterkeit bei den Börsenverein-Granden. Nur ganz Aufmerksame registrierten den besonderen Pfiff der Buchwald´schen Vision: Verlegerverband? Wenn es nach den Teilnehmerzahlen geht, könnte man die Jahrestagung der früheren AG Publikumsverlage tatsächlich für eine Verlegertagung halten. Kein Wunder, dass Annette Beetz bei Ihrem Schlusswort ankündigte, man wolle Ideen entwickeln, wie man mehr Buchhändler auf die nächste Tagung (23./24.01.2019) bekommt.

 

Michael Lemling (Lehmkuhl), Brigitte Egetemeier (Knaus Verlag), Schlecky Silberstein, Jo Lendle (Hanser), Dr. Lambert Scheer (Coppenrath)

 

Google – wir lieben und wir fürchten es. Wir nutzen es und es benutzt uns. Meinolf Meyers locker-sympathischer Vortrag über die 10 Grundsätze von Google machte die Tagungsteilnehmer sprachlos. Googles Vision sei nicht ausgelöst worden durch das Motiv Geldverdienen, hören wir: „Focus on the user and all else will follow.“ Dazu erklärte Meinolf „All else haben wir, denn wir sind auch profitabel.“ Am Elegantesten klingt das auf Englisch: „You can make money without doing evil.“ Das könnte glatt eine Vision für die Zukunft der Buchbranche sein. Noch Fragen?

Ulrich Störiko-Blume

Kommentare (1)
  1. Ein sehr schöner Beitrag. Aber „Follow the money“ ist keineswegs „eine alte Mafia-Regel“, sondern im Gegenteil ein Motto des investigativen Journalismus. Immer schön recherchieren!

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